Bildschirmfoto 2020 10 07 um 21.57.22Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. Oktober 2020, Teil 2

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Hatten Sie Lust, eine Komödie drehen? I

Ich war schon immer der Meinung, dass das Komische auch tragische Elemente birgt und umgekehrt. Das Thema in EINE FRAU MIT BERAUSCHENDEN TALENTEN hätte Claude Chabrol gefallen: Es enthält alle Zutaten einer Satire, aber es verliert nie das Menschliche aus den Augen. Mir gefällt die unmoralische, anarchistische Seite der Geschichte. Ebenso das Ende, in dem sich Leichtigkeit und Melancholie mit einer Art Einsamkeit vereinen. Für Patience schließen sich Romantik und Einsamkeit nicht aus. Und auch nicht Mut: Sie schreckt vor dem Wagnis des Neuanfangs nicht zurück.


Wie würden Sie das Leben von Patience beschreiben?

Sie ist eine Frau, die einen tragischen Trauerfall erlebte, den sie in einer Szene Hippolyte Girardots Figur erzählt, übrigens ein großartiger Filmpartner. Sie ist allein und kümmert sich um alles, ihre Töchter und ihre Mutter. Als dieser unerwartete fi nanzielle Glücksfall in ihr Leben tritt, stellt sie nicht viele Fragen, sondern stürzt sich in dieses Abenteuer. Sie ist unmoralisch, aber beinahe ohne es selbst zu realisieren. Ohne Zweifel das Vermächtnis ihrer Eltern. Eine Art Befreiungsakt, der tief in ihrem Inneren weniger auf ein neues Leben abzielt, als darauf, den verlorenen Glanz ihres früheren Lebens zurückzugewinnen. Sie ist irgendwie das Gegenteil von der Figur, die ich in dem Film VILLA AMALIA spielte. Diese hat nach einer Trennung alles hinter sich gelassen. Aber ehrlich gesagt, sind das nicht die Dinge, an die ich bei den Dreharbeiten bewusst dachte. Sie waren einfach da: Das Vermächtnis ihrer Vergangenheit fl ießt auf subtile Weise immer in die Erzählung ein. Das verleiht der Figur Patience und dem Film seine Tiefe und Poesie.


Sie mussten Arabisch lernen...

Ja, die arabische Sprache zu verstehen und zu sprechen ist Teil der Hauptfi gur und der Auslöser für die Erzählung. Es war sehr schwierig, aber die Herausforderung hat Spaß gemacht. Im selben Jahr musste ich auch für den Film LUZ von Flora Lau ein wenig Chinesisch sprechen. Bei Sprachen, die dem Französischen ähneln, ist es einfach, aber im Chinesischen und Arabischen gibt es viele Laute, die wir nur schwer reproduzieren können. Die Laute machen nur einen Teil der Arbeit aus. Ich habe schon ein paar Monate vor den Dreharbeiten damit begonnen, Arabisch aussprechen zu lernen. Zunächst habe ich nur die allgemeine Bedeutung eines Satzes verstanden. Nach und nach gelang es mir, die Bedeutung von Worten oder Wortgruppen zu verstehen. Aber der Klang der Aussprache ist so wichtig, dass es in gewisser Weise egal war, ob man inhaltlich etwas versteht oder nicht. Ich konzentrierte mich darauf, die Klangnuancen so gut wie möglich zu reproduzieren. Das Gesamtbild war entscheidend: Im Film spreche ich arabisch, verkleidet als arabische Frau. Manchmal als eine sehr reiche arabische Frau und manchmal als ärmere Frau. Mir gefällt das Kostüm, das Patience im Lebensmittelmarkt trägt. Ich finde es sehr authentisch. Wenn ihre Kleidung glanzvoller wird, ist es eher eine Maskerade. Es hat eine Menge Spaß gemacht: Ich konnte die Sprache nicht vom Kostüm trennen.


Haben Sie sich für andere Projekte auch so lange im Voraus vorbereiten müssen?

Der Klavierunterricht für DIE KLAVIERSPIELERIN war ähnlich. Das Klavierspielen oder das Erlernen einer Sprache erfordern viel Zeit. Da gibt es keine Abkürzung. Das ist auch beim Entwerfen der Kostüme so, nicht nur die von Patience. Die Kostümbildnerin Marité Coutard, mit der ich bereits bei SEHNSUCHT NACH PARIS von Marc Fitoussi zusammenarbeitete, hat eine fantastische Arbeit geleistet.

