18693046.jpg c 215 290 x f jpg q x xxyxxDrei Minuten Einführung zum Film seitens der Filmpatenklasse Gelnhausen – dann Auftaktfilm zum Start der 14. SchulKinoWochen Hessen (9. März 2020)
 
Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Leider mussten die SchulKinoWochen Hessen ab dem 16. März 2020 dem Coronavirus weichen, nachdem sie doch erst begonnen hatten. Wenigstens aber ist noch ein Bericht zum Auftakt abzugeben, der Einblicke in das Metier einer potentiell schöpferischen Möglichkeit im Schulunterricht liefert, sofern kulturelle Bildung in Hessen bestärkt und mit diesem alljährlichen Ansatz ausgestattet bleibt. 
Denn leider ist es doch so, dass alles, was der Natur und Kultur des jungen Menschen günstig ist, im politischen Kapitalismus Not leidet. Das ist ein gefundenes Fressen für die AfD.

Aus dem Schulstress raus und rein in den Film
 
Vom Grimmelshausen-Gymnasium Gelnhausen war die Filmpatenklasse ‚der Siebten‘ mit Lehrerin Tina Heinrich ins Filmmuseum Frankfurt/Main gekommen, um den Auftaktfilm aus dem Blickwinkel der Schulpraxis zu bewerben. 75 000 waren für die diesjährigen SchulFilmWochen angemeldet. Das Filmengagement ist im Einzugsgebiet jeder Schule möglich: zum Auftakt waren also Pionier*innen gekommen, die von der Beschäftigung mit Film gepackt waren.
 
Ayse Asar vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst gab einiges zu bedenken. 10 Milliarden Videoclips lagern auf Snapchat. Eine Nebenwirkung des bewussten Umgangs mit dem Medium laufender Bilder sollte auch sein, „den verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien hervorzurufen“. Und auch sollte er Hilfe bei der Einschätzung von Botschaften im Internet vermitteln, um „Bilder auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen“. Verzerrungen in den Bildern sollten erkannt werden können.

 
Viele Klassen machten zu allen Zeiten schon Filmexperimente
 
Vier 13-Jährige der Siebten Klasse haben zum Auftaktfilm ‚Die Sammler und die Sammlerin‘ einen Drei-Minuten-Film selbständig in Eigenproduktion produziert. Er ist überschrieben mit ‚So viele Gegenstände‘, zu Unterschiedlichem wie Schabracken, Schlagzeugstöcke, Briefmarken, Pressmünzen, Flugzeugmodelle, Alben und das Sammeln für die Not. Als Motive scheinen durch: schlichtes Aufbewahren, das Statussymbol, das Tauschen, der Zeitvertreib, und viel Geld für etwas ausgeben. Die Vier wollten also auch über Gesammeltes eine Analyse anstellen. Vier Mädchen zwischen 12 und 13 haben zudem als Hausaufgabe einen Film über Müll produziert, der mit Handykameras gemacht wurde und von Text begleitet ist. Zum Dank gab es jeweils eine gut gefüllte Schultüte.
 
Nicht in Vollprofimanier gemachte Filme vermitteln immer auch das Moment der Nouvelle Vague, mit ihrer Handschrift des Autorenfilms, wobei einem unmittelbar die Erinnerung an Jean Luc Godards Film ‚Weekend‘ (1967) wiederkehrt, der für die Ära der neuen konsumorientierten Generation stand, wie kaum ein anderer. Aber mit ‚Außer Atem‘ hatte er sich schon 1960 durchgesetzt. Der Sinn solcher Gewagtheiten ist das Traut euch was! - eine neue Handschrift, was auch einer heutigen Schulklasse viel sagt.

Zum Thema Müll wurde am Schluss des Auftakttreffens das mittlerweile sehr anerkannte ‚Foodsharing‘ behandelt. Hierzu war die Foodsharing-Aktivistin Lechi Engel-Langewand gekommen, um den Jugendlichen das Nähere zu erläutern und ihnen Rede und Antwort zu stehen.


