Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. Juli 2020, Teil 8
Margarete Ohly-Wüst
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - 1934 in Paris: Die hoch angesehene Wissenschaftlerin Marie Curie (Rosamund Pike) hat einen Zusammenbruch und wird ins Krankenhaus gebracht. Auf dem Weg dorthin erinnert sich die 66jährige Physikerin und Chemikerin an ihr eigenes sehr wechselhaftes Leben.
1891 schreibt sich die 24jährige Polin Marie Skłodowska an der Universität Sorbonne in Paris für ein Physikstudium ein, da sie in Warschau nicht studieren kann. Durch ihre kompromisslose Persönlichkeit hat sie bald einen schweren Stand und gerät mit den Professoren der Fakultät um Professor Lippman (Simon Russell Beale) aneinander. Sie schließt zwar ihr Studium mit Bestnoten ab und ihre Professoren erkennen auch ihr Talent, aber sie können nicht mit dem Selbstbewusstsein der jungen Frau umgehen und verweigern ihr eine Forschungsmöglichkeit.
Sie wird von dem jungen Wissenschaftler Pierre Curie (Sam Riley) für ihrer Leidenschaft und Intelligenz bewundert. Da er auch ein Außenseiter an der Universität ist, bietet er ihr einen Platz in seinem Forschungslabor an. Etwas zurückhaltend nimmt Marie an. Im Laufe der Zeit beginnen die Beiden an gemeinsamen Projekten zu arbeiten und kommen sich dadurch auch persönlich näher. Sie heiraten 1895. Im September 1897 bringt Marie ihre erste Tochter Irène zu Welt. Ebenfalls 1897 beginnt sie mit der Erforschung radioaktiver Substanzen, die danach ihr Leben lang den Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit bilden werden.
Aufbauend auf den Forschungsergebnissen von Henri Becquerel beobachtet sie die Strahlung von Uranverbindungen. In den nächsten Jahren können Marie und Pierre nicht nur bahnbrechende Ergebnisse vorweisen, sondern sie entdecken auch zwei neue Elemente: Polonium und Radium und Marie erfindet das Wort "Radioaktivität".
Zusammen mit Henri Becquerel erhalten Marie und Pierre Curie 1903 den Nobelpreis für Physik. Allerdings wird Marie nicht zur Überreichung des Preises eingeladen.
Bei Pierre Curie zeigen sich erste Zeichen einer (Strahlen-)Krankheit und er verunglückt 1906 tödlich als er von einen Fuhrwerk überfahren wird. Jetzt steht Marie mit zwei kleinen Kindern allein da (die zweite Tochter Ève wird 1904 geboren).
Sie erreicht, dass sie erst einmal Pierres Lehrverpflichtungen übernehmen kann, bevor sie endlich selbst auf den Lehrstuhl für Allgemeine Physik berufen wird. Sie war damit nicht nur die erste Professorin, sondern auch die erste Frau überhaupt, die an der Sorbonne lehrte.
Marie forscht auch weiter und bewirbt sich 1910 um einen freien Platz in der Académie des sciences. Sie unterliegt 1911 bei der Abstimmung aber mit einer Stimme dem Physiker Édouard Branly. Sie wird sich nie wieder bewerben.
Etwa zur gleichen Zeit beginnt sie ein Verhältnis mit Paul Langevin (Aneurin Barnard), dem fünf Jahre jüngeren Physiker und Schüler von Pierre. Als das Verhältnis durch eine bewusste Indiskretion an die Boulevardpresse von Pauls Frau Jeanne (Katherine Parkinson) bekannt wird, wird sie auch persönlich angegriffen und vor allem in der konservativen, antisemitischen und rechts gerichteten Presse als Ausländerin, Intellektuelle, Jüdin und unmögliche Frau beschimpft. Außerdem veröffentlicht eine Zeitung Auszüge aus dem Briefwechsel zwischen Paul und Marie, den Jeanne an sich genommen hatte.
Im Herbst 1911 entscheidet das Nobelkomitee, Marie Curie den Preis für Chemie zuzuerkennen. Trotz aller Widerstände fährt Marie zusammen mit ihrer 14jährigen Tochter Irène nach Stockholm, um den Preis entgegen zu nehmen. Sie hält dort auch ihre Nobelpreisrede.
