f jojoSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. Januar 2020, Teil 17

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - „Jojo Betzler, zehneinhalb Jahre alt: heute schließt du dich dem Jungvolk an ...Du befindest dich in geistiger und körperlicher Bestform. Du hast den Körper eines Panthers und den Geist eines... intelligenten Panthers. Du bist ein leuchtendes Beispiel leuchtender Perfektion.“  -Jojo Betzler

In einer ebenso witzigen wie scharfsinnigen und aufwühlenden Schilderung wird in JOJO RABBIT aus der Perspektive eines Kindes eine Welt porträtiert, die durch ihre Intoleranz verrückt geworden ist. Drehbuchautor und Regisseur Taika Waititi, der jüdische Wurzeln hat und in seiner Kindheit selbst Erfahrung mit Vorurteilen machen musste (seine Mutter ist jüdisch, sein Vater ist Māori), setzt mit dieser tiefschwarzen Satire auf die deutsche Psyche im Griff der Nazi-Ideologie im Zweiten Weltkrieg ein mitreißendes Zeichen gegen den Hass. Waititi wagt sich an eine Geschichte, die fast zu entsetzlich ist, um sie mit nüchterner Gefasstheit zu erzählen – die Geschichte eines Jungen, der, wie so viele in jener Zeit, einer Gehirnwäsche unterzogen wurde und Hitler totale Gefolgschaft geschworen hat. Aus diesem Stoff destilliert der Filmemacher eine düster funkelnde Komödie, in der er die toxischen Ideen, die geradewegs zu Antisemitismus und Verfolgung führen, aufgedröselt. In einer Gratwanderung zwischen Spaß und tödlichem Ernst verbindet Waititi den Furor einer Satire mit der unerschütterlichen Hoffnung, dass Fanatismus und Hass überwunden werden können.

Mit diesem Film tritt Waititi in die Fußstapfen seiner persönlichen Helden wie Mel Brooks, Charlie Chaplin, Ernst Lubitsch und Stanley Kubrick, um nur einige zu nennen. Wie diese legendären Filmemacher suchte auch Waititi nach einem Weg, eines der entsetzlichsten Phänomene überhaupt durch eine gnadenlos parodistische, in ihrer Wirkung jedoch paradoxerweise hochmoralische Darstellung, zu entlarven. Waititis Methode erinnert besonders an Brooks, dem es, als jüdischem Schauspieler, gelang, mit seiner albern-derben Hitler-Nummer die andauernde Faszination für den Diktator ad absurdum zu führen. Doch so sehr der Film diesen draufgängerischen Vorgängern verpflichtet ist, so ist JOJO RABBIT dennoch ganz unserer Gegenwart verpflichtet: dank zutiefst menschlicher Charaktere, deren Verblendung zwar auch amüsant ist, deren inneres Dilemma aber zugleich ganz real und erschreckend relevant erscheint.

Wie in der Vorlage, Christine Leunens gefeiertem, 2004 veröffentlichten Roman Caging Skies, beginnt die Geschichte im fiktionalen Falkenheim. Noch haben in dem idyllisch-altmodischen Städtchen die Nazis das Sagen, doch der Krieg geht spürbar dem Ende zu. Nichtsdestotrotz herrscht im Zimmer von Jojo Betzler höchste Aufregung. Endlich bekommt er die Chance, auf die er zehn Jahre gewartet: sich dem Jungvolk, also der Hitlerjugend, anzuschließen. Jojo, gutgläubig und vollkommen eingelullt von der allgegenwärtigen Propaganda, hat endlich das Gefühl, etwas wirklich großes und wichtiges vollbringen zu können: nämlich seine alleinerziehende Mutter, die er über alles liebt, zu beschützen - und vielleicht sogar irgendwo dazu gehören zu dürfen.

Um seine Unsicherheit zu bekämpfen, hat Jojo sich einen imaginären Freund geschaffen: eine clowneske, total bekloppte Hitlererscheinung, die, mit allen Emotionen, deren ein Kind fähig ist, Jojo jene Ratschläge gibt, um die der Junge andernfalls seinem abwesenden Vater gebeten hätte. Mit diesem Adolf im Kopf fühlt sich Jojo unbesiegbar. Tatsächlich aber geht sein Ärger erst richtig los. Als er im Jungvolk-Lager gedemütigt (und fast enthauptet) wird, ist er frustrierter als je zuvor.

