Bildschirmfoto 2020 05 11 um 03.58.00goEast 5.5.-11.5., 20. Festival des mittel- und osteuropäischen Films in Wiesbaden, Teil 5

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Ein Schuljunge gerät 1981 ins Fadenkreuz der rumänischen Geheimpolizei. Wegen regierungskritischer Graffiti wird er wie ein Schwerbrecher  verhört, zermürbt und in den Tod getrieben. Der Film „Uppercase Print“ von dem Rumänen Radu Jude zählte zu den interessantesten Produktionen im digitalen goEast Filmfestival. Dies auch deshalb, weil seine auf wahren Ereignissen basierende Groteske über Nicolae Ceauşescus brutalen Überwachungsstaat aktueller anmutet, als man sich zugestehen möchte.

Ein Online-Festival war das 20. GoEast gleichwohl nicht. Und das wollte es auch gar nicht sein, sagt Festivalleiterin Heleen Gerritsen. Ursprünglich wollte man „eigentlich gar keine Filme streamen, weil man Produktionen explizit für die große Leinwand auswähle“, sagt sie, aber da eine Absage nicht infrage kam, „mussten wir uns für etwas entscheiden

Den Wettbewerb wollte Gerritsen allerdings ganz bewusst nicht ins Internet verlagern, weil das tatsächlich bedeutet hätte, „dass Filme ihre Deutschlandpremiere online feiern und nicht in einem Kino“. Das fand Gerritsen problematisch.

Hochwertige Filmkunst fand sich dennoch im Streamingangebot des Wiesbadener GoEast. Beispielhaft dafür standen eine poetische Dokumentation über Leben und Werk des russischen Altmeisters Andrej Tarkowski und die monumentale Romanadaption „The Painted Bird“. Dabei handelt es sich um  die leidvolle Odyssee eines  kleinen jüdischen Jungen, der in den Wirren des Zweiten Weltkriegs durch Tschechien treibt. Regisseur Václav Marhoul schildert den Überlebenskampf seines Helden auf der Flucht vor antisemitischen, sadistischen Landbewohnern in schwarzweißen Episoden mit Szenen von unfassbarer Grausamkeit und kafkaesken, bizarren Momentaufnahmen. In einer sieht man den Protagonisten bis zum Hals auf freiem Feld in der Erde eingegraben und einen über seinem Kopf kreisenden Schwarm Raben. Der Film zeigt erschütternd die Entwicklung des kleinen Jungen, der anfangs für seine Mitmenschen und Tiere, die er zu retten versucht, viel Empathie zeigt, und, nachdem er permanent nur Gewalt erlebt, selbst abstumpft und verroht.

Zu schwer verdaulichen Ereignissen von absurder Tragik kommt es auch in der lettisch-belgischen Koproduktion „Oleg“ von Juris Kursietis.  In großer Not sucht sein Protagonist freiwillig im Gefängnis Zuflucht vor einem kriminellen Ausbeuter, dem er schutzlos ausgeliefert ist. Aber selbst dort darf der unverschuldet obdachlos Gewordene nicht bleiben.

Zu den herausragenden Beiträgen im Wettbewerb zählte allen voran das packende Zeitpanorama „State Funeral“, mit dem der ukrainische Filmemacher Sergej Loznitsa Stalins groß angelegtes Staatsbegräbnis als groteske Farce entlarvt.  – Keine Frage, so ein Werk gehört auf die Leinwand. Mithin erwies sich der goEast-Hybrid, der den Wettbewerb, der im November beim exground-Festival im Kino nachgeholt werden soll,  vorerst nur einem Fachpublikum digital zugänglich machte,  als ein überzeugender Kompromiss.

Foto:
„Uppercase Print“
© Verleih