Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - In Corona-Zeiten ist auch die Lage der Filmbranche erschreckend: Laufende Dreharbeiten sind unterbrochen, alle Kinos geschlossen und viele Filmleute ohne Arbeit. Dennoch feiert sich die Branche heute Abend mit dem Deutschen Filmpreis - ohne Gala-Publikum.
Deutscher Filmpreis
Sechs Streifen sind in der Hauptkategorie „Bester Spielfilm“ nominiert, darunter auch der für den Oscar 2020 vorgeschlagene „Systemsprenger“. Darin sprengt ein kleines Mädchen, trotz ehrlicher Bemühungen ihrer Helferinnen, das System der Jugendhilfe. Dieses cineastische Meisterwerk ist kein Rührstück und wurde in 9 weiteren Kategorien des Filmpreises nominiert: etwa beste Regie, bestes Drehbuch, beste Hauptdarstellerin.
Der zweite Favorit mit 10 weiteren Nominierungen, ist die kühne und eigenwillige Adaption von Alfred Döblins Roman „Berlin. Alexanderplatz“ (1929). Die Handlung verlegt der Regisseur in das gegenwärtige Berlin, Hauptfigur ist der um Redlichkeit ringende afrikanische Flüchtling Francis. Als bester Film wurde auch „Undine“ nominiert, der ebenso wie „Alexanderplatz“ lediglich auf der letzten Berlinale aber noch nicht im Kino lief. In einer freien Umsetzung der Mythologie zeigt er die Liebe der Wassergeistin (Paula Beer) zu einem Taucher (Franz Rogowski).
Als weitere beste Spielfilme wurden „Lara“ benannt, in dem Corinna Harfouch eine übergriffige Mutter auf den erwachsenen Sohn spielt, der ihre unerfüllten Träume lebt. „Es gilt das gesprochene Wort“, erzählt von einer taffen Frau in der Krise, die einen männlichen Prostituierten aus der Türkei heiratet. In „Mach dein Ding“ kämpft Jan Bülow als Udo Lindenberg für die Musikerkarriere und gegen sein vorherbestimmtes Klempnerleben.
Der Deutsche Filmpreis mit seiner wechselvollen 70-jährigen Geschichte, ist die renommierteste und mit insgesamt 3 Millionen Euro höchstdotierteste Auszeichnung in der BRD. Vor 20 Jahren wurden abstrakte weibliche Gestalten als Trophäen geschaffen und nach der Filmfigur Lola benannt. Jede Verleihung war bisher mit einer extravaganten Gala verbunden, die in diesem Jahr - wegen Corona - zum ersten Mal ausfällt. Doch nun wird die Lola-Vergabe - zuschauerfreundlich - live im TV übertragen. In einem mehrstufigen Auswahlprozess haben über 2.000 Mitglieder der Deutschen Filmakademie preiswürdige Streifen in 17 Kategorien nominiert. Für heute wurden von ihnen in einer weiteren geheimen Abstimmung die Sieger gewählt - ohne Absprache und Kalkül wie sonst bei jurierten Festivals.
Der Ehrenpreis sowie der besucherstärkste Film stehen bereits fest: Regisseur Edgar Reitz wird für sein Lebenswerk ausgezeichnet, das er hauptsächlich mit seiner Serien „Heimat“ schuf und darin eine neue Sicht auf das, bis dahin konservativ besetzte Thema warf. Als aus den USA lediglich Seifenopern wie „Dallas“ hierher schwappten, drehte Reitz bereits künstlerisch innovative und dennoch beim Publikum erfolgreiche TV-Serien. Mit über 5 Millionen Zuschauern war 2019 der erfolgreichste Film „Das perfekte Geheimnis“: Was sonst öffentlich in Smartphones geplappert und gepostet wird, haut sich eine intime Abendgesellschaft boshaft um die Ohren.
Auswahl der bereits erhältlichen DVDs / Downloads:
„Systemsprenger“, „Lara“, „Es gilt das gesprochene Wort, „Deutschstunde“, „Das perfekte Geheimnis“, „Heimat“, „Fritzi - Eine Wendewundergeschichte“, „Ich war noch niemals in New York“
Statements der Gastmoderatorinnen
Anke Engelke:
„Wie viele andere kämpft auch unsere Branche aktuell um ihre Zukunft. Landesweit stehen Dreharbeiten still. Kinos sind geschlossen. Wir wissen nicht, wie lange das andauern wird. Aber unser großes Ziel bleibt bestehen: Wir wollen das Publikum mit der gleichen Liebe und Leidenschaft für Film anstecken, die auch unser Antrieb ist.“ Und weiter: „Wir wollen gerade in dieser besonderen Zeit zeigen, welche herausragenden Kinofilme uns im vergangenen Jahr bereichert, zum Träumen oder auch zum Weinen gebracht haben. Es ist ein Zeichen der Zuversicht. Für die Branche und das Publikum. Schalten Sie uns ein.“
Iris Berben:
„In den letzten Wochen hat sich viel geändert, und man hört, dass es nie wieder so wie vorher sein wird, was auch immer das heißt. Das ändert aber zum Glück nichts daran, dass wirklich starke Filme gemacht wurden, die mir neue Geschichten erzählen, mich aufklären, reflektieren lassen und unterhalten. Filme können eine besondere Kraft haben, die wir mit ins Leben nehmen können. Das sollten wir immer und immer wieder feiern.“
Fotos:
Die Lola-Trophäen © Anna Freitag / Deutscher Filmpreis
Edgar Reitz bei Dreharbeiten © Bernd-Weisbrod / Deutscher Filmpreis
Die Lola-Trophäen © Anna Freitag / Deutscher Filmpreis
Edgar Reitz bei Dreharbeiten © Bernd-Weisbrod / Deutscher Filmpreis