wpo saudi runaway ORGZwei Frauenfilme aus Saudi-Arabien

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Die völlig zugehängte Muna ist nicht nur (männer-) gesellschaftlich ausgeschlossen, sondern aus ihrer Perspektive kann sie die Umwelt lediglich schemenhaft wahrnehmen. Fotos vom wackeligen iPhone zeigen ihre Isolation in der Öffentlichkeit. Ansonsten wird der jungen Frau und der übrigen Familie vom absolut herrschenden Vater alles verboten. Legitimiert durch das politische System kann sie nicht alleine rausgehen, nicht einkaufen, nichts selber entscheiden.

Ihr kleiner Bruder wird ständig verprügelt, sie soll bald zwangsverheiratet werden. Immer wieder erzählt die Sechsundzwanzigjährige ihre Demütigungen, ihre Verzweiflung, ihre Wut in beklemmenden iPhone-Videos: „Ich muss in einem Steinzeitland leben!“ Aber sie hält auch aus sehr eigenartigen Kameraperspektiven positive Ereignisse fest, wie die Unbekümmertheit der nicht verschleierten Frauen untereinander oder Naturereignisse wie einen in Saudia-Arabien seltenen Dauerregen. Seltsame Blickwinkel der häufig bewegten oder fest aufgestellten Kamera. Der Wechsel vom Gewackel beim Laufen mit starren Einstellungen. Oft unscharfe oder verwaschene Bilder. Das alles suggeriert eine unglaubliche Authentizität, die einen sehr stark in den Film hineinzieht und bewegt.


wpo saudi runaway 2Der Film lief auf der Berlinale in der Sektion „Panorama Dokumente“. Jedoch erst nach der Vorführung erfuhr ich, dass das Bildmaterial zwar von der professionellen Regisseurin Susanne Regina Meures zusammengestellt und geschnitten wurde. Doch die Aufnahmen waren alle echt und wurden von Muna selbst oder von nicht in ihr Projekt eingeweihten Verwandten aufgenommen: Mit geheimer Unterstützung einer saudischen Selbsthilfegruppe in Europa dokumentierte sie nicht nur ihre unterdrücktes Leben in dem muslimischen Land, sondern auch die Planung und Durchführung ihrer listigen Flucht in der Hochzeitsnacht. Ein für sie lebensgefährliches Unterfangen! Erst auf der Berlinale 2020 zeigte sich Muna zum ersten Mal mit der Regisseurin
in der Öffentlichkeit (Foto links) bei der Vorstellung
des Streifens, der hoffentlich bald in die Kinos kommt.

 
In die Kinos kommt in der nächsten Woche dagegen ein Spielfilm, der sich ebenfalls mit dem Thema der Unterdrückung saudischer Frauen beschäftigt: „Die perfekte Kandidatin“ Eine völlig verschleierte Frau rappelt mit ihrem Auto über eine heruntergekommene Straße, hält vor einer Klinik an, steigt aus und verwandelt sich in die Ärztin Maryam (Mila Alzahrani). Täglich ärgert sie sich über den Zustand der Zufahrt zum Krankenhaus, ständig wird sie von (meist alten) Männern gedemütigt, die sich weigern, von ihr behandelt zu werden. Sie möchte sich in eine größere Stadt versetzen lassen, um dort unter besseren Bedingungen medizinisch zu arbeiten. Zur Bewerbung kann sie nicht mit dem Flugzeug reisen, weil sie keine Genehmigung ihres Vaters, der gerade auf einer längeren Musiktournee unterwegs ist, vorweisen kann. Einen beamteten Cousin, den sie um Hilfe bittet, nimmt nur Bewerbungen für die Wahl des Stadtrates an. Wütend bewirbt sich Maryam um diesen Posten und startet mit ihren Schwestern eine in diesem Land zwar nicht verbotene, aber dennoch unfassbare Kampagne. Zu ihrem politischen Hauptziel erklärt sie den Ausbau der Straße zum Krankenhaus...

wpo kandidatin 1                                                                         Die zwei Gesichter eine saudi-arabischen Frau

Obwohl „die Kandidatin“ hochgebildet ist und aus einer sehr liberalen Familie kommt, ist sie trotzdem den Zwängen der saudischen Männerherrschaft ausgesetzt. Die Geschichte mit einem überraschenden Schluss ist spannend, allerdings sehr gradlinig und brav erzählt, hat weder die cineastische Qualität noch die emotionale Wucht wie „Saudi Runaway“. Trotzdem ist er ein sehenswerter Film der Regisseurin Haifaa al Mansour, die bereits großen Erfolg mit „Das Mädchen Wadjda“ hatte.

Beide Filme machen die besondere Verlogenheit und Perfidie des saudi-arabischen Patriachats deutlich und verneigen sich vor dem unbeugsamen Willen der Frauen dieses Landes, von denen jährlich Tausende  auf abenteuerlichen und lebensgefährlichen Wegen entfliehen.

Foto:
Oben Muna im Hotelzimmer (c) Christian Frei Filmproductions
Mitte Muna und die Regisseurin auf der Berlinale 2020 (c) Berlinale
Unten (c) Neue Visionen Filmverleih

Info:
„Saudi Runaway“, Schweiz 2020, 88 Minuten, Verleih und Filmstart ungewiss
Regie Susanne Regina Meures mit Muna
„Die perfekte Kandidatin“, Saudi-Arabien/Deutschland 2019, 101 Minuten, Filmstart 12. März
Regie Haifaa al Mansour mit Mila Alzahrani, Dae Al Hilali, Shafi Al Harthy und anderen.