Bildschirmfoto 2020 10 17 um 00.24.37Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 15. Oktober 2020,  Teil 17

Carmen Losmann

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Als ich 2012 das Gerd-Ruge-Stipendium für dieses Projekt erhielt, ahnte ich noch nicht, auf welche Reise mich dieser Film schicken würde. Angefangen hat es mit harmloser Neugier: Nach der Finanzkrise wollte ich die Phänomene unseres Wirtschaftssystems verstehen. Mein erzählerischer Versuch, die Zusammenhänge des Kapitalismus über dessen Akteure begreifbar zu machen, erwies sich allerdings als schwierig bis unmöglich. Dadurch war ich gefordert, mich über andere Wege und Bilder der Frage zu nähern, woraus denn eigentlich die Triebfedern für Wirtschaftswachstum, Verschuldung und Vermögenskonzentration bestehen.

Bei der Erarbeitung des Bildkonzepts war es Dirk Lütter und mir wichtig, sowohl die Unzugänglichkeit als auch die gläserne Schein-Transparenz einer nach ökonomischen Parametern gestalteten Welt in Szene zu setzen: eine von Vertikalen und Horizontalen in Form gebrachte Welt mit ihren spiegelnden, glitzernden Fassaden und piepsenden Zugangsbeschränkungen. Mithilfe der grafischen Computerebene, die aus einer  ständig sich wiederholenden Rastermatrix besteht und sich in langen Überblendungen auf die Filmbilder legt, wollte ich diesen Effekt noch ausbauen. Sichtbar wird eine Metrik, die an ein Matheheft erinnert und sich wie ein feines, unsichtbares und doch alles bestimmende Raster auf uns und die Welt legt – zerlegt in einzelne Einheiten, die nur verrechnend miteinander in Beziehung treten.

Im Verlauf der Arbeit an diesem Filmprojekt wurde mir klar, dass ich andere erzählerische Wege finden musste, um mich bestimmten ökonomischen Zusammenhänge zu nähern. Zu stark schienen mir meine Interviewpartner aus der Wirtschaftswelt eingefasst in einen ideologischen Frame, innerhalb dessen meine Fragen weder Platz hatten, noch verstanden wurden. Und so inszenierten wir die Situation eines überarbeiteten Monopoly-Spiels im öffentlichen Raum einer Fußgängerzone mit einem Kreis an Menschen, die sich der Analyse von kapitalistischer Ökonomie und Geldproduktion verschrieben haben.

Diese Szenen in der Fußgängerzone durchziehen den Film wie ein roter Faden. Gleichzeitig agieren die Spielenden wie ein Chor des griechischen antiken Theaters, der dem Publikum gegenüber ausdrückt, was die Hauptcharaktere des Stücks – meine Interviewpartner – nicht zu sagen vermochten. Die ästhetisch-dramaturgische Entscheidung, mich als regieführende Figur zu Beginn des Films zu etablieren und in Form von Recherche-Telefonaten durch den Film hindurchzuführen, drängte sich erst während des Montageprozesses auf.

Zudem diente mir das Stilmittel der Telefonate als künstlerisches Containerformat, in dem ich sowohl nicht zur Veröffentlichung gedachte Gespräche genügend verfremden, als auch einzelne Recherchefragmente angemessen verdichten konnte, um den Film zu einem schlüssigen Ganzen zu verweben. Insgesamt sehe ich in OECONOMIA eine Fortführung meiner fi lmischen Arbeit, die bei meinem vorhergehenden Film WORK HARD PLAY HARD in der unausgesprochenen Frage endete: Was bringt Unternehmen dazu, nach permanentem profi tablem Wachstum zu streben?


DIE REGISSEURIN CARMEN LOSMANN
Carmen Losmann ist 1978 in Crailsheim geboren und in Hohenlohe aufgewachsen. Auf ein dreijähriges Studium in Köln und England (Bachelor of Arts Marketing) folgte ein Studium an der Kunsthochschule für Medien Köln mit Diplom-Abschluss im Fachbereich Film. Ihr Debütfilm – der abendfüllende Dokumentarfilm WORK HARD PLAY HARD – setzt sich mit den Wirkungen des modernen Human Resource Managements auseinander und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Grimme-Preis 2014. Für den Dokumentarfilm OECONOMIA erhielt sie das GerdRuge-Projektstipendium. Carmen Losmann lebt und arbeitet in Köln und Templin.

Filmografie (Auswahl):
2011 WORK HARD – PLAY HARD
2009 NICHT WIE JEDER 

Foto:
© Verleih

Info:
Oeconomia (Deutschland 2020)
Regie: Carmen Losmann
Verleih: Neue Visionen Filmverleih