‚Die Sammler und die Sammlerin‘, ‚Les glaneurs et la glaneuse‘ (FR 2000, R: Agnès Varda)
 
Was während des Sehens dieses Auftaktfilms nicht zu übersehen war. Die paar Jungs in der nächstvorderen Reihe waren völlig gebannt von diesem Filmwerk. Er ist immer nur körnig, ganz ohne Oberflächenglätte, aber gerade das bannte die Gruppe. Der Film zeigte eine Welt, in der sie nicht sozialisiert sind. Die Gebanntheit steigerte sich, als in den wenigen Momenten der Übergabe der Handlung von einer Filmrolle zur darauffolgenden eine Hip-Hop-Sequenz gespielt wurde, um die kaum merkliche Unterbrechung zu überbrücken. Da wechselten die Jungen unvermittelt in den schier körperlich getakteten Mitvollzug des Rhythmus über. Der kam so unwiderstehlich wie aus dem Hause Mary J. Blidge nur möglich an, aber knalliger noch und mitreißend.
 
Der Film, der eher für ein bereits wissendes, älteres Publikum gemacht zu sein scheint, kam bei den jungen Leuten tatsächlich an wie eine Erweckung, wenn nicht gar als die langersehnte Suspension vom Formellen dieser Welt (die nicht eigentlich ihre ist). Eine Großmutter vom Land dürften sie vorwiegend nicht haben, auch keine Großmutter, die sie sich als im Hühnerstall Motorrad fahrend vorstellen und sie damit aufziehen – was diese gar nicht mag, während sie den Tieren des Hofs und deren Hinterlassenschaften hinterherfegt.

 
Erkundungsfahrt durch allerarten Zonen des traditionellen Frankreichs
 
220px Jean François Millet Gleaners Google Art Project 2Jede Zone hat ihr eigenes Gewerk, an dem gearbeitet und verdient wird. Sie sind mehr von alters her geprägt als jene der glatt und überwiegend stubenrein aufgeputzten Länder. Namentlich fallen noch die Orte, wie zu Beginn der ‚Markt in Arras‘, ein, mit den Bedürftigen, Fahrenden und denen, die der Abernte nachgehen und Sammeln dürfen. Dafür hat Frankreich Gesetze, die die altbekannte ‚Nachlese‘, die Praxis des ‚Stoppelns‘, legitimieren. Darunter ist auch Eduard, der Küchenchef. So wie schon die Alten auch ganze Ähren, sonders im Krieg, und Maiskolben aufzulesen berechtigt waren, so dürfen es in heutiger Zeit auch Mülltonnen sein, die selbst Essensreste enthalten. Wie schon angedeutet, die jungen Kinogänger betrachteten all das mit gebanntem Interesse. Zuweilen schauten sie sich kurz an. Sie wollten nicht einen Augenblick versäumen.

 
220px Potato heart mutationIn den Château-Weingebieten stehen die restlichen Trauben, die dem Nachlese-Wein dienen, bald bereit zum Sammeln – damit bloß nichts verkommt, Tischwein-Trauben und Sauertrauben. Alles muss verwertet werden, im besten Sinn. Gelegentlich kann es sein, dass Nachlese verboten ist, wie in der Passage du Pois und ihrer Welt von Gezeiten. Sonst aber haben es Arme und Notleidende gut, insofern selbst Austernsammeln möglich ist, soweit die Austern sich nicht verkaufen lassen und sonst zu Müll würden. Sie weisen teils nicht die verkaufsgerechte Form auf, sind zu groß oder zu klein. „Das Recht zu Sammeln hat es immer gegeben“ - vom Gesetz erlaubt. 5 Kilo pro Person können es sein. Nahebei den Hügeln von Apt hat es eine Überschwemmung gegeben, auch hier ist das sehr erschwerte Sammeln möglich und liefert Ertrag. In der Gemeinde Marey sind die Gebrüder Lumière noch immer eine feste Größe.

 
Agnès Varda Guadalajara 18 croppedKrass ist der Müllsammelplatz beim Gare d’Austerlitz. Obdachlose und Jugendliche containern und leben davon. Einer lebt so zu hundert Prozent. „Ich sterbe daran nicht“, bekundet er, der nicht arm ist, aber die Verschwendung verachtet. Der Umgang mit dem Abfall ist auch einer der besten Spielplätze, „Oh, was ist das bloß für eine Erwachsenenwelt“, hört man hier im Vorbeigehen. Woanders ist ein Monsieur Charlie umgeben von Natur und so vielem Weggeworfenen. Ein Zugvogel besucht ihn immer wieder. „Bloß nichts anfassen! – habe ich gesagt“. Sein Trieb ist, viel, viel Sammeln, was weggeworfen wird, aber er findet immer jemanden, dem er was abgibt. Herde, Kühlschränke, Fernseher werden wieder in Gang zu setzen versucht. Kühlschränke sind auch dazu gut, sie ganz neu, andersartig, innen auszustatten. Weiter geht es an die Rhone, direkt hinter den Pflückern ist es hier genehm auf der Domäne zu sammeln - Tomaten.
 