Dann macht Jojo eine Entdeckung, die allmählich, aber grundlegend, seine Weltsicht umkrempelt. Während er einem vermeintlichen Hirngespinst hinterher jagt, entdeckt er stattdessen, dass seine Mutter hinter der Wand ein jüdisches Mädchen versteckt hat – was für alle ein furchtbares Risiko darstellt. Der Schock darüber wirft ihn fast um: die ‚Gefahr’, vor der er gewarnt wurde, ist direkt in seinem Haus, vor der eigenen Nase, nur Zentimeter entfernt von dem Ort, an dem er sich regelmäßig seinem imaginären Freund Hitler anvertraut. Doch als Jojo sich nach Kräften bemüht, die geheimnisvolle Elsa in Schach zu halten, entwickeln sich seine Angst und seine Wachsamkeit in eine ungeahnte Richtung, angesichts der sogar Adolf nicht mehr weiter weiß. Je besser er Elsa kennenlernt, umso mehr wird ihm klar, dass er niemand, auch nicht seinen Nazi-Idolen, erlauben darf, sie zu verletzen.

JOJO RABBIT ist einerseits eine komische Allegorie darüber, was passiert, wenn man zulässt, dass sich Fanatismus breit macht, sei es im eigenen Schlafzimmer oder in einer Nation; andererseits durchläuft Jojo als Junge, der allmählich erwachsen wird, aber auch eine ganz persönliche Entwicklung. Indem er schließlich den Mut findet, seine Vorurteile zu überwinden, entdeckt er auch die Macht der Liebe, die ihm hilft, seinen Weg zu ändern.

Laut Waititi ging es ihm mit seinem Film auch um einen ganz offenen, ungenierten Bruch mit dem Gewohnten. Er wollte sowohl seine eigene Komfortzone verlassen wie auch die gewohnten filmischen Wege der Darstellung der Nazi-Ära - und dies besonders im Hinblick auf die Dringlichkeit dieser Lektionen gerade in der Gegenwart. Doch angesichts des zunehmenden Nationalismus, Antisemitismus und anderer Formen religiöser und rassistischer Intoleranz in der heutigen Zeit schien die Herausforderung, das Publikum ausgerechnet für diese in der Vergangenheit spielende Geschichte zu interessieren, kaum zu stemmen.

„Ich wusste, dass ich kein schnurgerades Drama über Hass und Vorurteil drehen wollte, weil wir an diese Art von Drama längst gewöhnt sind“, erklärt Waititi. „Wenn etwas zu leicht scheint, will ich Chaos hineinbringen. Ich war immer der Überzeugung, dass eine Komödie das beste Mittel ist, um das Publikum zu entspannen. Deshalb bringe ich in JOJO RABBIT das Publikum zum Lachen. Und sobald die Menschen ihre Wachsamkeit verloren haben, lade ich ihnen Sachen auf, die ernsthaftes dramatisches Gewicht haben.“

Schriftstellerin Christine Leunens findet, dass Waititi mit seiner verdichteten und mit mehr bissigem Humor versehenen Adaption ihres Buches Komik auf ganz großartige Weise in den Dienst einer sehr ernsten Geschichte stellt. „In Taikitis Filmen ist das Lachen nie gratis“, merkt Leunens an. „Es gibt immer Hintergedanken. Auch wenn man sie nicht gleich erkennt, man spürt sie. Erst kommt das Lachen, dann die Hintergedanken, sie machen einem bewusst, das hier irgendetwas nicht ganz stimmt, etwas nicht wirklich lustig ist, und leiten einen hin zu tieferen, komplexeren Gefühlen – darunter auch die Erkenntnis, wie absurd die Situation, wie tragisch und schmerzlich sie ist.“

Foto:
© Verleih

Info:
Darsteller
Jojo      ROMAN GRIFFIN DAVIS
Elsa      THOMASIN McKENZIE
Rosie    SCARLETT JOHANSSON
Adolf    TAIKA WAITITI
Captain Klenzendorf    SAM ROCKWELL
Fraulein Rahm Finkel   REBEL WILSON

REGIE                   TAIKA WAITITI
DREHBUCH          TAIKA WAITITI
NACH DEM ROMAN CAGING SKIES VON CHRISTINE LEUNENS