Serie: Die heute anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. Oktober 2013, Teil 1
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) – „Finsterworld“ ist ein verwirrender und abgründiger Episodenfilm, der sehr unterschiedliche Menschen in ihrem Alltag zeigt: Schüler sollen ein KZ besichtigen, ein Ehepaar will nach Paris fahren, ein anderes Paar streitet sich. Je mehr die unterschiedlichen Handlungsstränge zusammen geführt werden, umso stärker gleitet der Film ins Absurde. Das Werk wurde soeben auf dem Zürich-Film-Festival ausgezeichnet.
FINSTERWOLRD
Ein Einsiedler sucht im finsteren Wald seinen Raben, Cat Stevens singt „I listen to the Wind / to the wind of my soul“ (Ich lausche dem Wind / dem Wind meiner Seele). Ein Fußpfleger besticht mit seinen Pediküresalben einen Polizisten, dann verwöhnt er im Altersheim die Füße einer alten Dame. Schnöselige Schüler mobben sich, verkünden aber, sie seien „ready für den KZ-Besuch“. Ein Mann schlabbert Nudeln und Bier am frühen Morgen, der Fernseher läuft und er berichtet einer Filmerin aus seinem tristen Hartz-IV-Leben.
Zunächst beginnt der Film mit solch kurzen, zunächst völlig zusammenhanglosen Szenen, die im rhythmischen Wechsel weiter erzählt werden. Alltägliches wird immer surrealer - der Fußpfleger feilt an den Hacken der alten Dame herum und fängt ihren „süßen Fußstaub“ auf, um daraus Kekse zu backen. Der Polizist verkleidet sich mit einem Bärenkostüm, er ist ein „Furry“, der sich mit anderen Kuscheltieren trifft, um Kuschelsex zu haben. „Reiß Dich zusammen!“, schreit die reiche Frau ihren Mann an, als der einen jungen, vermeintlichen Spanner verprügelt, „wir sind doch nicht im Vietnamkrieg.“
Nur ganz allmählich werden die Beziehungen zwischen den verschieden Menschen deutlich, die Filmemacherin lässt in ihrer finsteren, rätselhaften Welt die Zuschauer lange alleine herumtappen. Zum Schluss des Films gibt es einige üble und dramatische Wendungen, die hier nicht verraten werden sollen.
Die dargestellten Filmfiguren aus drei Generationen wollen geliebt, ernst genommen, verstanden werden und finden doch nicht zueinander. Finsterwalds Kollege Dominik Graf kommentierte im Filmbuch bissig deren verzweifelte Bemühungen, „sie sind halt nun mal Laborratten in Dr. Freuds Irrenhaus!“ Jedoch gibt es einen hoffnungsvollen Schluss: Der Polizist sitzt im Furry-Bärenkostüm auf einer Bank, ein schüchternes Kind rückt immer näher an ihn heran, legt den Kopf in sein Fell - während Cat Stevens singt „I´ll never make the same mistake“ (Ich werde nie denselben Fehler machen)…
Machen wir uns nichts vor - dieser erste, großartige Spielfilm der Dokumentarfilmerin Frauke Finsterwalder wird nur in wenigen Kinos laufen. Trotz der exzellenten Besetzung mit vielen deutschsprachigen Stars wie Margit Carstensen (alte Dame), Corinna Harfouch (reiche Frau), Sandra Hüller (Filmerin), Carla Juri (Schülerin), Roland Zehrfeld (Polizist) und anderen wird der Film kein Blockbuster werden.
Irgendwann kommt dieses sehenswerte Werk dann ins Fernsehen, denn Arte und Bayrischer Rundfunk haben es mitfinanziert. Solange kann man sich mit dem gleichnamigen Filmbuch behelfen, welches das vollständige Drehbuch von Frauke Finsterwalder und Christian Kracht, viele Fotos und einige feinsinnige Essays von Dominik Graf und anderen Cineasten enthält.
INFO:
DER FILM: Finsterworld, D 2013, 95 Minuten, Regie Frauke Finsterwald,
Das Filmbuch: Frauke Finsterwald / Christian Kracht: Finsterworld, Fischer-Verlag, broschiert, 197 Seiten, 12,99 €