Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 15. Oktober 2020, Teil 4
Margarete Frühling
München (Weltexpresso) - Der junge Silberdrache Lung (gesprochen von Julien Bam) langweilt sich in dem schönen waldreichen Tal. Da die Drachen von den Menschen, mit denen sie früher zusammengearbeitet haben, verfolgt werden, müssen sie sich verstecken, dürfen auf Anweisung ihres Anführers Flaschenhals nicht fliegen und kein Feuer spucken (was bei Lung zu dessen Leidwesen sowieso nicht klappt).
Lung würde gerne Abenteuer erleben, deshalb lauscht er mit großer Begeisterung den Erzählungen von Schieferbart, dem ältesten Drachen. Der erzählt von einem Ort namens "Saum des Himmels", an dem es noch weitere Drachen geben soll, die dort unbehelligt und in Freiheit leben können. Doch leider kann er sich nicht an den genauen Ort erinnern, da er schon etwas vergesslich ist und auch in wichtigen Momenten immer wieder einschläft. Während die anderen Drachen nicht an Schieferbarts Geschichten glauben und sich über ihn lustig machen, träumt Lung davon, diesen wunderbaren Ort zu finden.
Als die Drachen eines Tages feststellen müssen, dass die Menschen näher rücken und dabei sind, den Wald abzuholzen, entschließt Lung sich, innerhalb eines Mondzyklus nach dem sagenumwobenen "Saum des Himmels" zu suchen. Allerdings kann er nicht allein heimlich verschwinden, denn seine kleine Koboldfreundin Schwefelfell (Dagi Bee) will ihn unbedingt begleiten.
Da die beiden keine Ahnung haben, wo der "Saum des Himmels" sein könnte, fliegen sie auf Lungs allererstem Flug erst einmal in die nächste Stadt, denn Schwefelfell hat von einem allwissenden Orakel namens Internet gehört, das es dort geben soll.
In der Stadt treffen sie auf einen Jungen in einem Drachenreiter-Kostüm, der nach einem Einbruch auf der Flucht ist und nehmen ihn mit. Allerdings ist Ben (Mike Singer) eigentlich nur ein streunender Waisenjunge und kein Drachenreiter, doch er gefällt Lung, auch wenn Schwefelfell so ihre Bedenken hat.
Als die drei Abenteurer auf einer Waldlichtung Rast machen, treffen sie auf die drei Steinzwerge Kiesbart, Gipsbart und Mandelstein. Die wissen immerhin, dass der "Saum des Himmels" irgendwo im Osten liegt. Leider rennt Kiesbart (Axel Stein) direkt zum naheliegenden Schloss, in dem der böse mechanische Drache Nesselbrand (Rick Kavanian) sich langweilt. Der will nach Jahrhunderten endlich wieder auf Drachenjagd gehen, da er inzwischen sowohl seinen Erbauer als auch die meisten seiner Diener gefressen hat. Nur der Homunculus Fliegenbein ist noch übrig geblieben.
Während Lung und seine Freunde sich weiter nach Osten aufmachen, schickt Nesselbrand, der selbst nicht selbst fliegen kann, Fliegenbein auf einem Raben hinter ihnen her. Er selbst will den Reisenden zusammen mit Kiesbart in einem U-Boot folgen.
Durch einen Sturm stürzen die drei Abenteurer in der Wüste ab und treffen dort auf Professor Wiesengrund, der ein Reservat für bedrohte Fabelwesen leitet und gerade nach dem Pegasus sucht. Er rät ihnen zum allwissenden 1000äugigen Dschinn zu fliegen. Leider hört das auch Fliegenbein mit, der die Nachricht sofort an seinen Herrn weitergibt.
Da ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, begeben sich die Freunde auf Anraten des Professors danach noch zur indischen Drachenforscherin Subisha Gulab (Kaya Yanar), die zahlreiche Legenden kennt und der Reisegruppe den Weg zum "Saum des Himmels" zeigt. Sie erzählt ihnen auch von einer Prophezeiung über einen Drachenreiter, der vor langer Zeit lebte und eines Tages zurück kehren soll. Er würde den Drachen helfen, Nesselbrand zu besiegen. Zu dem klärt sie Lung über die Fähigkeiten und Schwächen von Nesselbrand auf.
Wird es Lung, Ben und Schwefelfell gelingen, den "Saum des Himmels" zu finden, Nesselbrand zu bezwingen und ihre Freunde zu Hause zu retten? Was wird dann aus Ben, der doch eigentlich nur ein Waisenjunge und gar kein Drachenreiter ist?
Der Film "Drachenreiter" beruht auf dem gleichnamigen Buch von Cornelia Funke, das in Deutschland erstmals 1997 veröffentlicht wurde. Das Drehbuch stammt von Johnny Smith. Regisseur ist in seinem ersten großen Film der israelische Regisseur Tomer Eshed, der an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf ein Animationsstudium abgeschlossen hat.
