f island2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 9. Januar 2020, Teil 8

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Von der ersten Sekunde an spricht dieser Film Tacheles. Wir sind mit dabei in der isländischen Provinz, wo auf einer Milchfarm ein Ehepaar harte Arbeit leistet und ganz plötzlich der Mann stirbt, einfach tot ist, wie die entsetzte Ehefrau Inga (Arndís Hrönn Egilsdóttir) konstatiert.

Dabei waren beide gerade in einer schwierigen finanziellen Lage, denn die Farm ist gegenüber den Banken hochverschuldet und auch in der regionalen Kooperative – der einzigen in Island, die vom Genossenschaftsgedanken (Raiffeisen) des 19. Jahrhunderts noch übrig ist – ein Versager.

Diese Inga ist eine Frau, die ihren Mann steht und schon vom Äußeren her, blaß mit strohgelben Haaren, die meist verdeckt sind, in unschicken Arbeitsanzügen und mit einem Gesicht, das von den Enttäuschungen des Lebens genauso spricht wie von der harten körperlichen Arbeit auf dem Land. Aber, wer so hart ein Leben lang gearbeitet hat und dennoch auf keinen grünen Zweig kommt, der läßt auch die Frage hinter sich, wie andere das eigene Verhalten beurteilen.

Inga will ja keinen Schönheits- oder Beliebtheitswettbewerb gewinnen, sondern sie will den Hof retten oder eben alles in die Luft jagen, wozu gehört, daß sie endlich die Schuldigen vorführt, denn das ist für sie – und nicht nur für sie – die regionale Kooperative, die längst nicht mehr, wie eigentlich vorgesehen, von den Mitgliedern kontrolliert wird, sondern die eine Eigenmächtigkeit entwickelt hat, die die Mitglieder zu den Befehlsempfängern der Führungsoberen gemacht hat, also das Gegenteil des Genossenschaftsgedanken. Geradezu mafiös sind die entstandenen Strukturen, die Inga nun gnadenlos an die Öffentlichkeit bringt und eine neue, eine gegnerische Genossenschaft, . Die sozialen Medien sind dazu bestens geeignet. Und Inga entfacht einen Wirbel, daß der Funktionsclique Hören und Sehen vergeht. Sie schreibt das biblische Geschehen vom erfolgreichen Kampf des Davis gegen Goliath neu.

Der Film ist einerseits schlicht und andererseits hochraffiniert, weil er das Bodenständige und Normale zur gesellschaftlichen Kraft stilisiert, die imstande ist, die Ausnutzer, die Betrüger, die sich selbst bedienenden Bürokraten in der Öffentlichkeit als die Verbrecher dastehen zu lassen, die sie sind. Die wahren Wahrheiten. Und das alles in einer Landschaft, die so weit, auch so weit weg, so flach, so karge Natur ist, daß man im Kinosessel leicht zu frieren anfängt. Und auf einmal fühlt, daß die äußere Natur mit der inneren von Inga korrespondiert. Das gibt dem Film auch über das eigentliche Geschehen hinaus auf einmal eine weitere Dimension des Verständnisses.

Außerdem kommt bei allem grimmigen Handeln von Inga im Film ein Mutterwitz zum Tragen, da liegt ein Humor in der Luft, den das Publikum als Befreiung erlebt, denn eigentlich sind die Verhältnisse ja steinern. Aber da kommt einfach so eine Frau daher...erst eine, dann im nächsten Film wieder eine. Eine subtile, nach vorne zeigende Gesellschaftskritik mit einer starken weiblichen Hauptfigur, die Regisseur Grímur Hákonarson nach seinem großen Erfolg STURE BÖCKE, wo Männer die Individualisten waren, als verändernde Kraft zeigt.