02 EnfantTerrible KatjaRiemann OliverMasucciBavariaFilmproduktionSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Oktober 2020, Teil 5

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Unter dem Titel „Enfant Terrible“ bringt der Filmemacher Oskar Roehler jetzt eine cineastische Verneigung vor dem großen Theater- und Filmregisseur Rainer Werner Fassbinder (1945 - 1982) in die Kinos.


Diese vermeintliche Hommage ist keine Biografie, kein Biopic, sondern reiht assoziativ schrille Szenen aus Fassbinders Leben aneinander: Münchener Antitheater, erste Filmerfolge, Festivals, Auszeichnungen. Vor allem aber widmet Roehler sich ausgiebig Fassbinders angeblich miesem Umgang mit den Leuten in seinem wilden „Clan“, der ihm als Familienersatz diente, und dem ausschweifenden schwulen Sex. Dazu kolportiert er, der Filmkünstler habe seine Liebhaber in den Tod getrieben oder Kinder gequält. Das wird meist bei schummrigem Licht in bunt bemalten theatralischen Kulissen erzählt. Roehlers eigenartiges Machwerk könnte durchaus ein alter, überzeichneter Streifen von Fassbinder selbst sein.

Aber fassungslos sitzt man im Kino und denkt, dieses grölende oder sabbernde, andere beleidigende, manchmal an sich selbst zweifelnde und rauschgiftsüchtige Monster mit Schaum vor dem Mund (Oliver Masucci), soll der weltberühmte deutsche Regisseur gewesen sein? Der Mann war 37 als er starb und hatte bis dahin über 40 Spielfilme gedreht, 24 Theaterstücke inszeniert, dazu TV-Serien wie „Berlin: Alexanderplatz“ gemacht, in eigenen oder fremden Streifen mitgespielt, Drehbücher und weitere Stücke geschrieben. „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“, hieß das programmatische Buch von Harry Baer über ihn. Für seine „Schlaflosigkeit“ erhielt Fassbinder zahlreiche Preise auf den Filmfestivals in Berlin und Cannes sowie sieben - die meisten bisher vergebenen - Deutsche Filmpreise.

Doch Roehler beschränkt sich in seinem missfälligen Bilderbogen meist auf die private exzentrische Seite des „Enfant Terrible.“ Fassbinders internationale Bedeutung für den „Neuen Deutschen Film“ in den 1970er- und frühen 80er-Jahren oder seine kühne Theaterarbeit bleiben dabei auf der Strecke. Inwieweit Fassbinder vor allem ein künstlerisches Enfant Terrible war, erfährt man im Kino nicht.

Roehler liebt das Psychologisieren:
Seine früheren, durchaus bildgewaltigen Filme („Quellen des Lebens“), interpretierte er gerne mit tiefschürfenden Überlegungen aus Freudscher Sicht - als würden seine Bilder und Figuren nicht für sich sprechen können. Man sollte Fassbinders bizarre Intimsphäre und seine sicherlich krasse Arbeitsweise nicht verschweigen, doch durch deren gehässige Kolportage schafft man keinen Schlüssel zu seinem Werk.


Lassen wir mal Weggefährten zu Wort kommen: Sein langjähriger Schauspieler und künstlerischer Leiter Harry Baer meinte im Spiegel: „Leider finde ich den Film ziemlich furchtbar. Erstens raucht und säuft Rainer in jeder einzelnen Einstellung, nach der Hälfte des Films kokst er dann auch noch ständig. Das ist unrealistisch, nicht mal er hätte das länger als drei Tage durchgehalten! Außerdem kann man 12 oder 13 Jahre einfach nicht in anderthalb Stunden erzählen.“ Barbara Sukowa arbeitete jahrelang intensiv mit Fassbinder zusammen. Auf die Frage, „War der wirklich so eklig?“, erklärte sie der Fuldaer Zeitung Anfang des Jahres  in einem Interview: „Nein überhaupt nicht, wir konnten wunderbar zusammenarbeiten.“ Auch Eva Mattes bekam von den Eskapaden des Regisseurs nicht viel mit: „Er war zu mir immer fürsorglich, fast zärtlich-süß. So konnte er auch sein.“

Foto:
Bavaria Filmproduktion

Info:
„Enfant Terrible“, Deutschland 2020, 134 Minuten, FSK ab 16 Jahren, Filmstart 1.10.2020 Regie Oskar Roehler mit Oliver Masucci, Katja Riemann, Eva Mattes, Désirée Nick u.a.