f vorspiel4Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. Januar 2020, Teil 8

Kirsten Liese

Berlin  (Weltexpresso) - Eigentlich ist Anna eine verständnisvolle Pädagogin. Nach Aufnahmeprüfungen an einem Konservatorium für hochbegabte Jungstudenten nimmt sie einen Geiger in ihre Klasse auf, an  dessen Talent ihre Kollegen zweifeln. Wiewohl sie sich harmonisch in einer bürgerlichen Existenz eingerichtet hat, wirkt die Musikerin nicht restlos zufrieden.

Zwar hat sie in dem Geigenbauer Philippe (Simon Abkarian) einen liebevollen Ehemann gefunden, und der gemeinsame Sohn Jonas (Serafin Mishiev) geht brav zur Geigenstunde bei ihrer Kollegin Köhler (Sophie Rois). Aber die Sehnsucht, sich ambitionierter mit Konzertauftritten zu verwirklichen, flackert immer mal wieder auf.

Die Filmemacherin Ina Weisse, die schon ihrem preisgekrönten Erstling „Der Architekt“ von brüchigen Beziehungen erzählte, entwirft das spannende Psychogramm einer Frau, die im Zuge hoher, gescheiterter Selbstansprüche zunehmend garstiger und unleidlicher mit ihren Mitmenschen umgeht.

In heutigen Zeiten verfallender Disziplinlosigkeit und Kuschelpädagogik könnte einem der Gedanke kommen, dass strenge Lehrerinnen mit destruktiven  Obsessionen wohl eher einem Auslaufmodell entsprechen. Folglich mag es erstaunen, dass sich das deutsche Kino in jüngster Zeit ausgerechnet an diesem Typ festbeißt, denkt man an Produktionen wie „Prélude“ mit Ursina Lardi als fieser Klavierprofessorin oder an „Lara“ mit Corinna Harfouch als einer frühpensionierten Beamtin, die ihre gescheiterten ehrgeizigen Ziele als Pianistin penetrant auf ihren Sohn projiziert.

Der Trend könnte mit den hohen Anforderungen in der Hochkultur zu tun haben, in der nur weiterkommt, wer Spitzenleistungen erbringt. Wie unter einem Brennglas die mit diesem enormen Konkurrenzdruck einhergehenden Befindlichkeiten und Deformationen zu untersuchen, mag freilich sehr reizvoll erscheinen.

Annas Porträt wirkt  fast noch komplexer als das von Frau Professor Matussek und Lara.

Zunächst geduldig arbeitet sie mit ihrem neuen Schüler Alexander (Ilja Monti) an Bach-Partiten. Sie will den fleißigen begabten Eleven zu einem großen Künstler wie Yehudi Menuhin formen.  Ihr Sohn spielt dagegen lieber Eishockey statt Geige und wird zunehmend eifersüchtiger auf den Neuling, dem sie immer mehr Aufmerksamkeit schenkt. Zunehmend gerät das Leben der viel beschäftigten Frau aus dem Ruder,  als ein  Cellist, mit dem sie eine heimliche Affäre hat, sie auch noch engagiert, mit seinem Streichquartett zu spielen. Beim entscheidenden Konzert versagt Anna vor ihren hohen Eigenansprüchen, durch eine ungeschickte Bewegung fliegt ihr der Bogen davon. Fortan steigt auch der Druck im Konservatorium im Hinblick auf die bevorstehende Zwischenprüfung. Zunehmend behandelt die Violinistin Alexander schroffer und wird übergriffig in ihren Methoden.

Die Regisseurin hütet sich allerdings vor simplen Erklärungen und Zusammenhängen. Ihr intimes Drama enthält viele Andeutungen und manche Leerstellen. In einer Szene tritt Annas Vater (Thomas Thieme) als ein sadistischer alter Mann in Erscheinung, der seinem Enkel absichtlich wehtut, um ihn für seine Neugier zu strafen.

Nina Hoss, die nach längerer Abwesenheit auf die Leinwand zurückkehrt, besticht in der Hauptpartie mit minimalistisch-nuanciertem Spiel. Ilja Monti spielt auch im wirklichen Leben die Violine, wirkt mithin in der Rolle des drangsalierten Schülers authentisch. Bei alledem ist der leise, subtile Film von großer Kennerschaft des klassischen Musikbetriebs und mit ausgewählter Kammermusik von Bach und Brahms von einem hohen künstlerischen Anspruch getragen. Ein kleines Juwel.

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© Verleih

Info:

Besetzung
Anna Bronsky   Nina Hoss
Philippe Bronsky    Simon Abkarian
Jonas Bronsky       Serafin Mishiev
Alexander Paraskevas   Ilja Monti
Christian Wels                Jens Albinus
Frau Köhler                    Sophie Rois
Walter                            Thomas Thieme

Regie .  Ina Weisse
Buch    Ina Weisse, Daphne Charizani
Kamera    Judith Kaufmann
Produzenten    Felix von Boehm