Nicolas Wackerbarth
Berlin (Weltexpresso) - Der Film handelt von einem Aufbruch, einer großen Reise, die aber immer wieder verschoben wird. Ein Film, der sich im Kreisverkehr bewegt... War das die Ausgangsidee des Films? Eine Reise, die nicht stattfindet und auf der Stelle tritt?
UK: Wenn ich das so höre, dann habe ich Angst, ich komme als Filmemacher nicht vom Fleck, meinen ersten Spielfilm BUNGALOW habe ich damals als ein verhindertes Roadmovie bezeichnet. Ich denke, DAS FREIWILLIGE JAHR hat seine Dramaturgie auch dadurch gefunden, dass wir ökonomisch beschränkt waren und unser Buch sich sehr auf den Grundkonflikt konzentrieren musste.
HW: Das klingt jetzt vielleicht zu negativ. Wir fanden es doch gerade gut, dass die Ferne in dem Film eine Projektion bleibt. Wir mochten die Herausforderung, den
Raum und die Zeit zu beschränken, der Film sollte ein Kammerspiel im VW-Bus werden. Und er ist am Ende viel weniger minimalistisch geworden, als wir uns
ursprünglich vorgenommen hatten.
Ja das fällt auf, das Auto spielt eine große Rolle...
HW: Das Auto ist auf dem Land sehr viel wichtiger als in der Stadt, der VW-Bus verkörpert Urs’ Sehnsucht nach Ferne. In unserem Film wird der VW-Bus fast wie
ein Protagonist gezeigt. Das Auto blickt auf die Figuren, und führt von einer zur nächsten.
Urs und Jette kommen nicht zur Ruhe und wirken verloren. Das Leben auf dem Lande scheint fast stressiger als in der Großstadt.
UK: Mir gefällt, dass die Protagonisten nie zur Ruhe kommen, obwohl sie sich nicht vom Fleck bewegen. Auch die Akustik, der Verkehr, ständig läutet ein Handy
oder piept eine Maschine. Das Digitale ist immer präsent, und scheint auf dem Land vielleicht noch wichtiger als in der Stadt. Das ist ein gutes Beispiel für
etwas, das der Film erzählt, ohne dass wir uns das beim Schreiben vorgenommen hätten.
Die Mutter kommt in der Geschichte nicht vor, warum erzählt ihr einen alleinerziehenden Vater?
HW: Wir wollten eine möglichst enge Beziehung erzählen, eine Nähe, die für beide zerstörerisch werden kann. In einer konventionellen Familie mit zwei Elternteilen oder Geschwistern, ist die emotionale Abhängigkeit nicht so groß. Wenn Urs Jette verliert, ist er wirklich alleine. Ebenso umgekehrt.
Aber Jette hat ihren Freund, zu dem sie steht. Urs dagegen scheint die Affäre zu seiner Sprechstundenhilfe eher peinlich zu sein und möchte keine ernsthafte
Beziehung mit ihr führen. Warum diese Gegenüberstellung?
HW: Urs’ Sprechstundenhilfe Nicole und Jettes Freund Mario verkörpern beide die Provinz, bzw. die Heimat, je nachdem, wie man darauf schaut. Für Urs ist das
beengend. Er wünscht sich, dass Jette das Leben führt, das er gerne führen würde. Urs hatte seine beste Zeit während seines Auslandsjahres und hängt jetzt
als Landarzt in diesem Dorf fest. Die unglückliche Affäre zeigt seine Unfähigkeit, zu akzeptieren, wer er ist. Für Jette ist die Provinz in erster Linie ihre Heimat. Sie
liebt Mario, obwohl auch er sie auf eine passivere Art manipuliert. Sie hat etwas zu verlieren, wenn sie weggeht.
Ihr erwähntet ja bereits Tschechow. Ich musste an BANSHUN (SPÄTER FRÜHLING) denken. Habt ihr euch in der Vorbereitung mit Yasujirō Ozu beschäftigt?
HW: Ja, die Konstellation des Vaters, der seine Tochter wegschickt, obwohl er sie liebt, hat uns bei Ozu sehr berührt.
UK: Urs ist als Figur ambivalenter als der Vater bei Ozu, er geht in der Durchsetzung seiner Ziele weniger subtil vor. Er ist näher an den Vätern in THE HEIRESS von William Wyler oder A NOS AMOURS von Maurice Pialat.