Ich habe auch viel mit dem Hund geprobt. Ich bin kein großer Hundefreund, aber es ist immer interessant, den Dreh mit Tieren zu beobachten. Wir wurden mehrmals miteinander bekannt gemacht. Sein Trainer war immer dabei. Wir gingen ein paar Mal gemeinsam spazieren. Er war ganz lieb.

Die Dreharbeiten waren insgesamt angenehm. Nicht zuletzt, weil die Zusammenarbeit mit Jean-Paul Salomé sehr angenehm ist. Die von ihm vorgeschlagene Herangehensweise bedeutete, dass Patience die ganze Bandbreite an Gefühlen aufweist, und ich durfte diese zeigen – nichts wurde versteckt. Das ist Luxus für eine Schauspielerin. Außerdem wurde der Film sehr gut vorbereitet. Das Drehbuch entwickelte sich stetig weiter. Der Film konzentrierte sich zunehmend auf die Gedanken und Gefühle von Patience, ohne dabei die Handlung zu ignorieren, die sich um sie herum abspielte. Als wir mit den Aufnahmen begannen, waren wir alle bereit. Es gab nicht mehr viel vorzubereiten. Ich denke, das merkt man dem Film auch an, genau wie in Paul Verhoevens ELLE. Es sind beides Filme, die vollständig von der Hauptfigur eingenommen werden. Für eine Schauspielerin ist es immer toll, eine so vielschichtige Rolle zu spielen. Es ist ein bisschen wie ein Faden, den man auseinander nimmt. Ich bevorzuge diese durchdringenden Rollen aufgrund ihrer unendlichen Vielfalt. Es gibt immer Gegensätzliches: stark – zerbrechlich, lustig – traurig. Da gibt es keine festen Regeln. Alles ist Freestyle.


Also keine Psychologie, keine Figurenkonstruktion?

Nein, ich glaube nicht an diese Konzepte. Aber es muss Substanz und eine gewisse Tiefe geben, die man dem Zuschauer auf diskrete Weise vermittelt. Ich mag meine Beziehung zu Madame Fo. Die Figur bringt mich zum Lachen und Jade Nguyen, die Schauspielerin, die sie spielt, auch. Mir gefällt die Verbindung zwischen Patience, Madame Fo und der Pfl egerin Khadija. Drei Frauen, verschiedenen Hintergrunds, die eine liebevolle Solidarität zusammenführt. Was in dem Film gut funktioniert, ist das Verwischen archetypischer Muster: Die Darstellung von Stärke aus einer zerbrechlichen Position heraus. Das ist es, was amüsant ist.

Ich sehe nicht wirklich aus wie eine taffe Superheldin! Ich muss an die Aufnahme meiner zierlichen Silhouette vor dem Windrad denken. Jean-Paul nutzt sein Regietalent und die Kraft des Kinos, um die Bilder für sich sprechen zu lassen. Das kleine Mäuschen in der rauen Männerwelt – eine irreführende, selbstbewusste Frauenfi gur.


Patience muss viel lügen. Ändern Lügen die Art und Weise Ihrer Darstellung?

Es ist sicher die Quelle des Komödiantischen. Wenn man lügt, dominiert man sein Umfeld. Es ist sozusagen eine Macht, die Patience über ihre Mitmenschen ausübt. Ob ich das spüre, wenn ich spiele? Es sind viele sich überlagernde Schichten, die diese Figur ausmachen. Das Kino erlaubt es, die Blickwinkel so zu interpretieren, das es stimmig ist. Die Lüge bietet daher eine Vielfalt an Darstellungsmöglichkeiten. Es machte sehr viel Spaß, das zu tun: die Szenen mit Hippolyte Girardot, in denen Patience versucht, Informationen zu sammeln, ohne sich selbst zu offenbaren; oder wenn sie selbst übersetzt. Ich teilte die Freude der Figur beim Lügen. Da gab es eine gewisse Allianz zwischen Schauspielerin und Rolle. Die Komödie erlaubt es, bestimmte Effekte zu erzielen. Man muss es nur richtig dosieren.



Info:
F2020. R: Jean-Paul Salomé. D: Isabelle Huppert, Hippolyte Girardot, Fairda Ouchani u.a. 104 Min. Start: 8.10. Verleih: Neue Visionen