Der Film wird nicht nur in Deutsch, sondern auch in Englisch in die Kinos kommen. Für die englische Originalfassung konnten bekannte Schauspieler gewonnen werden, so sprechen z.B. Thomas Brodie-Sangster den Silberdrachen Lung, Felicity Jones das Koboldmädchen Schwefelfell, Freddie Highmore den Waisenjungen Ben und Patrick Stewart den bösen Gegenspieler Nesselbrand. Dabei wurden im englischsprachigen Original die Figuren anhand der Stimmen der Darsteller (mit)entwickelt. Die Einsprecharbeiten erfolgten allein auf Basis von Zeichnungen, die Animation der Figuren wurde anschließend mit Hilfe der Stimmen durchgeführt.
So hochrangige Schauspieler wurden in der deutschen Fassung leider nicht aufgeboten, denn sowohl Julien Bam als Lung als auch Dagi Bee als Schwefelfell sind weniger als Schauspieler oder Synchronsprecher und mehr als erfolgreiche YouTube-Stars bekannt. Der 20jährige Mike Singer, der Ben spricht, ist eigentlich als Popsänger und Songwriter bekannt geworden (vor allem auf YouTube, Instagram und Facebook). Wobei man allerdings zugeben muss, dass zumindest Julien Bam seine Sache sehr ordentlich macht. Er hat in diesem Jahr auch schon sehr erfolgreich Sonic im Film "Sonic the Hedgehog" (2020) seine Stimme geliehen. Dagi Bee und vor allem Mike Singer sind leider keine besonders gute Wahl.
Rick Kavanian als Drachenjäger Nesselbrand, Kaya Yanar in einer Doppelrolle als indische Drachenforscherin Subisha Gulab und als ihr etwas nervender Ehemann Deepak sowie Axel Stein als Steinzwerg Kiesbart - mit breitem Ruhrpott-Akzent - machen ihre Sache hervorragend, allerdings sind ihre Rollen deutlich kleiner. Kiesbart ist dabei als unterwürfiger Sidekick von Nesselbrand immer für einen Lacher gut. Schade, dass der Verleih die weiteren Sprecher nicht genannt hat, denn auch der Sprecher des Homunculus Fliegenbein sollte nicht unerwähnt bleiben.
Inhaltlich und vom Aussehen ist dagegen an "Drachenreiter" nichts auszusetzen. Obwohl der Film natürlich nicht das Budget von Animationsfilmen aus Hollywood hat, muss sich "Drachenreiter" nicht hinter der amerikanischen Konkurrenz verstecken. Denn nicht nur die Animation ist gelungen, sondern der ganze Film ist insgesamt auch sehr liebevoll gestaltet.
Die Story ist ein spannendes Roadmovie mit Charakteren, die sich erst einmal entwickeln und zusammenwachsen müssen, damit sie erfolgreich sein können. Vor allem Lung muss sich selbst finden, damit er am Ende nicht nur endlich sein ganz spezielles Feuer speien kann, sondern auch seine Freunde verteidigen, selbstbewusst Nesselbrand entgegen treten und damit erwachsen werden kann.
Der deutsch-belgische Animationsfilm wurde von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) mit der Auszeichnung: Kinderfilm, Prädikat "besonders wertvoll" ausgezeichnet, da die junge Zielgruppe viele positive Botschaften findet, wie beispielweise das Verhalten von Lung, der ganz ohne Vorurteile und mit einem offenen Augen und Ohren Kontakt mit Fremden sucht. Außerdem muss sich die gelungene Animation nicht hinter den viel teureren Hollywoodproduktionen verstecken. Die Jugend Filmjury vergibt 4 von 5 Sternen und empfiehlt den Film für Familien mit Kindern ab 6 Jahren, da der Film teilweise sehr gruselig ist, allerdings werden auch viele frühe Vorurteile im Laufe des Films widerlegt.
Schade, dass bei der Auswahl der Sprecher der drei Hauptcharaktere in der deutschen Fassung nicht bei allen Rollen auf Qualität, sondern auf angebliche Bekanntheit bei der jugendlichen Zielgruppe Wert gelegt wurde. Die englische Fassung zeigt, wie man es richtig machen kann, denn trotz dieser Kritik ist "Drachenreiter" ein sehenswerter und für Kinder ganz sicher spannender Animationsfilm geworden, bei dem sich aber auch die Erwachsenen nicht langweilen werden.
Foto: Julien Bam als Lung, Dagi Bee als Schwefelfell und Mike Singer als Ben © Constantin Film Verleih
Info:
Drachenreiter (Deutschland, Belgien 2020)
Originaltitel: Dragon Rider
Genre: Animation, Abenteuer, Fantasy, Literaturverfilmung, Kinder- und Familienfilm
Filmlänge: 91 Min.
Regie: Tomer Eshed
Drehbuch: John R. Smith nach dem gleichnamigen Buch von Cornelia Funke
Englische Sprecher: Felicity Jones, Thomas Brodie-Sangster, Freddie Highmore, Patrick Stewart u.a.
Deutsche Sprecher: Julien Bam, Dagi Bee, Mike Singer, Rick Kavanian, Axel Stein, Kaya Yanar u.a.
Verleih: Constantin Film Verleih
FSK: ab 0 Jahren
Kinostart: 15.10.2020