Serie: Die heute anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 4. Juli 2013, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt (Weltexpresso) – Wir werden auch nach diesem Film eine aficionada des spanischen Filmregisseurs Pedro Almodóvar bleiben, auch wenn der neueste Film die Sehnsucht nach solchen Knüllern wie FRAUEN AM RANDE DES NERVENZUSAMMENBRUCHS übermächtig werden läßt. Dafür gibt es dann DVDs.

 

 

 

FLIEGENDE LIEBENDE

 

Ja, das gibt es. Daß man sich auf Filme so richtig freut und dann leicht bedröppelt nach der Pressevorführung hinausgeht und das, obwohl man sehr oft gelacht hat, was doch für eine angesagte Komödie passend ist. Eigentlich schon. Aber nicht, wenn der Regisseur Pedro Amodovár heißt. Denn der hat uns gelehrt, daß hinter dem Scherz und den Unglücken des Lebens etwas Verborgenes blüht, das auf die scherzhafte Art erst so richtig herauskommt, wenn eben die Unglücke eintreten und es die Frauen, immer wieder die Frauen sind, die dem Leben mit Vitalität und dem Nichtaufgeben seine Existenzberechtigung geben. Das zumindest gilt für seine schrill-bunten Komödien. Sonst.

 

Hier ist alles anders. Aus einer amüsanten Geschichte, die viel Spannung verspricht, entsteht genau da eine Leerstelle, die Almodóvar ansonsten besonders gut füllt: das Lebendige. Es ist alles zu sehr vorhersagbar, was an Phantastik und Über den Wolken Schweben hervorgeht. Und obwohl die Typen, mit denen der Spanier vor allem seine Männer in gewohnter Manier als schwule Herzensbrecher inszeniert, wunderbar sind und slapstickartig spielen, fehlt es diesmal genau an dem, was Amodovárs Geheimnis ist: das Hervorbrechen der wahren Gefühle in falschen Situationen oder falschen Geschlechtern.

 

Aber vor die Enttäuschung, die halt deshalb da ist, weil die Erwartungen so groß sind, soll erst einmal der Filminhalt gesetzt sein. Denn anschauen soll man ihn sich schon, den neuen Film von Pedro Almodóvar! „Verehrte Fluggäste, aufgrund eines kleinen technischen Problems werden wir in Kürze notlanden, falls wir es bis zum nächsten Flughafen schaffen sollten. Es besteht kein Grund zur Beunruhigung, aber ein Gebet könnte sicherlich nicht schaden. Meine Kollegen und ich werden versuchen, Ihnen den Flug so angenehm wie möglich zu gestalten.“

 

Als der Chefsteward diese Durchsage macht, ist das Flugzeug in Madrid Barajas Richtung Mexiko City gerade erst gestartet und nur wir Zuschauer wissen, weshalb diese Ansage erfolgt. Denn wir haben zu Beginn die höchst prominent besetzte Ursache für das flugtechnische Malheur mitbekommen: Beim Koffertransport hat der einladende León in Person des Antonio Banderas vor Schreck und mit Wucht einen Koffer ans Fahrgestell der Maschine Flug 2549 schleudern lassen, als die von ihm angebetete Ehefrau Jessica – wie immer im Vollbesitz ihrer Kräfte Penélope Cruz – den Kofferwagen vor das Flugzeug bugsiert und ihm gleichzeitig klar wird, daß sie schwanger ist. Von ihm natürlich. Dieser Koffer wird gerettet, aber León vergißt, die Bremsklötze an diesem Fahrgestell zu entfernen. Dieses Fahrgestell zeitigt also Folgen.