HW: Auch Jette ist nicht annähernd so selbstlos wie die Tochter bei Ozu. Gerade im Vergleich zu Mario könnte man sie auch als ein verwöhntes Mädchen sehen.
Mario trägt Arbeitskleidung und macht eine Lehre im Betrieb seiner Eltern, während Jette die Chance bekommt, ins Ausland zu fahren und sich in aller Ruhe
zu überlegen, was sie später mal studieren will.
Inwieweit spielen die Klassenverhältnisse hier eine Rolle?
UK: Klassenverhältnisse trifft es nicht ganz, uns haben soziale Differenzen interessiert, die unabhängig von der ökonomischen Situation, eher auf Bildung und Herkunft basieren. Es kann sehr gut sein, dass Marios Familie finanziell besser da steht, dennoch hat Urs durch seinen Beruf in der dörflichen Hierarchie
einen höheren Status oder bildet sich zumindest ein, einen höheren Status zu haben...
NW: ... den seine Tochter nicht verlieren soll.
HW: Ja. Seine Intoleranz gegenüber Mario, dessen Welt er für eingeschränkt hält, ist ein Widerspruch, den er sich vermutlich nicht eingestehen würde. Er sieht sich
selbst als einen toleranten Menschen mit liberaler Grundhaltung.
Maj-Britt Klenke wechselt mühelos und glaubhaft von passiv, verträumt zu aktiv, abenteuerlustig. War das eine Qualität, die euch auch aufgefallen ist? Warum
habt ihr sie besetzt?
HW: Wir hatten ein sehr ausgiebiges Casting. Als wir Maj-Britt gesehen haben, war sie sofort eine Favoritin, da sie sehr natürlich vor der Kamera ist und einen ständig überrascht. Das Widerspenstige, das sie der Figur gegeben hat, hat uns gut gefallen. Im Buch war Jette eher ängstlicher und braver angelegt.
UK: Maj-Britt ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von dem, was wir uns vorgestellt hatten. Dieser Widerspruch erzeugt für uns eine Spannung, die den Film trägt und Jettes Weggehen am Ende glaubwürdig macht. Auch die anderen Rollen haben wir eher gegen den Strich besetzt. Urs steht durchgehend unter Spannung, seine Getriebenheit verdankt der Film allein der physischen Präsenz von Sebastian (Rudolph). Wir waren mit den Darstellern sehr glücklich, sie kamen zum Teil aus sehr unterschiedlichen Richtungen und haben uns durch ihr Zusammenspiel viel geschenkt und den Film zum Leben gebracht.
Foto:
© Verleih
Info:
Deutschland 2019, 86 Minuten, deutsche Originalfassung, Regie und Drehbuch: Ulrich Köhler und Henner Winckler, Kamera: Patrick Orth, Schnitt: Laura Lauzemis, Ton: Johannes Grehl, Szenenbild: Pelin Gebhard, Ivana Vukovic, Kostümbild: Birgitt Kilian, Produktion: Sutor Kolonko, Produzent: Ingmar Trost, Koproduzentin: Katrin Schlösser, Redaktion: Corinna Liedtke (WDR), mit Maj-Britt Klenke, Sebastian Rudolph, Thomas Schubert, Katrin Röver, Daniel Nocke, Stefan Stern, Margarita Breitkreiz, Helmut Florian Rupprecht, Hussein Eliraqui u. v. a.
