BILANZ DER VIENNALE  22. Oktober bis 1.November 2020, Teil 1
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Anna von Stillmark

Wien (Weltexpresso) - Sie ist erfolgreich zu Ende gegangen, die diesjährige VIENNALE, die trotz der außergewöhnlichen und widrigen Umstände erfolgreich war. Mit   dem diesjährigen Abschlußfilm THE TRUFFLE HUNTERS von Michael Dweck und Gregory Kershaw wurde dann als Galavorführung die 58. Ausgabe der VIENNALE  beendet.  Es war eine außergewöhnliche Viennale – gewissermaßen im Ausnahmezustand. Man kann die Entwicklung von Corona auch an den europäischen Filmfestivals ablesen. Die BERLINALE konnte noch unbeschadet zu Ende gehen (und sie hat für das nächste Jahr die Durchführung 2021 angekündigt!), Cannes konnte nicht stattfinden, hatte dann einen Kurzauftritt,  Venedig hat unter strengen Restrikionen, will sagen Hygienemaßnahmen seine Filmfestspiele durchgeführt und in Deutschland sind kleinere, aber wichtige Filmfestivals auch gelaufen. Mehr Film auf jeden Fall als in den Kinos, die unter dem neuen  Kulturverbot im November in Deutschland und Österreich wieder auf Null gefahren werden. 

Für die VIENNALE gilt: mit ein bißchen Glück, als Präsenzfestival gerade noch stattfinden zu können und mit einer überraschenden Reaktion der Zuschauer*innen:Trotz der um drei Tage verkürzten Dauer und der massiven Verringerung der Sitzplatz-Kapazitäten konnte die Viennale 42.000 Besucher*innen in den Kinosälen begrüßen. Das entspricht einer Auslastung von 74%. „Noch vor ein paar Wochen konnten wir nicht absehen, wie die Filmfreund*innen dieser Stadt unser Angebot in Zeiten der Pandemie annehmen würden“, freut sich Viennale Direktorin Eva Sangiorgi. „Ich bin überwältigt von der Reaktion des Publikums, sie übertrift meine Erwartungen bei weitem.“

Das diesjährige Festival: Elf Tage, zehn Kinos, 320 Vorführungen, 52 internationale und 45 österreichische Filmgäste, dazu zahlreiche Journalist*innen, Kritiker*innen und Gäste aus der Filmbranche. Am Eröfnungsabend war MISS MARX an allen zehn Spielorten der Viennale zu sehen. Das war eine gute Idee aus der sonst nur den Oberen zugänglichen Eröffnung, eine breite Filmeröffnung zu machen. Wer das tut, entwickelt ein ganz anderes, persönlicheres Verhältnis zum Festival, geht also in mehr Filme, da sind wir sicher. Die Regisseurin Susanna Nicchiarelli auf jeden Fall besuchte mehrere Kinos zur Eröffnung und war begeistert, dem Wiener Publikum so zahlreich begegnen zu können.

Das Festival begann mit der Anwesenheit und Unterstützung vieler Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur und Politik bei der Eröfnungsgala im Gartenbaukino, insbesondere von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und der Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler, die auf die immense Bedeutung von Kultur und Veranstaltungen wie der VIENNALE in dieser herausfordernden Zeit hinwiesen. Die Präsenz der Regisseur*innen, Produzent*innen und Autor*innen belebte die Säle, und das Publikum reagierte äußerst wohlwollend, indem es in großer Zahl in die Kinos strömte. Viele Autor*innen freuten sich, in einem gemeinsamen Raum interagieren zu können, von Jasmila Žbanić bis Abel Ferrara, von Radu Jude bis Zapruder Filmmakersgroup. Želimir Žilnik, der im gleichen Zeitraum in der Kunsthalle eine erweiterte Ausstellung seiner Werke eröfnete, widmete das Festival eine der Kinematografien.

120 Bühnengespräche mit anwesenden Künstler*innen fanden in den Kinosälen statt, etwa zehn davon online, um das Publikum u.a. mit Eliza Hittman, Kelly Reichardt, John Gianvito und Gianfranco Rosi zu verbinden. Eines der großen Highlights des Festivals war die Christoph Schlingensief gewidmete Monografie, die – ausgehend von Bettina Böhlers Dokumentarfilm über den Künstler – erlaubte, sich eingehend mit seinem filmischen Werk auseinanderzusetzen, einschließlich unveröfentlichtem Material wie seinem ersten Film, der entstand, als er noch ein Kind war, dem THEATERFILM und dem außergewöhnlichen SAY GOODBYE TO THE STORY, einer großen Hommage an Irm Hermann (1942–2020).

Durch die Isabel Pagliai gewidmete Monografie war es möglich, eine junge Autorin zu entdecken, die in der Lage ist, die Poesie der Kinder einzufangen und dem Kino in einer nie zuvor gekannten Weise zugänglich zu machen. Das nationale Kino spielte in diesem Jahr eine besonders große und wichtige Rolle, da viele österreichische Filme - macher*innen, Autor*innen, Produzent*innen und Schauspieler*innen anwesend waren. Das Programm „Austrian Auteurs“ vom Filmarchiv Austria ließ  eine Reihe von wesentlichen Independent-Werken der österreichischen Filmgeschichte wiederentdecken. Darüber hinaus erwies sich die Auswahl der Kinematografie „Kollektion Diagonale’20“ als eine notwendige Synergie, um in diesen schwierigen Zeiten zusammenzuhalten und das Kino gemeinsam zu feiern.

Die Retrospektive „Recycled Cinema“ in Zusammenarbeit mit dem Filmmuseum unterstrich die Fähigkeit des Kinos, Verbindungen zwischen verschiedenen Situationen und Zeiten, zwischen Erzählungen und Autor*innen herzustellen – etwas in diesen Tagen besonders Eindrucksvolles. Besonders bemerkenswert war sicher eines: Als die Pandemie sich in den letzten Tagen in vielen Ländern – und auch in Österreich – verschlimmerte, ging das Festival trotzdem mit einem starken Gefühl der Sicherheit und der Solidarität unter allen Teilnehmer*innen weiter. „Der Geist der Viennale 2020 feierte in der Tat den Gemeinschaftssinn“, so Viennale Direktorin Eva Sangiorgi. „Unter all jenen, die für die Kultur und insbesondere für das Kino arbeiten, die die Kultur und das Kino lieben und die sich von ihnen ernähren. Ein besonderer Dank gilt dem Publikum: für seine Leidenschaft und sein Vertrauen.“ 

Es freuen sich alle auf das nächste Jahr: die VIENNALE 2021.

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