 

Die erleben wir erst einmal nur in der Business-Class mit, denn die Touristenklasse, die sogenannte Holzklasse, ist schon durch die umsichtigen Flugbegleiter mit Schlafmitteln sediert worden. Schnell entpuppen sich die drei Stewards Joserra (Javier Cámara), Fajas (Carlos Arecoes) und Ulloa (Raúl Arévalo) nicht nur als extraelegante Schwulis – und was für welche, eben in der Art des Pedro Almodóvars - , sondern als noch gegenseitig verbändelt, einschließlich des bestens verheirateten Flugkapitäns, was angesichts des so männlich verantwortungsvollen Jobs als Kapitän schon eine Herausforderung ist, der Alex Acero, gespielt von Antonio de la Torre, in dieser Situation zwiespältig begegnet. Es ist der Stil des ganzen Films, das auf dem kurzen Flug, der erst nirgends landen darf und dann auf dem neuen Geisterflughafen LA MANCHA, daß jeder Insasse etwas Neues erfährt. Dieser Kapitän auf jeden Fall kriegt mit, daß seine Ehefrau längst weiß, daß er schon länger eine Liebesaffäre mit dem Chef-Steward hat.

 

Sein Kopilot Benito (Hugo Silva) lernt auch dazu. Denn der eingeschworene Hetero entdeckt, daß er eigentlich andersherum gepolt ist. So lernt jeder etwas dazu und die Zuschauer, wie man sich im Flugzeug besser nie benehmen soll. Erst recht nicht, wenn es nur ein Telefon gibt, über das die Gespräche mit der eventuellen Nachwelt – daß ein Absturz droht, macht die meisten so ehrlich – mitgehört werden und sich so die düstersten wie interessantesten Lebensgeheimnisse enthüllen.

 

Eigentlich aber geht es um die Fluggäste und auch im Nachhinein fragt man sich, warum man von diesem Film nicht begeistert sprechen kann, denn die Geschichten, die sich mit diesen Fluggästen ergeben, sind einzigartig. Vielleicht ist einfach von allem zu viel. Auf jeden Fall sprengt es die Filmkritik, vom Bräutigam und seiner Braut, die dieser mit Schlafmittel dauersediert, aber dennoch öffentlich auf dem Sitz die Ehe mit ihr vollzieht, richtig zu erzählen wie auch vom Señor Infante, der als sehr geheimnisvoller Passagier einen Auftragskiller darstellt, mit dem die Berühmtheit an Bord, Norma, dargestellt von Cecilia Roth, die mit allen bekannten Männern Spaniens geschlafen hat und darüber sprechen will, gleich anbändelt, nicht wissend, daß sie eigentlich am Landeplatz Mexiko City von ihm umgebracht werden soll, was er in dieser existentiellen Situation zwischen Leben und Tod, gepaart mit Sex, entlarvt.

 

Die vielleicht schönste Geschichte hat die altbackene Bruna (herrlich wieder Lola Duenas), die Hellseherin ist und noch immer auf ihre Entjungferung wartet, die sie auf diesem Flug herannahen spürt, aber da ist noch der Señor Mas (auf Deutsch 'Mehr'), der Gelder veruntreut hat und einen Großflughafen klein aussehen läßt, genau den Flughafen, der nun als einziger die Landeerlaubnis erteilt. Er war auf der Flucht und muß sich nun dem politisch-rechtlichen Prozedere stellen, bekommt dafür aber wieder Kontakt mit seiner Tochter...

 

Ja, so wird es sein, es sind einfach zu viele Geschichten, die eigentlich einen eigenen Film wert wären – beispielsweise die hinreißende Szene, als von der Brücke, wo die junge Frau in den Tod springen will, stattdessen ihr Handy nach unten segelt, direkt in die Tasche einer vorbeiradelnden Frau, die das Gespräch weiterführt - ...und damit wären wir noch längst nicht zu Ende. Also, eigentlich ist alles zum Dauerlachen da, nur das Unbeschwerte fehlt, denn das Maß des Verrückten ist zu allgegenwärtig, so daß sich eher Überdruß an den tollen Ideen einstellt. Schade, aber eigentlich nur ein Grund, dem nächsten Film von Almodóvar positiv entgegenzusehen.