Bildschirmfoto 2020 10 29 um 22.20.54Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 29.10. 2020, Teil 6

N.N.

Mannheim (Weltexpresso) – Was gab den Ausschlag für Sie, „Und morgen die ganze Welt“ drehen zu wollen? Was ist die Genese des Projekts?

UND MORGEN DIE GANZE WELT hätte schon mein erster langer Film werden sollen. Ich trage den Stoff in mir, seit ich Filme machen will. Tatsächlich ging auch schon eine erste Drehbuchfassung im Jahr 2002 an den WDR. Dies ist mit dem heutigen Film nicht vergleichbar, aber der Kern ist über all die Jahre derselbe geblieben: eine junge Frau, die in die linke Szene eintaucht und dort vor die Frage gestellt wird, ob Gewalt ein politisches Mittel sein kann oder sogar muss in bestimmten zugespitzten gesellschaftlichen Zuständen. Über dieser Frage zerbricht die Gruppe, zerbrechen Loyalitäten und setzen sich später auf neue Art und Weise wieder zusammen.


Wie hat sich der Stoff im Lauf der Jahre entwickelt? Wann nahm er Form an und wurde zu UND MORGEN DIE GANZE WELT?

Das Projekt hat verschiedene Phasen durchlaufen. Es war zunächst ein Spielfilm, der sich rund um einen wahren Fall drehte, die Tötung des Nazis Gerhard Kaindl in Neukölln im Jahr 1992. Dass wir den Stoff damals nicht finanziert bekamen, ist rückblickend ein Glück. Ich war damals noch nicht soweit, diesen Film, wie er mir vorschwebte, drehen zu können. Dann haben wir einen Dokumentarfilm geplant mit alten Antifa-Veteranen, Freunden von uns: Wie haben sich ihre Utopien ins Erwachsenenleben hinein fortgesetzt, wie kann man sie sich erhalten? Das wäre sehr spannend geworden, wurde aber ebenfalls nicht finanziert. Dann legten wir den Stoff fiktiv historisch an, in den 1990er-Jahren, das war dann schon UND MORGEN DIE GANZE WELT. Damit haben wir zum ersten Mal Drehbuchförderung bekommen, der FFF glaubte an den Stoff. Während des Schreibens wurde uns aber bewusst: Das ist kein historischer Stoff. Diese Geschichte musste in der Gegenwart spielen, im Deutschland von heute, im Hier und Jetzt.


Ihr Film erzählt mit den Mitteln des Sturm und Drang eine ungewöhnliche Liebesgeschichte ebenso wie von der Selbstfindung einer jungen Frau, die vor folgenschwere Entscheidungen gestellt wird, all das vor einem nicht nur in Deutschland höchst aktuellen politischen Hintergrund. Welche Themen waren Ihnen wichtig? Was wollen Sie erzählen?

Zunächst gehe ich bei dem Film ganz stark von mir aus und stelle Fragen, die mich selbst schon immer, aber auch zunehmend wieder beschäftigen, nämlich: Wie weit ist man bereit, für seine politischen Überzeugungen zu gehen? Welchen Preis ist man bereit zu zahlen? Und auch: Wie ehrlich ist überhaupt so ein politisches Engagement? Oder inwieweit wird es teilweise von ganz persönlichen Motiven getrieben, die mit den Inhalten selbst nichts zu tun haben? Darum kreist der Film.  Es geht mir um keine politische Botschaft. Ich habe viele Jahre in meinem Leben Flugblätter geschrieben, das ist wohl das geeignetere Medium für politische Botschaften. Im Film geht es um Menschen und ihre Gefühle, die zu bestimmten Handlungen führen.


Und doch ist es ein politischer Film. Wie haben Sie die Balance zwischen persönlichem Drama und politischem Anliegen gefunden? Wo lagen die Herausforderungen?

Politische Anliegen zu vermitteln, kenne ich sehr gut aus der Arbeit in der linken Szene. Man will seinen Zuschauer erziehen, trägt praktisch die Fackel der Wahrheit durchs Land, und andere Meinungen lässt man kaum gelten. All das habe ich lange hinter mir gelassen. Ich habe aber lange gebraucht zu merken, dass ich diese hermetische Haltung überhaupt hatte. Im Film kann ich nur Gefühle und Gedanken meiner Protagonistin ausloten, die ich in komplexe Situationen bringe, ähnlich wie ich sie erlebt habe.


Der Film packt einen emotional sehr stark, weil er sehr präzise diese Gefühlswelt einer Zwanzigjährigen einfängt, auf die ein Überschwang an Emotionen einprasselt, die sich engagieren will und gleichzeitig verliebt...

Luisa kommt aus einem eher konservativen, kühlen Haushalt, wohnt fernab der Stadt auf dem Land. Einsamkeit spielt eine Rolle, Isolation. Sie sucht das Leben, sie sucht Familienersatz. Diese Anziehungskraft hatte die linke Szene schon immer. Die Gruppe, die einem Geborgenheit gibt und einen auffängt. Ein Zusammenschluss von Unangepassten und Zweiflern, auch Außenseitern, die zusammen eine Stärke entwickeln.


Wir sehen Luisa einmal Zuhause, da ist sie auf der Jagd. Wir sehen, dass sie den Umgang mit Waffen kennt, erhalten aber auch einen Einblick in ihr Elternhaus.

Im Jahr 2008 habe ich STANDESGEMÄSS gedreht, einen Dokumentarfilm, in dem ich junge Frauen aus adeligem Haus ein Jahr lang begleitet habe. Da habe ich mich diesem Mikrokosmos der Adeligen und ihrer Jagdvergnügen bereits einmal intensiv gewidmet. Dennoch ist die große Entwicklung meiner Hauptfigur in UND MORGEN DIE GANZE WELT ihr Ringen um Recht und Gerechtigkeit. Sie ist Jurastudentin im ersten Semester, glaubt also anfangs noch an Recht und Gesetz, verliert diesen Glauben aber im Verlauf des Films. Das ist ein wichtiger Kern.


Sie haben das Drehbuch mit Ihrem Ehemann John Quester geschrieben. Wie sieht Ihre Zusammenarbeit aus?

Der Film ist für uns beide eine absolut persönliche Angelegenheit. Wir kennen uns aus der Antifa. Wir haben uns in dem Alter, in dem sich unsere Protagonisten befinden, kennengelernt. Wir sind als Paar praktisch gemeinsam aus diesem politischen Engagement in das Filmemachen hineingewachsen. Wir sind beide Autodidakten, sowohl beim Drehbuchschreiben wie beim Regieführen. Es ist eine intensive Zusammenarbeit. Gerade bei einem so persönlichen Stoff können wir auf einen großen Pool gemeinsamer Erfahrungen und Menschen zurückgreifen. Es ist unser fünftes gemeinsames Drehbuch, unser vierter verfilmter gemeinsamer Film. Es sollen noch viele folgen. 

FORTSETZUNG FOLGT

Foto:
© Verleih


Info:
BESETZUNG & STAB
Luisa    MALA EMDE
Alfa      NOAH SAAVEDRA
Lenor   TONIO SCHNEIDER
Batte.   LUISA CÉLINE-GAFFRON
Dietmar ANDREAS LUST

Regie JULIA VON HEINZ
Drehbuch JULIA VON HEINZ & JOHN QUESTER

Abdruck aus dem Presseheft