Abdruck aus dem Presseheft
DAS FREWILLIGE JAHR auf Kinotour:
3.2. um 19 Uhr – Neues Maxim München (Gast: Ulrich Köhler)
4.2. um 18 Uhr – Atelier am Bollwerk Stuttgart (Gast: Ulrich Köhler)
5.2. um 19.30 Uhr – Karlstorkino Heidelberg (Gast: Ulrich Köhler)
5.2. um 20 Uhr – Mal seh’n Kino Frankfurt/Main (Gast: Henner Winckler)
6.2. um 18.45 Uhr – Thalia Kino Potsdam (Gast: Henner Winckler)
7.2. um 20 Uhr – Hackesche Höfe Kino Berlin (Gäste: Maj-Britt Klenke, Ulrich Köhler, Henner Winckler und das Filmteam)
8.2. um 19 Uhr – Cinema Münster (Gast: Henner Winckler)
9.2. um 16.30 Uhr – Bambi Kino Düsseldorf (Gast: Henner Winckler)
9.2. um 19.30 Uhr – Abaton Hamburg (Gast: Ulrich Köhler)
11.2. um 19 Uhr – fsk Kino Berlin (Gast: Henner Winckler)
12.2. um 19 Uhr – Filmpalette Köln (Gast: Maj-Britt Klenke)
12.2. um 19.30 Uhr – Passage Kino Leipzig (Gast: Henner Winckler)
15.2. um 19 Uhr – Wolf Kino Berlin (Gast: Henner Winckler)
HW: Das Auto ist auf dem Land sehr viel wichtiger als in der Stadt, der VW-Bus verkörpert Urs’ Sehnsucht nach Ferne. In unserem Film wird der VW-Bus fast wie
ein Protagonist gezeigt. Das Auto blickt auf die Figuren, und führt von einer zur nächsten.
Urs und Jette kommen nicht zur Ruhe und wirken verloren. Das Leben auf dem Lande scheint fast stressiger als in der Großstadt.
UK: Mir gefällt, dass die Protagonisten nie zur Ruhe kommen, obwohl sie sich nicht vom Fleck bewegen. Auch die Akustik, der Verkehr, ständig läutet ein Handy
oder piept eine Maschine. Das Digitale ist immer präsent, und scheint auf dem Land vielleicht noch wichtiger als in der Stadt. Das ist ein gutes Beispiel für
etwas, das der Film erzählt, ohne dass wir uns das beim Schreiben vorgenommen hätten.
Die Mutter kommt in der Geschichte nicht vor, warum erzählt ihr einen alleinerziehenden Vater?
HW: Wir wollten eine möglichst enge Beziehung erzählen, eine Nähe, die für beide zerstörerisch werden kann. In einer konventionellen Familie mit zwei Elternteilen oder Geschwistern, ist die emotionale Abhängigkeit nicht so groß. Wenn Urs Jette verliert, ist er wirklich alleine. Ebenso umgekehrt.
Aber Jette hat ihren Freund, zu dem sie steht. Urs dagegen scheint die Affäre zu seiner Sprechstundenhilfe eher peinlich zu sein und möchte keine ernsthafte
Beziehung mit ihr führen. Warum diese Gegenüberstellung?
HW: Urs’ Sprechstundenhilfe Nicole und Jettes Freund Mario verkörpern beide die Provinz, bzw. die Heimat, je nachdem, wie man darauf schaut. Für Urs ist das
beengend. Er wünscht sich, dass Jette das Leben führt, das er gerne führen würde. Urs hatte seine beste Zeit während seines Auslandsjahres und hängt jetzt
als Landarzt in diesem Dorf fest. Die unglückliche Affäre zeigt seine Unfähigkeit, zu akzeptieren, wer er ist. Für Jette ist die Provinz in erster Linie ihre Heimat. Sie
liebt Mario, obwohl auch er sie auf eine passivere Art manipuliert. Sie hat etwas zu verlieren, wenn sie weggeht.
Ihr erwähntet ja bereits Tschechow. Ich musste an BANSHUN (SPÄTER FRÜHLING) denken. Habt ihr euch in der Vorbereitung mit Yasujirō Ozu beschäftigt?
HW: Ja, die Konstellation des Vaters, der seine Tochter wegschickt, obwohl er sie liebt, hat uns bei Ozu sehr berührt.
UK: Urs ist als Figur ambivalenter als der Vater bei Ozu, er geht in der Durchsetzung seiner Ziele weniger subtil vor. Er ist näher an den Vätern in THE HEIRESS von William Wyler oder A NOS AMOURS von Maurice Pialat.
HW: Auch Jette ist nicht annähernd so selbstlos wie die Tochter bei Ozu. Gerade im Vergleich zu Mario könnte man sie auch als ein verwöhntes Mädchen sehen.
Mario trägt Arbeitskleidung und macht eine Lehre im Betrieb seiner Eltern, während Jette die Chance bekommt, ins Ausland zu fahren und sich in aller Ruhe
zu überlegen, was sie später mal studieren will.
Inwieweit spielen die Klassenverhältnisse hier eine Rolle?
