Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. März 2020, Teil 6
Redaktion
Berlin (Weltexpresso) - Ein Sommer, alle Jahreszeiten: NARZISS UND GOLDMUND entstand vom 16. August bis 12. Oktober in Österreich und Tschechien. Hauptmotive waren die 1145 errichtete Burg Hardegg im Thayatal an der österreichisch-tschechischen Grenze sowie das mittelalterliche Stift Zwettl, eine halbe Stunde entfernt im Waldviertel (Niederösterreich) gelegen. Hier wurden sämtliche Szenen im Kloster Mariabronn gedreht.
Der Schauplatz Burg Hardegg, wo sich die Produktion zwei Wochen aufhielt, war für Christoph Müller auch aus persönlichen Gründen überwältigend: „Hier habe ich vor 28 Jahren meinen allerersten Studentenfilm gemacht, einen Ritterfilm. Nun stehe ich wieder hier und drehe einen Film, den ich schon während meiner Hochschulzeit machen wollte!“
Am Anfang aber war das Paradies, verrät Christoph Müller. Gemeint ist Goldmunds glückliche Zeit mit Lene in der Natur – die „Hippie-Sequenz“, wie Jannis Niewöhner das Szenario zärtlich nennt. Der Drehstart im sommerlichen Tschechien war auch für die Schauspieler ein wunderbar befreiender Auftakt: Henriette Confurius genoss es, die ganze Zeit barfuß zu laufen und nicht auf ihr Kostüm achten zu müssen, „weil Lene ruhig ein wenig dreckig und patiniert sein darf“.
„Das war wirklich ein Traum; diese Stimmung“, fügt Christoph Müller hinzu. „Wir hatten ja diesen phänomenalen Sommer.“
„Wir haben im Vorfeld sehr genau geplant, wann die Sonne wo steht“, führt Stefan Ruzowitzky aus. „Natürlich hatten wir auch Glück, weil das Wetter fast immer schön war. Aber wir haben eben auch viel dafür getan, dieses Glück dann perfekt nutzen zu können.“
„Bei einem so epischen Film wie NARZISS UND GOLDMUND, der sich über Jahrzehnte und alle Jahreszeiten erstreckt, muss man natürlich jede Atmosphäre und Temperatur im wahrsten Sinne einfangen: Sommer, Herbst und Winter, Wärme und Kälte“, so Christoph Müller weiter. Deshalb wurden zwei Schneetage in Südtirol nachgedreht. Das leise Rieseln bei Goldmunds Ankunft in Mariabronn zu Beginn des Films wurde indes künstlich erzeugt – bei 20 Grad Außentemperatur.
Was Kida Khodr Ramadan über die Arbeit mit Stefan Ruzowitzky sagt, darf stellvertretend für das gesamte Ensemble stehen: „Wahnsinnsregisseur! Fokussiert, supernett trotzdem, sehr loyal und zuvorkommend, lässt einen spielen. Also, die Arbeit mit ihm ist Wellness und Champions League in einem!“
Modernes Mittelalter: Historisch authentisch, aber cool
Das Wort „modernisieren“ mag Stefan Ruzowitzky eigentlich nicht. „Ich habe Geschichte studiert und mich sehr intensiv mit dem Mittelalter auseinandergesetzt. Aber wenn man einen Historienfilm macht, ist er immer auch eine bewusste Interpretation der jeweiligen Zeit. In den 1970er-Jahren etwa sahen Filme über das Mittelalter anders aus als heute. Dass solche Modernismen nicht albern werden – das ist immer ein schmaler Grat. Mir ist wichtig, dass das Publikum sieht: Das ist keine Welt, die nichts mehr mit uns zu tun hat. Sondern dass es um Menschen geht, die dieselben Emotionen, Ängste und Träume haben wie wir heute auch. Das gelingt natürlich leichter, wenn man in der Ausstattung ganz dezent Parallelen aufzeigt.“
Am deutlichsten wird das bei den Kostümen: Gewänder, wie sie Menschen im Mittelalter getragen haben könnten, aber auch Hipster von heute. „Also historisch authentisch, aber cool“, wie es Stefan Ruzowitzky formuliert. Das gilt übrigens auch für Goldmunds Vollbart.
