ZDFzeit Deutschland von oben 1945 75765 0 9 ZDF National Archives Washington a9d2fd64feZDFzeit-Dokumentation am Dienstag, 5. Mai, 20.15 Uhr im ZDF, Teil 1/3

Roswitha Cousin

Mainz (Weltexpresso) - 75 Jahre nach Kriegsende zeigt der Film von Jörg Müllner eindringliche Luftaufnahmen von Deutschland 1945 und bringt diese mit Schicksalen von Menschen in Verbindung, die damals in den Trümmern lebten. Viele Aufnahmen wurden von den Alliierten in Farbe gedreht und eigens für die Dokumentation in 2K-Qualität digitalisiert und aufwendig restauriert. Es sind beklemmende, oft menschenleere Bilder. Sie zeigen das Ausmaß der Zerstörungen in Deutschlands Städten. Den Bogen in die Gegenwart schlagen Luftbilder von heute, auf denen manche Spuren des Krieges noch immer zu erkennen sind.

Blicke auf ein Trümmerland

Vorwort von Stefan Brauburger, Leiter der Redaktion Zeitgeschichte
Die Luftaufnahmen alliierter Flugzeuge, die Deutschland im Frühjahr 1945 überflogen, muten gespenstisch an, zeichnen ein geradezu apokalyptisches Bild. Eine schier unüberschaubare Trümmerwüste, die kein Ende nimmt. Nicht nur große Metropolen sind betroffen, wie Hamburg, Frankfurt oder Berlin. Weitaus kleinere Städte sind zerstört, Düren zum Beispiel scheint nahezu pulverisiert, nur noch vier Menschen leben dort bei Kriegsende. Die US-Besatzer empfehlen, die Stadt woanders neu aufzubauen.

Zeugen solche Bilder von hemmungslos entfesselter Zerstörungswut der Alliierten, wie es die NS-Propaganda einst anprangerte -  oder sind diese Aufnahmen nicht Sinnbild für das, was eigentlich geschehen war? Keine andere Macht in der Geschichte hat die Grundlagen der Existenz anderer Völker auf so mörderische Weise zu zerstören versucht und dabei letztlich auch die eigene aufs Spiel gesetzt wie Nazi-Deutschland.

Auf den totalen Krieg folgte die totale Niederlage. Alles war mit dem 8. Mai 1945 zusammengebrochen: der Staat, die Gesellschaft, die Moral. Das Hitler-Reich hatte den grausamsten Vernichtungskrieg und die schlimmsten Verbrechen seit Menschengedenken entfesselt und war vom Flächenbrand schließlich selbst heimgesucht worden. Das Ergebnis schien ganz der zynischen Prophezeiung seines Kriegsherrn zu entsprechen, der vorausgesagt hatte, dass die Deutschen  mit ihm siegen oder untergehen würden.

Die Dimensionen dieses Weltenbrandes machen noch immer fassungslos. Mehr als 60 Millionen Leben forderte das Schlachten an den Fronten, in den zerbombten Städten, in der Mordmaschinerie des NS-Regimes. Nie zuvor haben Menschen auf so radikale Weise gezeigt, was sie ihresgleichen antun können.

Es war in jeder Hinsicht ein Totaler Krieg, der sich schließlich auch gegen Deutschland wendete. 17 Millionen deutsche Soldaten kämpften an den Fronten. Fast täglich entluden alliierte Bomberflotten ihre tödliche Fracht über deutschen Städten, Feuerstürme verwandelten viele davon in Schutthalden. "Wer Wind sät, wird Sturm ernten", schleuderte Churchill dem Aggressor Hitler entgegen, nachdem dieser Metropolen wie Coventry, London, Rotterdam und Warschau hatte bombardieren lassen. Ob bei der "Antwort" der Westmächte die Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde, ist immer wieder ein Streitthema.

Wie aber hatte Hitler "sein" Volk in einen solchen Krieg führen können? Warum gab es selbst nach verlustreichen Niederlagen kaum vernehmbaren Widerspruch? Warum funktionierte die Maschinerie des Vernichtungskrieges und der Todesfabriken so reibungslos? Die Parole "Führer befiehl, wir folgen!" zeigte bis zuletzt Wirkung. Allzu viele "Volksgenossen" ließen sich von trügerischen Siegesparolen täuschen, andere wollten bis zum Ende kämpfen, weil sie die Folgen der Niederlage fürchteten – in Kenntnis ihrer Ursachen.

Zwar warfen viele von den Besatzungsmächten befragte Deutsche Hitler vor, die ganze Welt gegen das eigene Land aufgebracht und den Bogen weit überspannt zu haben. Im Grunde aber hielten sie den Krieg für gerecht, weil er sich gegen jene Mächte richtete, die Deutschland angeblich schon immer bedrohten. Die meisten teilten die Abneigung gegen alles Fremde, vor allem gegenüber Juden. Gleichklang statt Vielstimmigkeit, Volksgemeinschaft statt Parteien, Ordnung statt Freiheit, Führerwille statt Demokratie, waren Parolen, die schon in den frühen 30er Jahren verfangen hatten und sich im Krieg fortsetzten.

Lange hielt auch das Trugbild vom anfangs fernen Kampfgeschehen, da die Versorgung der Bevölkerung bis ins Frühjahr 1945 stabil blieb. Systematisch hatte die nationalsozialistische Führung die besetzten Gebiete, vor allem im Osten, ausplündern lassen, um die Versorgung der deutschen Bevölkerung sicher zu stellen. Erst in den letzten Kriegswochen erloschen auch die letzten Illusionen vom stets propagierten Endsieg.

Die meisten Deutschen sahen in der Kapitulation ihres Reiches eine Niederlage und keine Befreiung. Erleichterung herrschte allein über das Kriegsende, was danach kommen würde, war völlig ungewiss. Zumal die Nation den Neuanfang in Teilung erlebte: Es gab die Mehrheit, die im Westen beheimatet war und von demokratischen Besatzungsmächten regiert wurde. Dann jene, die künftig unter sowjetischer Besatzungsmacht leben mussten, und schließlich 14 Millionen Deutsche, die als Flüchtlinge und Vertriebene nicht nur Hab und Gut, sondern auch ihre Heimat verloren hatten und eine neue suchen und finden mussten.

Die Frage, wer am Ende den höheren Preis für den Krieg zu zahlen hatte, bestimmte wesentlich auch die Haltung zum 8. Mai als Wendepunkt. Viele Überlebende brauchten Jahrzehnte, um in dem Datum neben der Niederlage auch den Tag der Befreiung zu erkennen.

Foto:
Reichstag kurz nach Kriegsende. Farbaufnahmen der Alliierten zeigen das Ausmaß der Zerstörungen in Deutschland 1945.
© ZDF/National Archives, Washington

Info:
Dienstag, 5. Mai, 20.15 Uhr
Deutschland von oben - 1945
ZDFzeit-Dokumentation

Autor_____Jörg Müllner
Kamera_____Axel Schneppat, Klaus Sturm, Ralph Wilhelm
Schnitt_____Tim Greiner
Grafik______Bernhard Schulder, Michael Heise
Sprecher_____ Philipp Schepmann

Produktion (ZDF)_____ Carola Ulrich, Philipp Müller
Produktion (History Media)_____Gilbert Schwab, Isa Rekkab
Produzent_____Jörg Müllner (History Media)
Redaktion_____Anja Greulich
Leitung_____Stefan Brauburger