Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. Dezember 2019, Teil 15
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - So etwas Schönes hätte ich mir nie erwartet. Denn Wasser, wenn es in der öffentlichen Diskussion steht oder im Fernsehen gezeigt wird, erfahren wir fast immer als bedrohlich. Bei Zuschauen von AQUARELLA in einer Pressevorführung geschah etwas Erstaunliches. Auch wenn oft nach Filmen die Meinungen von Rezensenten auseinandergehen, war es hier doch besonders: die einen, wie ich, fanden diesen Film ein Meisterwerk und waren von den Bildern hingerissen, die anderen, weniger, fanden den Film belanglos.
Dabei lohnt schon sein Anfang aus kulturgeschichtlicher Sicht. Und wenn wir das mal im Ernst betrachten, ist dieser Film schon deshalb ein Meisterwerk, weil er dem Wasser alle Eigenschaften zuschreibt, die es tatsächlich hat, denn Wasser ist der Ursprung allen Lebens, wir sind alle aus dem Meer hervorgegangen, werdendes Leben entwickelt sich in der Fruchtblase, in der Wüste, sei es Sand oder Salz, rettet es das Leben, bei Feuersbrünsten auch, keine Pflanze würde wachsen, ach, wir wollen die vernünftigen Argumente gar nicht aufzählen, denn der Film macht das auch nicht. Er zeigt nur.
Das können wir hier nicht tun, vor allem nicht in 96 Bildern pro Sekunde, wir müssen in Worten wiedergeben, was dieser Film ohne Worte nur durch die Darbietung zeigt. Schönheit pur. Poesie pur. Verzweiflung pur, Erfrieren pur, Rettung pur. Diese spezielle Aufnahmetechnik, die der Filmemacher im vorausgehenden Interview dezidiert beschreibt, ist sicher die Ursache für unser Beeindrucktsein.
Aber fangen wir wirklich mit dem Anfang an. Im Nachhinein fällt diese Geschichte völlig aus den anderen Bildern heraus, eben weil es eine Geschichte ist. Nicht nur das Wasser. Nicht nur das Eis. Wir sind am Baikalsee und jetzt ist der im Nachteil, der noch nie dort war, was sicher für die überwiegende Mehrheit der Deutschen gilt. Wahrscheinlich für die Mehrheit aller Nationen.
Aber nicht für uns. Denn wir begreifen sofort, was da in Sibirien passiert ist. Das Eis ist zu früh getaut, die Autos, die übers Eis fahren, brechen ein. Das eine, das nächste. Sie müssen mühselig aus dem Wasser geborgen werden und die Menschen gerettet, was nicht immer gelingt.
Da der Filmemacher sich in diesem Film zum Prinzip macht, die Bilder wirken zu lassen, sie also kaum zu kommentieren, fällt hier auch unter den Tisch, was das Unglaubliche am Baikalsee im Winter, der früh anfängt und lange währt, tatsächlich ist. Wenn es Winter wird, dann werden Eisenbahngleise und die Straße auf das Eis verlegt. Echt. Denn man kann dann die ganzen Windungen am Ufer einsparen und wie auf dem Papier eine Linie übers Eis ziehen, wo dann gefahren wird. Der Aufwand, den das ja vor allem bei der Eisenbahn bedeutet, hat aber Gründe. Er lohnt sich. Man spart durch das Verlegen aufs Eis über 100 Kilometer Fahrtrecke ein.
Doch das Menschenwerk interessiert Viktor Kossakovsky gar nicht. Das ist kein Vorwurf. Er will ja etwas anderes zeigen und das geht bei uns voll auf. Nun kommen nämlich die Eisberge von Grönland in den Blick. Und auch da schlägt unser Herz voll von Erinnerung. Denn auch diese Eisberge, wie sie majestätisch in Weißblau im Wasser liegen, sind ein Anblick für die Ewigkeit. Denkt man. Denn unversehens – und genau das hält die Leinwand fest – wird aus einer kleinen Abspaltung, aus einer kleinen Erschütterung ein gewaltiges Abbrechen, so daß das zuvor ruhige Wasser aufschäumt und lauter große und kleine Eisbrocken sich ihren Weg suchen. Wenn man dies nicht mit eigenen Augen in der Natur sähe, sind das optische Erlebnisse die eine ungeheuere ästhetische Kraft entfalten.
Und damit ist auch das Wort gefallen, daß für diesen Film gilt: er ist ein Genuß für‘s Auge, das Wasser wird so schön, wie man es noch nie gesehen hat. Denn in der Vergrößerung wird der Tropfen erst zu dem, was Schönheit ausmacht. Wenn in der Aufnahmetechnik eine Flocke schmilzt, oder sich aus Wasser ein Kristall bildet, hält man den Atem an vor lauter Schönheitserschaudern. Wir wenigstens.
Doch damit ist es längt nicht getan. Insgesamt sind es sieben Länder, in denen Kossakovsky das Wasser in der dort spezifischen Form auf die Leinwand bannt. Neben Rußland und Grönland sind es die Aufnahmen vom Hurrikan in Miami, also USA, die Menschen- und Naturgefährliches zeigen, daß einem angst und bang wird. Auch aus Portugal, Mexiko und Schottland sehen wir Wasser in den dortigen Aggregatzuständen. dann kommt etwas völlig anderes, nämlich der weltweit höchste Wasserfall, der Salto Àngel in Venezuela, wo wiederum der Atem stockt, so überwältigt ist man von seinem Anblick und glaubt, man stehe darunter.
Nie wird man Bilder aus diesem Film vergessen, wenn sich das Wasser in seinen Geschwindigkeiten und Gefälle verändert. Wann es zusammenfließt, wann auseinander, wie es an Scheiben perlt, wie es sich teilt, wann aus einzelnen Tropfen eine wahrnehmbare Masse wird, alles das sind optische Erlebnisse, die einen glücklich machen. Und die Sehnsucht nach mehr wecken. Wir sind doch alle so unaufhörlich mit Wichtigem beschäftigt, daß wir uns selbst nicht mehr die Zeit nehmen, mit der Lupe oder einem anderen Vergrößerungsglas das Wasser selber zu erforschen. Das war einmal anders. Allein wenn man sich an die Erzählungen von Adalbert Stifter erinnert, weiß man, daß dieser denWinter, den Schnee, die Schneeflocken, die Kristalle in ihrer Schönheit beschrieben hat. Dazu gehört Zeit und das Interesse, etwas angeblich Kleines zum Großen zu machen. hat uns dies geliefert.
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Info:
Regie: Viktor Kossakovsky
Drehbuch: Viktor Kossakovsky, Aimara Reques
Kamera: Ben Bernhard,