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Claus Wecker
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Nein, ein Verräter sei er nicht, sagt Tommaso Buscetta (Pierfrancesco Favino) im ersten Verhör. Doch Staatsanwalt Giovanni Falcone (Fausto Russo Alesi) bleibt beharrlich. Und der Kopf der konkurrierenden Corleonesi, Totò Riina (Nicola Cali), treibt es doch zu arg. Er hat beide erwachsenen Söhne von Buschetta auf dem Gewissen. Es ist tödlich geworden, zu seiner Familie zu gehören, und deshalb packt Buscetta aus.
Er habe sich nicht verändert. Die Cosa Nostra sei früher ehrenwert gewesen, man habe aber mit dem Drogendealen jedes moralische Maß verloren. Um immer mehr Geld zu verdienen, ruiniere man jetzt schon das Leben der Kinder, sogar das der eigenen, empört er sich später vor Gericht. Und man schrecke sogar nicht davor zurück, Frauen und Kinder zu erschießen.
Gäbe es nicht den Staatsanwalt, der mit ein paar blutigen Fakten im Verhör kontert, und erinnerten wir uns nicht an die Sequenz des Films, in der im Minutentakt Menschen erschossen werden, könnten wir Zuschauer Buschetta vielleicht doch für einen Ehrenmann halten.
Jener Konflikt zwischen Faszination und Abscheu, der die Mafiafilme, auch diesen, so anziehend macht, hat in Pierfrancesco Favino eine perfekte Verkörperung getroffen. Ein eitler Macho, der Frauen mehr liebt als Schusswaffen, aber auch mitgemacht und gemordet hat. Für die Gerichtsverhandlung lässt er sich beim Maßschneider einkleiden und begegnet dort dem korrupten Giulio Andreotti. Auch ein hohes Tier in Rom ist mit der sizilianischen Cosa Nostra verbandelt.
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Den Hauptteil des Films bildet der große, spektakuläre Prozess in Palermo. Bellocchio hat sich eng an die Protokolle gehalten, gibt die Wortgefechte zwischen Buschetta und den anderen Bossen im Wortlaut wieder. Wie Raubtiere in Käfigen werden die Angeklagten im Gerichtssaal gehalten. Voller Verachtung versuchen sie, Buschetta und später auch Contorno zu diskreditieren und die Justiz zu verhöhnen.
Durch diese Gerichtsszenen, die durch Rückblenden und Träume unterbrochen werden, unterscheidet sich »ll Traditore« von den klassischen Filmen von Coppola und Scorsese. Weil es Bellocchio darauf anlegt, den Mythos Cosa Nostra zu zerstören (wobei er durchaus die genretypische Musik von Nicola Piovani verwendet). Allzu abstoßend sind die Mafiabosse gezeichnet, die auch bei der Nachricht vom tödlichen Attentat auf Falcone jubilieren und den Toten noch beschimpfen, Da bleibt kein Raum für Bewunderung. Bellocchios Schilderung lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass es sich bei der Cosa Nostra um ein Krebsgeschwür in der Gesellschaft, übrigens nicht nur auf Sizilien, handelt.
Auch in den USA, wo Buschetta nach dem Prozess in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wird, kann er sich nicht sicher fühlen. Die Bedrohungen dort hat Bellocchio meisterhaft inszeniert. Der Regisseur, der 1965 mit »I pugni in tasca - Mit der Faust in der Tasche« bekannt geworden ist, beendet seinen Beitrag zur Geschichte der Mafia in bester Thrillermanier. Wir gewinnen keine neuen Erkenntnisse, aber die intelligente Komposition und die überragenden Protagonisten – »Il Traditore« ist eben auch ein großer Schauspielerfilm – machen Bellocchios Alterswerk so sehenswert.
Fotos:
© Verleih
Info:
IL TRADITORE - ALS KRONZEUGE GEGEN DIE COSA NOSTRA (Il traditore)
von Marco Bellocchio, I/F/D/BRA 2019, 140 Min.
Tommaso Buscetta Pierfrancesco Favino
Cristina, Tommasos Frau Maria Fernanda Candido
Pippo Calò Fabrizio Ferracane
Totuccio Contorno Luigi Lo Cascio
Giovanni Falcone Fausto Russo Alesi
Totò Riina Nicola Calì
Tano Badalamenti Giovanni Calcagno
Alfonso Giordano Bruno Cariello
Franco Coppi Alberto Storti
Mafiadrama / Start: 13.08.2020 / Note 2 / Filmtipp