f euforia225 Jahre VERSO SUD, das italienische Filmfestival 2019 im Frankfurter DFF, Teil 3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Am Samstag folgte dann die zweite Eröffnung zum 25 Jahre Jubiläum von VERSO SUD im Deutschen Filminstitut & Filmmuseum DFF . Jeweils freitags geht es also mit dem Film zur HOMMAGE, dieses Jahr Roberto Andò (im Programmheft rot), los und samstags folgt die eigentliche Festivalintention: NEUES ITALIENISCHES KINO (im Programmheft grün).

Gleich vier Filme konnte man ab 14 Uhr sehen, wovon der dritte OVUNQUE PROTEGGIMI Schütze mich auf allen Wegen, Italien 2018, von Angius Bonifacio, der um 18.30 Uhr lief, um 21. 15 Uhr wiederholt wurde.

f euforia1EUFORIA von Valeria Golino, ebenfalls von 2018, um 16 Uhr gezeigt, wird am heutigen Mittwoch um 20.30 Uhr wiederholt. Deshalb gerne mehr über diesen Film, der mit Riccardo Scamarcio einen italienischen Star als Hauptdarsteller hat, dessen blaue Augen einen auch nach dem Film noch begleiten. Ein toller Mann und doch ein armer Tropf. Schon deshalb, weil er unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leider, die Freud als GRÖSSENWAHN kennzeichnete, was im Film nicht vorkommt, also nicht benannt wird, weshalb er selbst (Riccardo Scamarcio) davon auch nichts wissen kann und dem Publikum – und auch sich selber - sich als Überflieger präsentiert , als Kommunikationsgenie, als ein Planer der Zukunft in Events, die er ästhetisch verpackt, aber eigentlich alles verkaufen könnte, so genial, begabt, großzügig und weltumspannend zuständig fühlt er sich, handelt so und drängt sich dadurch auch manchen zu sehr auf.

Wir haben diese Psychologisierung vorangeschickt, die wie gesagt, nie ausgesprochen wird und auch im Film erst am Ende in der vollen Tragweite verständlich wird, wenn der krebskranke Bruder von der Hilfestellung des Bruders genug hat. So nämlich fängt es an mit einer Party in einem Ambiente, wo alle Vorurteile, die man über junge Menschen im Eventgewerbe haben kann, bestätigt werden: sauteuere Wohnung mit supermodernem Mobiliar, großer Terrasse, jungen erfolgreiche Freunde und Freundinnen, viel Alkohol, Sex, Homosexualität, Drogen, regelmäßiges Kokainschnupfen,...

f euforiaUnd inmitten Matteo, ein glänzender Gesellschaftslöwe, den die Männer und Frauen lieben - er aber erotisch nur Männer -, der dafür sorgt, daß alle alles haben, was sie wünschen, sein höchstes Gefühl ist, wenn er der Verursacher ihres Glücks ist – und alles unter Kontrolle hat. Die italienische Mama spielt auch hier eine zentrale Rolle, denn sie weiß alles und schweigt zu jedem. Da gibt es nämlich noch den Bruder Ettore (Valerio Mastandrea) , ein unscheinbarer Lehrer in der Provinz, der sich ständig noch unscheinbarer macht, als er sowieso wirkt. Er ist ein glaubwürdiger Krebspatient, so wie er alles in sich hineinfrißt, was der Krebs jetzt auffrißt, wie ein schönes, wenn auch unwahres Bild uns eintrichtert.

Der viel beschäftigte Matteo macht nun alles, den Bruder aus seiner Lethargie und seiner Krankheit herauszureißen. Er holt ihn nach Rom, in seine Wohnung, verzichtet auf manches und wird zum Lebensmanager seiner Bruders. Nebenbei aber bleibt er der erfolgreiche Unternehmer und seine ausschweifenden Fest werden auch nicht weniger. Daß Ettores Ehefrau für diesen nicht mehr erträglich ist, will er nicht wahrhaben, denn Matteo trägt tief in sich die Vorstellung einer heilen Familie, die er um so eher beschwört, als er selber deren Spielregeln, sprich Ehefrau und Enkel ja gar nicht erfüllt.

Die Annäherung der beiden Brüder wird im Film höchst vielfältig dargestellt, dessen Handlung uns ganz schön hin- und herschüttelt. Schließlich ist das so, daß auch eine Krankheit auf- und absteigt, Hoffnung auf Gesundung verheißt und dann wieder schlimmer wird. Schlimmer heißt hier der Tod.

Doch, das ist ein wirklich fein ziseliertes Bild einer ganz bestimmten Gesellschaftsschicht, von ganz speziellen Menschen. Und doch ist der innere Kern dieser Geschichte auf alle übertragbar. Wir fanden diesen Film, der in einem ganz anderen Milieu spielt, als der normale Kinobesucher es kennt, dennoch in seiner Übertragbarkeit geradezu sybillinisch. Und dann noch etwas: wenn wir zu Beginn eine typische psychoanalytische Deutung des Charakters vornahmen, so bleibt diese zwar bestehen, aber der Film gibt diese Figur nicht platt wieder, sondern mit dem ganzen Charme, der ihr auch eigen ist, wo das eigene Empfinden, helfen zu wollen, nicht vorgetäuscht ist, sondern sich mit dem Sendungsbewußtsein die Waage hält.

Matteo stellt also einen differenzierten Charakter dar, der nach außen blendet und Gutes tut und den man dennoch um seine innere Einsamkeit bemitleiden muß. Der Bruder Ettore lebt dagegen das Realitätsprinzip. Und kommt auch nicht weit. Der Tod ist absehbar. Das ist einmal ein Film, der alle menschlichen Probleme behandelt, die Fülle des Lebens auch und dabei noch wirkliche Menschen zeigt. Alle Achtung. Und gerne sagen wir: ein typisch italienischer Film, denn das konnten die Italiener immer. Im Film leben. Allein, wie oft dort gegessen wird! Oder getrunken. Schauen Sie mal einen herkömmlichen amerikanischen Film an. Da gibt es das Essen und Trinken nur zu Weihnacht oder bei Familienfeiern. Und in deutschen Filmen?

Fotos:
© Verleih

Info:
Darsteller
MATTEO         RICCARDO SCAMARCIO
ETTORE         VALERIO MASTANDREA
MICHELA       ISABELLA FERRARI
TATIANA         VALENTINA CERVI
LUCA             ANDREA GERMANI
MOTHER        MARZIA UBALDI
ELENA           JASMINE TRINCA