UK: Klassenverhältnisse trifft es nicht ganz, uns haben soziale Differenzen interessiert, die unabhängig von der ökonomischen Situation, eher auf Bildung und Herkunft basieren. Es kann sehr gut sein, dass Marios Familie finanziell besser da steht, dennoch hat Urs durch seinen Beruf in der dörflichen Hierarchie
einen höheren Status oder bildet sich zumindest ein, einen höheren Status zu haben...
NW: ... den seine Tochter nicht verlieren soll.
HW: Ja. Seine Intoleranz gegenüber Mario, dessen Welt er für eingeschränkt hält, ist ein Widerspruch, den er sich vermutlich nicht eingestehen würde. Er sieht sich
selbst als einen toleranten Menschen mit liberaler Grundhaltung.
Maj-Britt Klenke wechselt mühelos und glaubhaft von passiv, verträumt zu aktiv, abenteuerlustig. War das eine Qualität, die euch auch aufgefallen ist? Warum
habt ihr sie besetzt?
HW: Wir hatten ein sehr ausgiebiges Casting. Als wir Maj-Britt gesehen haben, war sie sofort eine Favoritin, da sie sehr natürlich vor der Kamera ist und einen ständig überrascht. Das Widerspenstige, das sie der Figur gegeben hat, hat uns gut gefallen. Im Buch war Jette eher ängstlicher und braver angelegt.
UK: Maj-Britt ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von dem, was wir uns vorgestellt hatten. Dieser Widerspruch erzeugt für uns eine Spannung, die den Film trägt und Jettes Weggehen am Ende glaubwürdig macht. Auch die anderen Rollen haben wir eher gegen den Strich besetzt. Urs steht durchgehend unter Spannung, seine Getriebenheit verdankt der Film allein der physischen Präsenz von Sebastian (Rudolph). Wir waren mit den Darstellern sehr glücklich, sie kamen zum Teil aus sehr unterschiedlichen Richtungen und haben uns durch ihr Zusammenspiel viel geschenkt und den Film zum Leben gebracht.
Foto:
© Verleih
Info:
Deutschland 2019, 86 Minuten, deutsche Originalfassung, Regie und Drehbuch: Ulrich Köhler und Henner Winckler, Kamera: Patrick Orth, Schnitt: Laura Lauzemis, Ton: Johannes Grehl, Szenenbild: Pelin Gebhard, Ivana Vukovic, Kostümbild: Birgitt Kilian, Produktion: Sutor Kolonko, Produzent: Ingmar Trost, Koproduzentin: Katrin Schlösser, Redaktion: Corinna Liedtke (WDR), mit Maj-Britt Klenke, Sebastian Rudolph, Thomas Schubert, Katrin Röver, Daniel Nocke, Stefan Stern, Margarita Breitkreiz, Helmut Florian Rupprecht, Hussein Eliraqui u. v. a.
Abdruck aus dem Presseheft
DAS FREWILLIGE JAHR auf Kinotour:
3.2. um 19 Uhr – Neues Maxim München (Gast: Ulrich Köhler)
4.2. um 18 Uhr – Atelier am Bollwerk Stuttgart (Gast: Ulrich Köhler)
5.2. um 19.30 Uhr – Karlstorkino Heidelberg (Gast: Ulrich Köhler)
5.2. um 20 Uhr – Mal seh’n Kino Frankfurt/Main (Gast: Henner Winckler)
6.2. um 18.45 Uhr – Thalia Kino Potsdam (Gast: Henner Winckler)
7.2. um 20 Uhr – Hackesche Höfe Kino Berlin (Gäste: Maj-Britt Klenke, Ulrich Köhler, Henner Winckler und das Filmteam)
8.2. um 19 Uhr – Cinema Münster (Gast: Henner Winckler)
9.2. um 16.30 Uhr – Bambi Kino Düsseldorf (Gast: Henner Winckler)
9.2. um 19.30 Uhr – Abaton Hamburg (Gast: Ulrich Köhler)
11.2. um 19 Uhr – fsk Kino Berlin (Gast: Henner Winckler)
12.2. um 19 Uhr – Filmpalette Köln (Gast: Maj-Britt Klenke)
12.2. um 19.30 Uhr – Passage Kino Leipzig (Gast: Henner Winckler)
15.2. um 19 Uhr – Wolf Kino Berlin (Gast: Henner Winckler)