Bildschirmfoto 2020 01 04 um 02.05.13Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 2. Januar 2020, Teil 13

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wer den Film über die Kindheit, also den Film über Jeanette gesehen hatte, wundert sich erst einmal, wenn die älter gewordene Jeanne doch wieder das Gesicht und die Gestalt der inzwischen zehnjährigen Lise Leplat Prudhomme annimmt.

Denn die dort drei Jahre älter gewordene Jeannette wurde von einer anderen Schauspielerin dargestellt, von Jeanne Voisin. Der Regisseur hatte – vergleiche unsere Beiträge – auch vorgehabt, mit Jeanne Voisin den Film zu besetzen, der von ihrem Kampf und dem Prozeß handelt, eben die bekannte Geschichte der Jeanne d‘Arc, die in der Vergangenheit von bedeutenden Schauspielerinnen verkörpert wurde, wobei uns die in Ritterrüstung angetane Ingrid Bergmann besonders in Erinnerung, die damals 39 Jahre alt war. Auch andere Schauspielerinnen waren in den Dreißigern, was uns normal vorkommt. Die historische Jeanne ( Geboren: 6. Januar 1412, Gestorben: 30. Mai 1431) 
jedoch war 18/19 Jahre alt, als sie nach dem kirchlichen Prozeß als Häretikerin verbrannt wurde.

Das muß man hinzufügen, genauso wie, daß Jeanne Voisin dann für den zweiten Film nicht zur Verfügung stand, dann wird einem die Darstellung durch eine inzwischen Zehnjährige durchaus plausibel. Das Wissen um die Umstände ist das eine, die Irritation bleibt für den Betrachter beider Filme, weil die Darstellung der älteren Jeanette durch eine zweite Darstellerin sozusagen in der Luft hängt, wenn die noch einmal älter gewordene Jeanne wieder ihre kindliche Darstellerin hat. Aber, wie schon gesagt, sind wir ja froh drum. Man muß es aber erklären.

Regie und Maske tuen zudem einiges, um das Kind Jeanette in eine Kämpferin zu verwandeln. Die Haare sind nicht mehr lang und lockig, sondern schlicht am Kopf zusammengehalten und aus dem körnigen Rupfenkleid der Jeanette – beide Mädchen tragen dies, was eigentlich an die Gewandung der Apostel, ach was, auch an die Jesu Christi erinnert – wird eine bläulich schimmernde Rüstung. Zudem ist aus dem widerspenstigen, wilden Mädchen, eine sehr ernste Person geworden, die streng blickt, denn sie hat ja auch nichts Gutes zu erwarten.

Die Entmythologisierung, die der Jeanettefilm mit der nationalen Heldin leistet, setzt dieser Film fort, allerdings kann es nicht mehr so locker und phantasievoll quasi als Musical weitergehen. Da steht die Handlung dagegen. Die zeigt erst einmal gar nicht den Kampf der Jeanne, sondern ein merkwürdiges Stellungsspiel in den Dünen Nordfrankreichs, wo abenteuerliche Figuren durch die Landschaft stapfen. Einerseits Krieger, doch immer mehr treten nun kirchliche Würdenträger in Erscheinung und regen sich über die junge Frau auf, die einfach tut, was sie für richtig hält: die Engländer zu vertreiben. Frankreich den Franzosen, wäre heute das Motto. Wenn wir für den ersten Teil von den aufmüpfigen jungen Dingern sprachen, so sieht man – nach heutigem Sprachgebrauch – lauter alte weiße Männer auf der Gegenseite.

So lange Jeanne im Kampf gegen die Engländer erfolgreich war, war sie bei aller Ablehnung durch den Klerus, unverwundbar. Doch als sie vor Paris eine Niederlage erleidet, schlägt die Kirche sofort zu. Daß sie einen direkten Kontakt zu Gott hat und von ihm ihre Beauftragung empfängt, muß sie bei den Leuten, die professionell die Vermittlung zu Gott übernehmen, verhaßt machen. Das wird in sehr langen Einstellungen durchbuchstabiert, wie sophistisch, aber ohne moralischen Anspruch, die wechselnden Anklagereden der Kirchenleute phrasenhaft und hohl erklingen, durchaus mit Differenzierungen, denn die einen sind schlimmer als die anderen, die nicht mit dem Todesurteil sympathisieren, sich aber nicht durchsetzen.

