70. Berlinale vom 20. 2. - 1. 3.2020, WETTBEWERB, Teil 13/18
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Man kann gar nicht anders, als zum einen das Original, den Roman BERLIN ALEXANDERPLATZ sowie die Fassbinderverfilmungen vor Augen zu haben, wenn sich Regisseur Burhan Qurbani traut, den Proletarier Franz Biberkopf als Flüchtling Francis(Welket Bungué ) aus Bissao nach Berlin kommen zu lassen und im hiesigen Dschungel literarisch korrekt untergehen läßt.
Ich weiß auch nicht, warum ich bei dieser Verfilmung nicht so sehr Döblin im Sinn hatte, sondern immer wieder Brecht und das nicht nur, weil wieder einmal die Ballade von der menschlichen Unzugänglichkeit aufgeht:
Ja, mach nur einen Plan!
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch’nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht schlecht genug.
Doch sein höheres Streben
Ist ein schöner Zug.
Wir sind über 183 Minuten Zeugen des Strebens nach Höherem und des grandiosen Scheiterns alle Vorhaben, aller Lieben von Francis, und das Eigenartige ist, daß, was am Anfang noch fremd, ja gewollt erscheint, wenn Francis und seine Gefährtin Ida in den Meeresfluten um ihr Leben kämpfen, Ida untergeht und sich Francis retten kann und nach Berlin kommt. Er hat keine Papiere, das macht ihn zu einer Verfügungsmasse für jeden, der ihm Lohn und Brot verschaffen kann. Er ist strebsam und arbeitet als Bauarbeiter, verliert aber seine Stelle, als er für einen verunglückten Arbeiter die Rettung holt. Denn nun muß der Chef alle Schwarzarbeiter sofort dieser Baustelle entziehen und woanders einsetzen.
Francis‘ Quartier voller schwarzer Flüchtlinge ist nahe der Hasenheide, wo der Zwischenhändler Reinhold (genial im gleichermaßen Körper und Seele bestimmenden schleimigen Auftritt: Albrecht Schuch) das Sagen hat und den Flüchtlingen Geld für Drogendienste verteilt, die sie von ihm abhängig machen, Zwar wehrt sich Francis, der dann zum Franz wird, mit Drogen zu handeln, aber er wird im Verlauf der Zeit immer wieder daran scheitern, daß er die Konsequenz seines Handelns nicht überblickt und was gut gemeint war, schlecht, ganz schlecht mit Mord und Totschlag ausgeht. Er läßt sich von Reinhold psychisch, nicht physisch verführen.
So wird er zum Spielball des bauernschlauen Psychopathen Reinhold, dem er folgt, weil er die Freundschaft für ein hohes Gut hält und die Handlungen Reinholds nicht als das begreift, was sie sind: verbrecherische Schachzüge, um alle gegeneinander aufzuhetzen. Dies durchschaut am ehesten noch der eigentliche King des Berliner Drogenhandels, Pums (Joachim Król), der den Zwangscharakter des Reinhold, seine menschenverachtende und Frauen demütigende Natur erkennt und lange in Schach hält, bis er selbst Reinholds Opfer wird.
Zeit, von den Frauen zu sprechen, die allesamt Franz zugetan sind, was er nicht entsprechend würdigen kann, weil er dem Mannsein und der Männerfreundschaft mit Reinhold den Vorzug gibt. Da ist erst einmal die Clubbesitzerin Eva (Annabelle Mandeng), die die Verhältnisse durchschaut und sacht zu lenken versucht. Er findet sie gut, aber auch nicht mehr - und mehr wird es dann mit Mieze, die eine bessere Edelhure ist, sich selbstbestimmt fühlt und in Franz verliebt , wie er sich in sie.
Das innige Glück der beiden fordert die sadistische Ader von Reinhold geradezu heraus. Mieze wird zudem schwanger, gleichzeitig bindet Reinhold erneut Franz durch einen deutschen Paß. Das Leben kann gut werden, die Weichen sind gestellt. Doch erweisen sich seine Erwartungen erneut als menschliche Unzulänglichkeit. Die Rechnung ist ohne den Wirt Reinhold gemacht, der zum Schnitter Tod wird.
Doch, Berlin kommt auch vor. Man verfolgt gewissermaßen sicher im Kinosessel das Treiben der Unterwelt in Etablissements, die nach Babylon Berlin aussehen. Man hat Mitleid, empfindet Abscheu und Haß. Was etwas sperrig beginnt, nimmt Fahrt auf, wirkt nicht mehr so theaterhaft, aber es bleibt ein Rest an Ungewissem, was man da eigentlich gesehen hat. Aber: es hat was. Absolut.
P.S. Nur Ida blieb mir als Stolperstein im Herzen. Francis‘ Gefährtin ist in den Fluten umgekommen. Er ruft und ruft „Ida!“. Dann kommt er nach Berlin und muß überleben. Die ganze Zeit frage ich mich, warum den Film über von Ida nie wieder die Rede ist. Die Frauen kommen, sie gehen nicht, sondern bleiben. Nur einmal, in einer existentiellen Situation kommt „Ida“ über seine Lippen. Einmal.
Foto:
Wie die Pieta hält Mieze hier den verletzsten Franz, am Schluß wird sie die Ermordete sein
© Verleih
Info:
Regie: Burhan Qurbani
Buch: Martin Behnke, Burhan Qurbani
Kamera: Yoshi Heimrath
Darsteller
Welket Bungué (Francis)
Jella Haase (Mieze)
Albrecht Schuch (Reinhold)
Joachim Król (Pums)
Annabelle Mandeng (Eva)
Nils Verkooijen (Berta)
Richard Fouofié Djimeli (Ottu)
Thelma Buabeng (Amira)
Faris Saleh (Masud)
Michael Davies (Bantu)