Bildschirmfoto 2020 02 28 um 20.28.4770. Berlinale vom 20. 2. - 1. 3.2020, WETTBEWERB, Teil 17/18

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Ein Film wie ein Schmerz, der egal von welcher Seite man kommt, immer den ganzen Körper und die ganze Seele erfaßt. Gehalt des Films sind die beide größten menschlichen Katastrophen des 20. Jahrhunderts, der industrielle Massenmord von Menschen in den KZs durch die Nazis im Zweiten Weltkrieg und die Folgen des Abwurfs der US-Atombombe von Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945.

Bildschirmfoto 2020 02 28 um 20.28.58Um diese schrecklichen Ereignisse kreisen all die anderen Bilder und Texte, die durch die Dreiteilung der Leinwand eine formale Gliederung erhalten. Mal ist auf allen drei Abschnitten dasselbe zu sehen, mal führen rechts und links Bewegungen zur Mitte hin. Man könnte sagen, daß wir es mit einer Poesie des Schrecklichen zu tun haben, denn zusätzlich gibt es einen französischen Sprecher, dessen Reflexionen oben auf Englisch unten auf Deutsch erscheinen in einer durchgehend Schwarz-Weißen Leinwand.

Ein Mann, es sind die Hände eines älteren Mannes, setzen mit der Pinzette ein Häuschen zusammen, wie für die Puppenstube, wohin er dann den Anlaß für sein Werk plaziert: ein Familienfoto. Sieht man nun diesen individuellen Menschen gleich dreimal sein Handwerk liebevoll verrichten, wird aus der Einzigartigkeit, die man ja eigentlich fühlt, doch eine serielle Erfahrung. Dieses Gefühl setzt sich fort, daß wir es fortlaufend mit Einzigartigkeiten zu tun haben, daß diese aber nur für die Betroffenen so wirken, im Großen und Ganzen dagegen die Sache und damit der Schmerz die von ganz vielen ist.

Der Schöpfer und damit der Regisseur dieses Film, dem die dokumentarische Form eingeschrieben ist, meint: „Was es bedeutet, Überlebender zu sein, lässt sich nicht in Worte fassen. Weiterleben, Verbindung aufnehmen zu diesen Irradiationen, für die es vielleicht keine Ursache, über die es nichts zu wissen, aber vor denen es keinen Schutz gibt. Das Böse strahlt aus. Es schmerzt – auch spätere Generationen. Doch jenseits dieses Schmerzes liegt Unschuld.“ (Panh)

Unschuld? Ein weites Wort, ein unendlicher Begriff und so ungefähr das Gegenteil, von dem, was man beim Zuschauen der Leichenberge denkt. Da fällt einem nur Schuld ein. Denn die ganzen 88 Minuten gibt es niemanden, auf den man die Schuld abladen kann, keine Natur, man sieht die Hitler zugrölenden Hakenkreuzanhänger, diese Katastrophen sind menschengemacht und wir sind dafür verantwortlich, daß sie sich nicht wiederholen.

Mir stellte sich die Frage, ob wir die Massengräber, die Hügeln aus nackten Schädeln, die Leichenberge, das Zusammenkarren der ausgemergelten Toten und deren Aufeinanderhäufen, wirklich auf der Leinwand zeigen dürfen, ob nicht das, was wir immer einfordern an Respekt für Lebendige, auch für Tote gilt. Die Frage stellte sich mir auch deshalb, weil dieser Film denen unter die Haut geht, die um die Verbrechen wissen und sie verabscheuen, aber sicher keine, der damit nichts zu tun haben möchte, oder sogar das nicht so schlimm, ja geradezu richtig findet, ins Kino führt.

Ich habe auch ein Problem mit der Poesie, die in den Worten Ausdruck findet und durch musikalische Einschübe eher verstärkt wird. Und selbst die Rhythmisierung in die erwähnte Leinwanddrittelung, die den Film über durchgehalten wird, und sicher gut geeignet ist, den Zuschauer zu binden, ist mir dann doch eher didaktisches Mittel, dabeizubleiben, als Vertiefung des mörderischen Aspekts, daß hier Menschen durch Blei und Gas sowie medizinische Versuche ermordet wurden, während die Atombombe nicht nur zu unendliche vielen Toten führte, sondern für viele weitere Leben zu genetischen Schäden beitrug, die auf Generationen nachwirken.

Gleichzeitig erledigt Rithy Panh durch das Stöbern in massenhaften Archiven und das Festhalten auf der Leinwand auch die Aufgaben eines Archäologen der jüngst vergangenen Geschichte, die noch lange nicht abgeschlossen ist, wie man täglich in den Nachrichten hört. Wir haben es also auch mit einem Wiederkehrphänomen zu tun und da kann es dann wiederum nicht genug Beispiele für die Schrecken und Verbrechen der Vergangenheit geben.

Eine Elegie auf die Toten und das 20. Jahrhundert - und gleichzeitig, darauf legt Rithy Panh wert, sei der Film voll von Hoffnung. ER habe das Seine getan, er lege nun den Film in unsere Hände, sagte er zum Abschluß der Pressekonferenz nach der Filmvorführung.

Foto:
© Verleih

Info
:
von Rithy Panh

mit
Bion (Butoh-Künstler)
André Wilms (Lui)
Rebecca Marder (Elle)

Frankreich / Kambodscha 2020
Französisch,  Untertitel: Englisch,  Deutsch
88’Farbe & Schwarz-Weiß