In Frankreich sei alles Gesetz, der Grund und Boden allein gelte nicht. Der Richter bestimmt: „Es ist erlaubt“. Die Richterin bestätigt das. Der Film entstammt dem Jahr 2000, aber in Frankreich sind bleibende Werte und Gesetze in Kraft, es hat starke Traditionen. Nochmal ein Markt, um das Savoir Vivre zu filmen. Auch hier Abfall über Abfall, wenn der Markt zu Ende ist. Einer frequentiert diesen dauernd, er verdient wenig, ist Vegetarier, isst gerne Äpfel, 6-7 am Tag. Das ist eine Menge, die auch mir zusagt. Morgens zwischen sechs und sieben sucht er; er legt Wert auf eine ausgewogene Ernährung, wie er es macht, so geht das bestens. Er hat Uni-Abschluss, wirkt an der Herausgabe einer Obdachlosenzeitung (‚Montparnasse‘) mit, wohnt im Wohnheim und erteilt Sprachenunterricht.
Der Film klingt aus: wie in uralter Zeit üblich sind die Sammlerinnen auf der Flucht vor dem Gewitter. Am Schluss wird im Abspann informiert: ‚Filmförderung Rheinland-Pfalz‘. Das dürfte der AfD überhaupt nicht in den Kram passen.

 
Food-Sharing Frankfurt
 
SchulKinoWochen2 Quelle DFF1Das interessierte die Schulklasse sehr. Frau Lechi Engel-Langewand wurde mit vielen Fragen gelöchert. Die Initiative gibt es seit 20 Jahren. Sie begreift sich als Umweltorganisation. 1500 machen in ihr mit. Was aus Märkten bekommen wird, wird weitergegeben. Die Märkte dürfen nicht genannt werden. Bekommen werden auch Hokkaido-Kürbisse, aber sie haben nicht die richtige Größe für den Verkauf oder sind nicht schön genug. Containern wäre für das Food-Sharing strafbar. Die Mitglieder haben alle eine Hygiene-Schulung. Es wird pro Monat etwa eine Tonne abgeholt. Weiterverkauf darf nicht sein. Paletten mit 200 Kohlköpfen können vorkommen, auch 50-60 kg Orangen, wenn die Schönheit nicht mehr gegeben ist. Eierkartons sind auch dabei, wenn z.B. Marmelade auf die Kartons geträufelt ist. Wenn Orangen nicht mehr schön sind, würden sie ansonsten im Müll landen. Die erkleckliche Menge von 5 Schränken - wie gesagt wurde - kann an einem Tag zusammenkommen. Auch zum Freimachen eines Regals schmeißen Läden alles Frische weg. Der Aufwand für ein Brötchen beträgt 1 Cent, was soll’s also, wenn es für 200-300 Brötchen im Verkauf nicht mehr trägt. Die Mindesthaltbarkeit (sonst m. a. D. verzeichnet) fällt in Bäckereien oder nach Büffets und Konferenzen ganz unter den Tisch. Also ist alles einer gewissen Ökonomie wenig wert, egal wie viel weggeschmissen wird. Das gilt auch für Qualitätsbäcker und deren 3-5 Euro-Brot. Fleisch darf nicht weitergegeben werden.

Fotos: © www.filmstarts.de (1) · de.wikipedia.org (2, 3 [Regisseurin]) · DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, Frankfurt am Main (4)

Info:
Agnès Varda, die Vertreterin der "Nouvelle vague", die noch am 12. Februar auf der BERLINALE 2019 ihren wunderbaren autobiographischen Dokumentarfilm "Varda par Agnès" vorgestellt hatte und zudem den Ehrenpreis Berlinale Kamera entgegengenommen hatte, starb überraschend am 29. März 2019 in Paris. Je älter sie wurde, desto intensiver wurden die Filme und damit  das, was die Leinwand in Augen und Herzen der Zuschauer träufelte.

14. SchulKinoWochen Hessen (9. bis 20. März 2020) 
 Sie starb im Alter von 90 Jahren, wie ihre Familie am Freitag mitteilte.