Ein Kostümfilm für jetzt
NARZISS UND GOLDMUND ist kein klassischer, „gelernter“ Kostümfilm, betont auch Christoph Müller. „Da finden sich tatsächlich Anleihen bei modernen Modeschöpfern, sodass man sagen könnte: Wenn ich das so sehe – zumal losgelöst von der Burg –, dann könnte das auch im Hier und Jetzt spielen.“
Elisa Schlott, die als kreative Schlossherrin Julia pompöse Kleider und extravagante Hüte tragen darf, spricht von „Mittelalter im Gucci-Style, mit Glamour“.
„Wir zeigen ohnehin kein streng naturalistisches, sondern ein etwas romantisierendes Bild vom Mittelalter – das ist auch bei Hesse so“, fährt Stefan Ruzowitzky fort. „Und das finde ich auch richtig, weil wir das Mittelalter ja mit Goldmund erleben – aus der Perspektive eines Künstlers, der alles in den tollsten Farben ausmalt. Wir zeigen die Welt, wie er sie sieht. Insofern ist es schön, da wirklich in die Vollen gehen zu können und sich nicht zu sehr einem historischen Naturalismus verpflichtet fühlen zu müssen.“
Auf bedingungslosen Naturalismus setzte hingegen die Maske. Henriette Confurius erzählt von ihrer „krassen Pest-Schminke“ – bestehend aus pigmentierten Silikonblasen, die auf die Haut gesetzt werden. „In dem Hotel in der Nähe des Drehorts, wo wir die Maske gemacht haben, fand an dem Tag eine Hochzeit statt. An den Gesichtern der Gäste konnte ich gut ablesen, wie gruselig ich ausgesehen haben muss.“
Die Schönheit der Zerstörung
Das aufwendigste Prachtstück der Produktion ist natürlich der Altar – Goldmunds „metaphorisierte Biografie“, wie Sabin Tambrea es ausdrückt. Von den Gesichtern aller beteiligten Schauspielerinnen wurden schon frühzeitig 3D-Scans angefertigt (weshalb jegliche Umbesetzung zum echten Problem geworden wäre), ausgedruckt und von Szenenbildner Sebastian Soukop (Rückkehr nach Montauk) auf die Konstruktion montiert.
„Und dann haben wir den Altar kaputt gemacht, vor laufender Kamera!“, sagt Stefan Ruzowitzky. „Was einerseits fürchterlich traurig ist, andererseits aber die Essenz des Filmemachens: Es geht nur um den großartigen Moment auf der Leinwand. In diesem Fall ist das auch deshalb ein sehr bewegender Moment, weil Goldmund die Schönheit in der Zerstörung erkennt, wenn dieses grandiose Werk brennt – was gewissermaßen eine Überhöhung seiner Kunst darstellt. Die Heiligenfiguren stehen für Stationen seines Lebens, konkret: Frauen, die auf seinem Weg eine wichtige Rolle gespielt haben. Dieser Altar symbolisiert also sein ganzes Leben. Deshalb muss Lothar ihn auch zerstören, denn dieser Altar repräsentiert Lebensfreude, Liebe – lauter schöne Dinge, die er nicht ertragen kann.“
Große Themen, große Gefühle: Team Narziss und Goldmund
„Freundschaft, Liebe, Kunst – das sind die großen Themen von NARZISS UND GOLDMUND“, fasst Stefan Ruzowitzky zusammen. „Ich versuche immer Filme zu machen, die ich mir selbst anschauen würde. Und dieser ist besonders emotional. Wir wollen den Zuschauern ein visuell überwältigendes Erlebnis und großartige Eindrücke bieten, sodass sie nachher wirklich das Gefühl haben, zwei Stunden in einem Mittelalter gewesen zu sein, wie sie es noch nie zuvor gesehen haben.“
