Roswitha Cousin
Mainz (Weltexpresso) - Um kaum eine Marke ranken sich so viele Legenden, um kaum eine Marke wurde so vehement gestritten: 4711. Am Ende führte ein Familienzwist zum Verkauf des traditionsreichen Unternehmens.
Der Film von Heike Nelsen lüftet den Schleier aus Rätseln und Mythen, an dem die Eigentümerfamilie Mülhens selbst tatkräftig gewoben hat. Und das nicht ohne Grund, denn hinter der Erfolgsgeschichte von 4711 steckt auch ein früher Fall von Produktpiraterie.
"4711 bedeutet eine magische Zahl, die mich von meiner frühesten Kindheit an bis heute begleitet", sagt Firmenerbe Dieter Streve-Mülhens. 1997 muss er den Verkauf seines Familienunternehmens bekanntgeben: "Das war die schwerste Stunde meines Lebens". Die Marke ist wie kaum eine andere von Legenden umrankt, von der bis heute geheim gehaltenen Ur-Rezeptur – angeblich das Hochzeitsgeschenk eines Kartäusermönches an den Gründer – über den französischen Offizier, der die bekannten Ziffern an das Haus in der Glockengasse schreibt, bis zu den Heilkräften, die dem sogenannten Wunderwasser zugeschrieben werden. Die Dokumentation "Die 4711-Story" wirft einen Blick hinter diesen Schleier, an dem die Familie Mülhens selbst im Laufe der mehr als 200 Jahre währenden Markengeschichte tatkräftig gewoben hat.
Der Film von Heike Nelsen enttarnt den Gründer, Wilhelm Mülhens, als regelrechten "Produktpiraten" und gewieften Geschäftsmann. "Sie finden das ganz oft bei Unternehmern, die so eine gewisse Schlitzohrigkeit haben, die rumgehen und gucken und sagen 'Was gibt's denn da, was man auch machen, was man nachmachen könnte?'", konstatiert Unternehmensberater Peter May mit Blick auf das Geschäftsgebaren.
Vieles spricht dafür, dass Wilhelm Mülhens aus der Nähe Bonns sich den ursprünglichen Namen seines Duftwassers "Farina" Ende des 18. Jahrhunderts ergaunert hat. Bereits seit 1709 stellen zwei Parfumeure namens Farina in Köln ein edles "Wunderwasser" her, das sie "Eau de Cologne" taufen. Später behaupten die Mülhens, ein Mitglied der Familie Farina, ein Kartäusermönch, habe ihnen den Namen zur Nutzung überlassen. Das bestreitet sein Nachfahre Johann Maria Farina, der heute die Geschäfte der "ältesten Parfumfabrik der Welt" führt – und das in achter Generation.
In Wilhelm Mülhens findet das teure Produkt, das zunächst vor allem als Heilwasser getrunken wurde, einen findigen Nachahmer. Gesichert ist, dass er 1803 die Namensrechte von einem gewissen Franz Carl Farina kauft, der mit den Parfumeuren aus Köln nur eines gemeinsam hat - den Namen! Und mehr noch: Er verscherbelt ihn an mindestens 30 weitere Produktpiraten.
Das "Wunderwasser" erweist sich als wahrer Kassenschlager. Die echten Farinas wehren sich gegen die Produktpiraterie der Mülhens' und führen über 1.000 Plagiatsprozesse. Diese Prozessflut führt zur Entstehung des deutschen Markenschutzgesetzes.1875 kann Johann Maria Farina seinen Familiennamen als erste Marke in Deutschland eintragen lassen, doch hat er nicht mit der Findigkeit seines Konkurrenten Mülhens gerechnet: Der nennt nun sein Plagiat "4711" – nach der Hausnummer des Firmensitzes in der Glockengasse in Köln – und lässt den Namen ebenfalls schützen. Ein geschickter Marketingschachzug, denn so unterscheidet er sich von all den anderen Herstellern von "Kölnisch Wasser".
Das Mülhens-Imperium expandiert bis nach New York und Riga. Lange spielt 4711 in der ersten Liga der Duftwasserproduzenten mit. Ob der russische Zar und der König von Schweden oder Goethe und Wagner – sie alle wussten angeblich die Möglichkeiten der inneren und äußeren Anwendung von 4711 zu schätzen. Im Jahr 1921 liefert die Firma sich sogar ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Coco Chanel um das erste Parfum auf Basis der neu entdeckten Aldehyde. Das französische "Chanel No. 5" und sein Kölner Konkurrenzprodukt Tosca kommen schließlich gleichzeitig auf den Markt.
