selten2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Oktober 2020, Teil 6

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Sowohl mit ihrem Spielfilmdebüt It Felt Like Love (2013) als auch dem nachfolgenden Beach Rats (2017) hat sich Autorin und Regisseurin Eliza Hittman als wichtige neue Stimme im Independent-Kino etabliert. Die beiden Filme waren nicht nur aufgrund ihres bewegenden cineastischen Stils bemerkenswert, sondern auch, weil sie einfühlsam und authentisch demonstrierten, wie hervorragend die Filmemacherin sich in junge Menschen in emotional aufgeladenen Lebensphasen hineinzuversetzen versteht. In ihrem mit Spannung erwarteten dritten Spielfilm NIEMALS SELTEN MANCHMAL IMMER erzählt Hittman erneut eine Geschichte, die in einer erkennbar realen Welt spielt und in der wir Charakteren begegnen, die direkt aus dem Leben gegriffen scheinen.

Die treibende Kraft des Films sind die beiden begabten Hauptdarstellerinnen Sidney Flanigan und Talia Ryder. Beide sind zum ersten Mal in einem Spielfilm zu sehen.

Obwohl NIEMALS SELTEN MANCHMAL IMMER unbestreitbar die aktuelle politische Situation und die damit verbundenen Probleme rund um weibliche  Selbstbestimmungsrechte und Gesundheitsversorgung anspricht, reichen die Ursprünge des Films bis in den Spätherbst 2012 zurück. Damals ging die Nachricht vom Tode Savita Halappanavars um die Welt. Bei der in Irland lebenden 28-jährige Zahnärztin kam es während der Schwangerschaft mit ihrem ersten Kind zu schweren Komplikationen, weshalb sie in ein Krankenhaus in Galway eingeliefert wurde.

Obwohl sich ihr Zustand rasch verschlechterte, wurde ihre Bitte nach einer Notfallabtreibung abgelehnt. Sie starb am 28. Oktober 2012 an einer Blutvergiftung – eine Woche, nachdem sie sich in Behandlung begeben hatte. „Ich erinnere mich, dass ich über Savita Halappanavar gelesen habe und am Boden zerstört war“, sagt Hittman. „Ich habe mich dann im Internet über die irischen Abtreibungsgesetze informiert und darüber, wie das Verfahren kriminalisiert wurde.“ Einige Frauen blieb nichts übrig, als für Abtreibungen in Länder zu reisen, in denen das Verfahren legal war. Eines der Bücher, die Hittman damals las, war Ann Rossiters „Ireland’s Hidden Diaspora: The ‚abortion trail‘ and the making of an Irish-English underground, 1980-2000“. Das Buch beschäftigt sich mit dem Hilfsnetzwerk, das entstand, um irische Frauen in England bei der Durchführung von Abtreibungen zu unterstützen. Diese Untergrundbewegung verlor in den 2000er-Jahren an Bedeutung, als das Aufkommen des Internets, überarbeitete
englische Gesetze und Billigfluglinien es Frauen ermöglichten, an einem einzigen Tag von Irland nach England und zurück zu reisen.

Unabhängig von zeitlichen und logistischen Umständen fand Hittman die Berichte über die Reisen der Frauen zutiefst bewegend. „Ich dachte mir, dass das der Stoff für einen Film sein könnte, den ich mir ansehen würde. Eine Geschichte über diese geheimen Reisen, die Frauen unternehmen“, erinnert sie sich. „Ich arbeitete ein Treatment für einen Film aus, der ursprünglich in Irland spielen sollte. Aber das schien mir zu ehrgeizig. Ich hätte es niemals geschafft, einen Film in Irland zu realisieren. Also habe ich mich gefragt, wie die US-Version dieser Geschichte aussehen könnte.“ Im als „Roe vs. Wade“ bekannten Präzedenzfall von 1973 schrieb der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten das Recht von Frauen auf einen Schwangerschaftsabbruch im ersten Trimester fest. Spätere Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs erlaubten es den einzelnen Bundestaaten jedoch, den Zugang zu solchen Verfahren zu beschränken. Neue staatliche Regelungen und die Schließungen von Abtreibungskliniken hatten zur Folge, dass
Frauen größere Entfernungen zurücklegen mussten, um einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen.

Als Hittman im Internet Informationen sammelte, stieß sie auf Details, die die Geschichte, die sie erzählen wollte, nachhaltig beeinflussten. „Es gab Artikel über Frauen, die
für Abtreibungen nach New York City reisten und dort auf Parkbänken übernachten mussten“, sagt sie. „Die Stadt ist einfach so teuer, dass sie sonst nirgendwo bleiben konnten.“ Bei ihren Recherchen entdeckte Hittman, dass im US-Bundesstaat Pennsylvania massive Abtreibungsbeschränkungen gelten. Diese führen immer wieder dazu, dass Frauen die Staatsgrenze überqueren, um einen Schwangerschaftsabbruch in den Nachbarstaaten New York und New Jersey vornehmen zu lassen. Hittman reiste in einige Kleinstädte Pennsylvanias, um zu erfahren, welche Services im Bereich der reproduktiven Gesundheitsfürsorge den dort lebenden Frauen zur Verfügung stehen. Dabei stieß sie auf Schwangerschaftszentren, die der Pro-Life-Bewegung angeschlossen sind und deren erklärtes Ziel es ist, schwangere Frauen zur Elternschaft oder Adoption zu bewegen.

Beim Besuch dieser Institutionen absolvierte Hittman dieselben Schritte, die auch eine Patientin durchlaufen müsste; sie machte einen Schwangerschaftstest und führte Gespräche mit den Angestellten. Auf Grundlage ihrer Erfahrungen entwickelte sie ein zweites Treatment. Ihre eigene Schwangerschaft führte allerdings dazu, dass sie das Filmprojekt anschließend vorerst aufgab. Nach der Geburt ihres Kindes drehte Hittman stattdessen Beach Rats, der im Januar 2017 auf dem Sundance Film Festival Premiere feierte und ihr den Preis für die beste Regie einbrachte.

Fortsetzung folgt

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Info:
BESETZUNG
Rolle                          Schauspieler                                Synchronstimme
Autumn                      SIDNEY FLANIGAN                     Siri Wiedenbusch
Skylar                        TALIA RYDER                               Léa Mariage
Jasper                       THÉODORE PELLERIN                Max Felder
Autumns Mutter        SHARON VAN ETTEN                  Nadia Schönfeldt
Autumns Stiefvater   RYAN EGGOLD                            Tim Knauer

Abdruck aus dem Presseheft