andersSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 22.10. 2020, Teil 4

Anders Østergaard

Berlin (Weltexpresso) - Der Ausgangspunkt des Films WINTERREISE sind die authentischen Gespräche zwischen Vater und dem erwachsenen Sohn in Tucson, Arizona, die der Sohn nach dem Tod der Mutter mit seinem Vater geführt hat. Sie werden mit Darstellern, Requisiten und gescriptetem Dialog inszeniert, der allerdings auf den wahren Begebenheiten beruht und in Zusammenarbeit mit Martin Goldsmith entstanden ist.

Die Atmosphäre bleibt jedoch dokumentarisch, da der Sohn während des Filmes immer hinter der Kamera ist, die Kamera führt und nicht im Bild auftaucht, während er seinen Vater interviewt. In den Sequenzen, die die Geschichte ins Deutschland der 30er und 40er Jahre zurückführen, kommt eine andere Bildsprache zum Einsatz: Archivmaterial und nachgestellte Standfotos.

Da wir historische Kameras und Original-Objektive verwendeten, wirken die Aufnahmen besonders authentisch. Sie könnten als Schnappschüsse der Ereignisse betrachtet werden – die Standfoto Ästhetik unterstreicht die Distanz, die durch den Erinnerungsprozess entsteht. Sie ahmt damit die Form nach, in der wir uns an wichtige Augenblicke unseres Lebens erinnern und symbolisiert zudem die zunehmende Ausgrenzung für unseren Protagonisten.

Die Schauspieler, die in diesen Szenen agieren, Re-Enactment-Protagonisten, wurden mit Hilfe von Green Screen in die authentischen Hintergründe der Archiv-Fotos eingefügt und können sogar in dem Bewegtbild umhergehen. Eine dritte Methode ist der Einsatz von geschriebenem, erfundenem Dialog und Soundeffekten zu existierendem Archiv-Material aus der Zeit. Mit dieser Methode lassen sich wichtige Momente im Film akzentuieren.

Ich suche immer nach zusätzlichen Quellen, die das Material auf ungewöhnliche Weise kommentieren, wie die verschiedenen Zitate von der Bühnenaufführung der „Zauberflöte“. Dabei bin ich immer wieder überrascht, wie einfach sich unterschiedliche Elemente zusammenführen lassen, wenn Klarheit über die Geschichte und die dramatische Absicht jeder einzelnen Szene besteht. 


Anders Østergaard

Anders Østergaard wurde 1965 in Kopenhagen geboren. Er konzentriert sich ausschließlich auf das Genre des Dokumentarfilms für Kino und Fernsehen, wobei seine Filme größtenteils auf von ihm geschriebenen Drehbüchern basieren. Oft greift er auf eine Mischung aus Archivmaterial und neuen Aufnahmen zurück, die dokumentarische Authentizität mit psychologischer Intimität verbinden. Im Jahr 2006 erhielt er für seinen Beitrag zum dänischen Film das Erik Ballings Travel Scholarship, im Jahr 2015 den Danish Dreyer Award als Anerkennung für seine Leistungen außergewöhnlicher künstlerischer Arbeit in der dänischen Filmindustrie. Seine bisher erfolgreichste Arbeit ist der gemeinsam mit Lise Lense-Møller produzierte Film "Burma VJ - Reports from a Closed Land", für den er für den Oscar für den besten Dokumentarfilm 2010 nominiert wurde.


Foto:
Anders Østergaard
© Verleih

Info:
Buch: Anders Østergaard und Martin Goldsmith,
nach einer Buchvorlage von Martin Goldsmith
Regie: Anders Østergaard

Bruno Ganz als Georg Goldsmith (alt)
Leonard Scheicher als Günther Goldsmith (jung)
Harvey Friedmann als Martin Goldsmith on Set
Dani Levy als Vermieter
András Bálint als Professor Spittel
Izabella Nagy als Rosemarie Goldsmith
Martin Goldsmith als Erzähler