Auf die Frage, was das Publikum von NARZISS UND GOLDMUND erwarten darf, antwortet André M. Hennicke prägnant: „Große Gefühle!“
Christoph Müller verspricht „eine Literaturverfilmung, einen Abenteuerfilm und ein Epos, in dem sich sowohl die älteren, die das Buch in ihrer Jugend gelesen haben, wie auch Jugendliche wiederfinden, weil NARZISS UND GOLDMUND Antworten auf die Fragen des Lebens gibt. In jedem steckt ein Lebemensch wie Goldmund und in vielen auch ein schüchterner Narziss, der sich nach Sicherheit sehnt. Alle Lebenskonzepte sind in dieser Geschichte vereint. Hesse wird gerade heute, in Zeiten von Konsum und Kommerz, wieder Freunde und Liebhaber finden. Eigentlich ist es ein philosophisches Buch, aber so sinnlich geschrieben, dass es verfilmt werden musste. Und dieser Film ist meine ganz persönliche Goldmund-Reise – ich habe ein halbes Leben mit ihm verbracht.“
Sabin Tambrea erhofft sich „einen der berührendsten Filme über Freundschaft, Empathie und die Suche nach Liebe, die bislang gemacht wurden“. Und geht noch einmal auf die aktuelle Relevanz der Geschichte ein: „‚Narziss und Goldmund‘ erschien drei Jahre, bevor die NSDAP an die Macht kam. Das Buch über den gebildeten Geistesmenschen und den offenen, toleranten Freigeist entstand nicht ohne Grund zu dieser Zeit, kurz vor dem Sturm. Und in diesem Sturm befinden wir uns in Deutschland bald wieder, fürchte ich. Es gibt leider eine wachsende Gruppe von Menschen, die weder gebildet noch offen ist, und sie erstarkt. Deshalb ist es wichtig, diesen Film zu zeigen und den Menschen nahezubringen. Denn er zeigt, was Empathie bedeutet und wie wichtig Toleranz ist.“
„NARZISS UND GOLDMUND erzählt von zwei Menschen, die auf sehr unterschiedlichen Wegen zur gleichen Erkenntnis gelangen“, sagt Henriette Confurius. „Sie suchen den Sinn des Lebens, die große Antwort, wo man hin will und hingehört. So wie wir letztendlich alle.“
„Ich habe mir immer die Frage gestellt: Bin ich Team Narziss oder Team Goldmund? Aber ich bin zu dem Entschluss gekommen: Ich bin Team Narziss und Goldmund!“, stellt Kida Khodr Ramadan zum Abschluss klar. „Übrigens war früher bei mir um die Ecke das Hermann-Hesse-Gymnasium, und ich war traurig, dass ich dort nie angenommen wurde. Schönen Gruß an den Direktor: Jetzt spiele ich in einem Hermann-Hesse-Film!“
Fotos:
© Verleih
Info:
DIE FILMEMACHER
Regie STEFAN RUZOWITZKY
Drehbuch STEFAN RUZOWITZKY
(Ko-Autor: ROBERT GOLD)
Produktion CHRISTOPH MÜLLER
HELGE SASSE
DIE BESETZUNG
Goldmund JANNIS NIEWÖHNER
Narziss SABIN TAMBREA
Lothar ANDRÉ M. HENNICKE
Lene HENRIETTE CONFURIUS
Lydia EMILIA SCHÜLE
Julia ELISA SCHLOTT
Meister Niklaus UWE OCHSENKNECHT
Anselm KIDA KHODR RAMADAN
Rebekka JESSICA SCHWARZ
Gräfin SUNNYI MELLES
Lisbeth ROXANE DURAN
Burgherr MATTHIAS HABICH