Französische Filmtage in Tübingen
Notker Blechner
Tübingen (Weltexpresso) - Glück im Unglück hatten die Macher der Französischen Filmtage. Das Festival konnte gerade noch vor dem Teil-Lockdown über die Bühne gehen - wenn auch nur mit verkürzter Dauer. Die Besucher hatten die Qual der Wahl zwischen romantischen Beziehungskomödien und anspruchsvollen Dokumentarfilmen.
Auf Eines war Festivalchef Christopher Buchholz besonders stolz. "Wir sind besser als Cannes", sagte er zur Eröffnung der Filmtage. "Unser Festival lief länger." Während das Festival in Cannes diesmal an nur drei Tagen durchgezogen wurde, dauerten die Filmtage in Tübingen vier Tage. Buchholz: "Wir wollen Zeichen setzen!"
Trotzdem war die Freude gedämpft. Denn wegen des Lockdowns mussten die Filmtage um zwei Tage verkürzt werden. Zudem verhinderte Corona, dass die Kinosäle voll besetzt waren. Knapp die Hälfte der Filme wurden im Internet - kostenpflichtig - präsentiert.
Loser-Komödie zum Auftakt
Den passenden Eröffnungsfilm lieferte die Komödie von Benoît Delépine und Gustave Kervern "Effacer l'historique" (Die digital Naiven - das Internet vergisst nie). Darin geht es um das Schicksal von drei Nachbarn in einer französischen Kleinstadt, die zu Verlierern der Digitalisierung werden. Mit Humor und Beharrlichkeit trotzen sie ihrem tristen Dasein als Fast-Arbeitslose.
Herausragend war der Film "Alice et le maire" (Alice und der Bürgermeister). In der Tragikomödie von Nicolas Pariser engagiert der Lyoner Bürgermeister Paul Théraneau eine junge Philosophin, die ihn bei seiner Zukunftskonzept "Lyon 2500" inspirieren soll. Tatsächlich bringt die Intellektuelle den Bürgermeister ins Grübeln, stößt aber im Rathaus auf ein Bollwerk von Macht-Hierarchien und bürokratischer Inkompetenz. Am Ende gibt Théraneau seine Vision für die Stadt auf und versucht, in die nationale Politik zu wechseln. Er scheitert wegen taktischer Manöver - und geht in den Ruhestand.
Beziehungsdramas im Blickpunkt
In Frankreich spielen traditionell Beziehungskomödien eine wichtige Rolle. Das war auch beim Festival in Tübingen zu sehen. So zum Beispiel im Film "Alice". Darin betrügt ein Mann seine Frau mit Escort-Damen. Sie dreht den Spieß um und wird selbst zur Escort-Dame.
Wie eine Ehefrau ihren Mann fallen lässt, zeigt der Film "La forêt de mon père" (Der Wald meines Vaters). Sie weist ihren Gatten in die Psychiatrie ein, nachdem er seine väterlichen Pflichten vernachlässigt hat. Erst vergisst er die Kinder im Wald, geht mit ihnen dann im Supermarkt shoppen, ohne zu bezahlen und fährt schließlich mit dem Auto die Familie fast in den Tod. Nur die 15-jährige Tochter Gina hält zu ihrem Vater und versucht ihn, aus der Psychiatrie zu befreien - vergeblich. Er ist inzwischen durch Medikamente und Schlafmittel so geschwächt, dass er kaum noch das Bett verlassen kann.
Wenn eine Parfum-Macherin ihren Geruchsinn verliert
Im Film "Les parfums" (Parfum des Lebens) geht es um das Schicksal einer Parfum-Macherin. Als die "Nase" ihren Geruchssinn verliert, fällt sie in eine Lebenskrise. Ihr Chauffeur Guillaume versucht sie auf neue Ideen zu bringen. Schließlich schaffen beide den beruflichen Neuanfang.
Auch die gesellschaftlichen Probleme in Frankreich wie die Gewalt in den Vorstädten, die hohe Jugendarbeitslosigkeit oder die Ausländerfeindlichkeit spiegelten sich in vielen Filmen wider. Der Film "Gagarine" zeigt die maroden Sozialwohnungen in einem Problemviertel am Rande von Paris. Als die Stadt beschließt, das Hochhaus abzureißen, versteckt sich der 16-jährige Youri im Gebäude und schafft sich seine eigene Traumwelt.
Flüchtlingsdrama auf dem Weg zum Flughafen
Im Drama "Police" (Bis an die Grenze) geht es um die Abschiebung eines tadschikischen Flüchtlings. Auf dem Weg zum Flughafen wird den drei Polizisten bewusst, dass ihm der Tod droht, wenn er in sein Heimatland zurückkehren muss. Daraufhin kommt es zum Streit über Pflicht und Moral zwischen den Polizisten. Als sie den Flüchtling in die Freiheit gehen lassen wollen, weigert der sich. Schließlich bringen die Polizisten den Tadschiken doch zum Flugzeug, bekommen aber erneut Gewissensbisse und holen ihn wieder aus der Maschine - in der Hoffnung, dass sich der Menschenrechts-Anwalt nochmals einschaltet. Das Ende bleibt offen - wie so vieles beim Französischen Filmfestival.
Hommage an Michel Piccoli
Neben zahlreichen neuen und vielen unbekannten Filmen brachte das Festival auch ein paar Klassiker. Darunter eine Hommage an den kürzlich verstorbenen Altstar Michel Piccoli mit dem Film "Milou en mai" (Eine Komödie im Mai). Es handelt vom fröhlichen Alltag einer reichen Familie in Südfrankreich. Nach dem Tod der Mutter verliert sich die Familie in Erbschaftsstreitigkeiten, während in Paris die 68er-Revolution tobt.
Aus Angst vor der kommunistischen Machtergreifung verlässt die Familie das Haus und irrt eine Nacht durch den Wald. Als de Gaulle aus seinem kurzzeitigen Exil wieder zurückkehrt und in Paris wieder für Ordnung sorgt, kehrt die Familie wieder auf ihr Anwesen zurück. Eine schöne Komödie über die Spaltung der Gesellschaft, die gerade in den jetzigen wilden politischen Zeiten wieder an Aktualität gewinnt.
Internet:
https://franzoesische.filmtage-tuebingen.de/