Auch wenn Marie Curie in Frankreich trotz der beiden Nobelpreise nicht sehr beliebt ist, erlernt sie die Grundlagen der Strahlenbehandlung. Sie entwickelt zu Beginn des Ersten Weltkriegs mobile Röntgenwagen zur Behandlung verwundeter Soldaten in Frontnähe, die sie auch gegen den Willen der örtlichen Militärs mit Hilfe des Kriegsministers Alexandre Millerand (Tim Woodward) durchsetzt, der während der Langevin-Affäre ihr Rechtsanwalt war. Schon Ende 1914 bedient sie zusammen mit ihrer Tochter Irène (Anya Taylor-Joy) und einem Mechaniker die ersten Röntgenwagen hinter der Front. Da ihre 17jährige Tochter bald selbständig arbeitet, macht Marie noch den Führerschein. Außerdem bildet sie ab 1916 neben den benötigten Technikern besonders weibliches Personal für weitere Wagen aus.
Nach Ende des Weltkrieges setzt Marie Curie sich neben ihrer Arbeit am Pariser Radium-Institut und der Förderung von weiblichen Studenten vor allem für die Belange des Völkerbundes ein. Ihre Tochter Irène wird 1926 gegen Maries Willen den ehemaligen Praktikanten und späteren Assistenten Frédéric Joliot (Edward Davis) heiraten.
Doch wie schon vor vielen Jahren bei Pierre treten auch bei ihr die Folgen der jahrelangen Arbeiten mit radioaktivem Material immer deutlicher hervor...
Marie Skłodowska Curie (1867 - 1934) ist eine polnische Physikerin und Chemikerin. Sie ist die erste und später dann auch noch die vierte Frau, die mit einem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Der Nobelpreis für Physik wurde 1903 ihr und Pierre Curie "als Anerkennung des außerordentlichen Verdienstes, den sie sich durch ihre gemeinsamen Arbeiten über die von H. Becquerel entdeckten Strahlungsphänomene erworben haben" verliehen; den Preis für Chemie erhielt sie 1911 "als Anerkennung des Verdienstes, das sie sich um die Entwicklung der Chemie erworben hat durch die Entdeckung der Elemente Radium und Polonium, durch die Charakterisierung des Radiums und dessen Isolierung in metallischem Zustand und durch ihre Untersuchungen über die Natur und die chemischen Verbindungen dieses wichtigen Elements".
Die beiden nächsten Nobelpreisträgerinnen waren übrigens Bertha von Suttner (1905 mit dem Friedensnobelpreis) und Selma Lagerlöf (1909 für Literatur). Neben Marie Curie gab es bisher nur 2 Frauen, die den Nobelpreis in Physik, und 4 Frauen (incl. ihrer Tochter Irène), die den Preis in Chemie erhalten haben.
Marie Curie war gleichzeitig eine von nur vier Nobelpreisträgern, die zweimal geehrt wurden. Die anderen drei waren John Bardeen (1956 und 1972 für Physik), Frederick Sanger (1958 und 1980 für Chemie) sowie Linus Carl Pauling (1954 für Chemie und 1962 für Frieden). Linus Pauling ist der einzige Preisträger, der keinen der Preise teilen musste.
Marie Curie ist allerdings nicht die einzige in ihrer Familie, die mit einem Nobelpreis geehrt wurde. Ihre Tochter Irène Joliot-Curie erhielt zusammen mit ihrem Ehemann Frédéric Joliot-Curie 1935 den Preis für Chemie für die Entdeckung der Synthese eines Radionuklids. Nicht so bekannt ist, dass auch ihre Tochter Ève Curie-Labouisse zusammen mit ihrem Ehemann Henry R. Labouisse 1965 den Friedensnobelpreis für die UNICEF entgegen genommen hat. Übrigens hatte die Langevin-Affäre doch noch ein Happy End, denn Marie Curies Enkelin Hélène Joliot heiratete 1948 Michel Langevin, den Enkel von Paul Langevin.