Foto:
© Verleih

Info:
JEANETTE  (Frankreich 2017)
114 Minuten, französische OmU-Fassung, Regie: Bruno Dumont, Drehbuch: Bruno Dumont, basierend auf den Romanen “Les Batailles” und “Rouen” von Charles Péguy, Kamera: Guillaume Deffontaines, Schnitt: Bruno Dumont, Basile Belkhiri, Kostümbild: Alexandra Charles, Musik: Igorrr, Produktion: 3B Productions, Arte France, mit Lise Leplat Prudhomme, Jeanne Voisin, Lucile Gauthier, Aline Charles u. v. a.

JEANNE D'ARC BRUNO DUMONT (Frankreich 2019)
Filmstart: 2. JANUAR 2020
Spielfilm: 138 Min., DCP-2K, Farbe, franz. OmU-Fassung

Regie:  Bruno Dumont
Drehbuch: Bruno Dumont
Kamera: David Chambille
Ton: Philippe Lecoeur
Schnitt: Bruno Dumont
Mischung: Basile Belkhiri
Sound Editing: Emmanuel Croset
Musik:  Romain Ozan

Darsteller
Lise Leplat Prudhomme .   (Jeanne d'Arc)
Annick Lavieville      (Madame Jacqueline)
Justine Herbez .    (Marie)
Benoît Robail    (Monseigneur Regnauld de Chartres)
Alain Desjacques    (Messire Raoul de Gaucourt)
Serge Holvoet .    (Monseigneur Patrice Bernard)
Julien Manier .    (Gilles de Rais)
Jérôme Brimeux     (Meister Jean)
Benjamin Demassieux    (Messire Jean, Graf von Alençon)
Laurent Darras   (Diener)
Marc Parmentier .   (Baron von Montmorency)
Jean-Pierre Baude .   (Comte de Clermont)

Abdruck aus dem Presseheft

Aufführung in diesen  Kinos (mehr in Kürze):

Berlin - Brotfabrik - 23.1. - 29.1.
Berlin - Hackesche Höfe - ab 25.12.
Berlin - Wolf - ab 25.12.
Bremen - City46 - 2.1. - 8.1.
Dresden - Kino im Dach - ab 2.1.
Düsseldorf - Filmmuseum - 21.3. + 29.3.
Halle - Zazie - 20.1. - 22.1. + 30.1. + 31.1.
Hamburg - B-Movie - ab 2.2.
Hannover - Lodderbast - Januar
Heidelberg - Karlstorkino - ab 25.12.
Karlsruhe - Kinemathek - 9.1. - 12.1.
Köln - Lichtspiele Kalk - 11.1. + 13.1.
Leipzig - Cineding - 30.1. - 1.2.
Leipzig - Luru - ab 25.12.
Mainz - CineMayence - 23.1. - 25.1.
Nürnberg - Filmhaus - ab 25.12.
Weingarten - Linse - 26.1.
Wiesbaden - Caligari - 9.1. + 12.1.

Es fällt sehr unangenehm auf, daß Frankfurt am Main nicht dabei ist und auch München mit Abwesenheit glänzt. Woran liegt das?
Wir erleben absolut lächerliche Typen, nur wird der Film dadurch nicht lächerlich. Er wahrt einen Ernst, der sich im entschlossenen, nach innen gerichteten Blick der Jeanne festsetzt. Hier geht es um was. Es geht um alles. Und diese junge Frau geht lieber in den Tod, als mit diesem Gesocks etwas zu tun zu haben.

Und als der 138 Minuten lange Film zu Ende ist, wollen wir am liebsten sofort wieder dien Film JEANETTE  anschauen. Denn auch wenn gegen den zweiten Film von Bruno Dumont zur Johanna von Orleans, wie wir in Deutschland sagen, nichts einzuwenden ist, bleibt die Verfilmung der Jugend in JEANETTE das eigentliche Ereignis.