In der Zeit des Nationalsozialismus stehen die Unternehmer dem Regime näher als bisher bekannt war. Auch in der Nachkriegszeit sucht und findet Familie Mülhens den Kontakt zu den Mächtigen. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Hotel auf dem Petersberg, das dem 4711-Clan gehört und zum Gästehaus der Bundesregierung avanciert. Es liegt im Siebengebirge, dem ältesten Naturschutzgebiet Deutschlands, das einst auf Initiative von Ferdinand Mülhens als solches ausgewiesen wurde. Das in den Gästezimmern bereitgestellte Parfumfläschchen nimmt so mancher Staatsgast mit nach Hause und trägt damit das "Kölnisch Wasser" in die Welt: Der Schah von Persien soll ein besonderer Liebhaber des Dufts gewesen sein.
Seit den 50er-Jahren darf 4711 in keiner Damenhandtasche fehlen, so das Klischee. Es ist der Duft der Wirtschaftswunderjahre. Die Neubauten der Firma am Dom und in Ehrenfeld prägen die Kölner Nachkriegsarchitektur. Doch hinter den prachtvollen Kulissen spielen sich Familiendramen ab. Zum ersten Mal hat die Filmemacherin Zugang zu Dokumenten erhalten, die den wahren Grund für das Zerwürfnis enthüllen, das zur Spaltung des Clans und schließlich zum Verkauf der Firma führte. Die Fronten verlaufen dabei nicht nur zwischen den beiden Familienzweigen Mülhens und Streve-Mülhens, sondern es gibt noch einen dritten, bisher völlig unbekannten Familienzweig, dessen Mitglieder in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus Köln "verstoßen" wurden und die in dieser Dokumentation zum ersten Mal zu Wort kommen. Heute ist 4711 wieder im Besitz einer rheinischen Unternehmerfamilie, so dass auch die regionale Markengeschichte fortgeschrieben werden kann. Alle fünf Sekunden geht irgendwo auf der Welt eine Flasche "4711" über die Ladentheke. Als Originalduft, aber auch in neuen Remixes auf Basis des alten Geheimrezepts.
Foto:
4711-Flacons: Die nach ihrem Erfinder benannte Molanus-Flasche lässt sich leicht stapeln und ist unverwechselbar.
© zdf.de, Till vVelrose
Info:
Dienstag,16. Juni 2020, 20.15 Uhr
Deutschlands große Clans – Die 4711-Story
ZDFzeit-Dokumentation
Buch/Regie (Dokumentation)_____Heike Nelsen
Buch (Szene)_____Heike Nelsen, Claudius Hagemeister
Regie (Szene)_____Matthias Zirzow
Kamera (Dokumentation)_____Till Vielrose
Kamera (Szene)_____Benedict Sicheneder
Dienstag,16. Juni 2020, 20.15 Uhr
Deutschlands große Clans – Die 4711-Story
ZDFzeit-Dokumentation
Buch/Regie (Dokumentation)_____Heike Nelsen
Buch (Szene)_____Heike Nelsen, Claudius Hagemeister
Regie (Szene)_____Matthias Zirzow
Kamera (Dokumentation)_____Till Vielrose
Kamera (Szene)_____Benedict Sicheneder
Die Rollen und ihre Darsteller
Wilhelm Mülhens_____Jonas Lauenstein
Catharina Mülhens_____Ella Zirzow
Gereon Farina (Mönch)____Tom Keune
Verkäuferin Clara_____Monika Oschek
Reisende_____Greta Galisch de Palma
Peter Paul Mülhens_____Pascal Lalo
Parfumeur_____Christian Intorp
Luise Streve-Mülhens_____Birgit Stauber
Chauffeur_____Ben Posener
Dieter Streve-Mülhens_____Finnlay Berger
Rudi Mehl_____Mike Maas
Wilhelm Mülhens_____Jonas Lauenstein
Catharina Mülhens_____Ella Zirzow
Gereon Farina (Mönch)____Tom Keune
Verkäuferin Clara_____Monika Oschek
Reisende_____Greta Galisch de Palma
Peter Paul Mülhens_____Pascal Lalo
Parfumeur_____Christian Intorp
Luise Streve-Mülhens_____Birgit Stauber
Chauffeur_____Ben Posener
Dieter Streve-Mülhens_____Finnlay Berger
Rudi Mehl_____Mike Maas