In den vergangenen acht Jahren gab es außer dem englischen Film "Marie Curie - Elemente des Lebens" (2019) drei weitere Filme über Marie Curie: die BBC Dokumentation "The Genius of Marie Curie - The Woman Who Lit up the World" (2013), den französischen Fernsehfilm "Marie Curie, une femme sur le front" (2014) und den französisch/polinisch/deutschen Kinofilm "Marie Curie" (2016), der allerdings 1911 mit der Verleihung des Chemie-Preises endet und der sehr viel stärker auf die Affäre mit Paul Langevin eingeht.
Bei dem hier besprochenen Film führt die iranisch-französische Comiczeichnerin Marjane Satrapi Regie, die vor allem durch ihren Animationsfilm "Persepolis" (2007) bekannt wurde, der auf ihrer eigenen Graphic Novel beruhte. Auch der hier besprochene Realfilm basiert auf einer Graphic Novel und zwar Radioactive: Marie & Pierre Curie: A Tale of Love and Fallout (2010) von Lauren Redniss. Das Drehbuch wurde von Jack Thorne für den Film adaptiert.
Mit Rosamund Pike als Marie, Sam Riley als Pierre Curie, Aneurin Barnard als Paul Langevin, Simon Russell Beale als Professor Lippmann sowie Anya Taylor-Joy als junge Irène Curie konnte die Regisseurin hervorragende Schauspieler für ihre jeweiligen Rollen gewinnen.
Rosamund Pike schafft es die einzelnen Lebensstationen der Forscherin, Ehefrau, Mutter, Professorin und Radiologin hervorragend darzustellen, die bei aller Sprödigkeit weder durch den frühen Tod ihres Ehemanns, ihre eigene beginnende Strahlenkrankheit, noch durch die Anfeindungen während der Langevin-Affäre ihre einmal eingeschlagene wissenschaftliche und politische Linie verloren hat. Außerdem gelingt es ihr auch noch zwei Töchter großzuziehen.
Sam Riley ist als Pierre Curie ein kongenialer Partner, der Marie zwar unterstützt, ihr aber immer ihre Eigenständigkeit lässt. Rosamund Pike und Sam Riley harmonisieren hervorragend und ihr sehr gelungenes Zusammenspiel macht die Zuneigung und das Vertrauen des Paares deutlich. Aneurin Barnard kann leider in seiner Rolle als Paul Langevin keinen bleibenden Eindruck hinterlassen, wohl auch weil die Liebesaffäre mit Marie in diesem Biopic doch recht kurz abgehandelt wird.
Doch der Film erzählt nicht nur die Geschichte der intellektuellen Partnerschaft der Curies und ihre Erfolge, sondern es werden auch die Auswirkungen ihrer Entdeckungen bis auf den heutigen Tag gezeigt. In Beispielen werden auf die Krebs-Therapie eines Jungen aber auch auf die Atombombe auf Hiroshima oder die Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl hingewiesen.
Gerade durch diese Beispiele wird in diesem Film die wissenschaftlichen Leistungen und die Experimentierfreude von Marie Curie deutlich mehr gewürdigt als in Marie Noëlles Film "Marie Curie" (2016), der doch seinen Focus stärker auf das Privatleben der Wissenschaftlerin gelegt hat.
Regisseurin Marjane Satrapi ist ein spannendes Porträt einer brillanten Naturwissenschaftlerin gelungen, die daneben auch Pionierarbeit für die Gleichberechtigung der Frauen geleistet hat. "Marie Curie - Elemente des Lebens" ist eine sehenswerte Biografie, bei der auch die Ausflüge in die Gegenwart nicht stören.
Foto: Marie (Rosamund Pike) und Pierre Curie (Sam Riley) zusammen im Labor © StudioCanal GmbH
Info:
Marie Curie - Elemente des Lebens (Großbritannien 2019)
Originaltitel: Radioactive
Genre: Drama, Biografie, Romanze
Filmlänge: 103 Min.
Regie: Marjane Satrapi
Drehbuch: Jack Thorne nach der Graphic Novel Radioactive: Marie & Pierre Curie: A Tale of Love and Fallout (2010) von Lauren Redniss
Darsteller: Rosamund Pike, Sam Riley, Aneurin Barnard, Simon Russell Beale, Anya Taylor-Joy u.a.
Verleih: StudioCanal GmbH
FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 16.07. 2020