Ein Music-Biopic am 3. April 2021 im NDR
Margarete Ohly-Wüst
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Für Willy Wolters (Christianne de Bruijn), eine holländische Immigrantin, gibt es nichts Wichtigeres als Musik. Sie arbeitet als Platzanweiserin in einem Konzertsaal in New York, dirigiert heimlich auf der Toilette während des Konzerts mit und übt in ihrem ärmlichen Zuhause auf einem Klavier, das ihr Vater (Raymond Thiry) auf dem Müll gefunden hat. Als sie 1926 während eines Konzerts ihres Idols, des holländischen Dirigenten Willem Mengelberg (Gijs Scholten van Aschat), sich in die erste Reihe setzt und die Partitur mitliest, wird sie entlassen.
Sie versucht einen neuen Job zu finden, merkt aber bald, dass es bei Frauen nicht auf Leistung, sondern auf das Aussehen ankommt. Bei ihrer Suche trifft sie auf Robin Jones (Scott Turner Schofield), der ihr eine Stelle als Pianistin in einer Travestie-Show anbietet. Als ihre Mutter (Annet Malherbe) das herausbekommt und sie Willys Klavier verfeuert, kommt es zum Streit mit ihren Eltern. Dabei findet die junge Frau heraus, dass sie ein Pflegekind der Wolters ist, ihr richtiger Name Antonia Brico lautet und sie unehelich geboren wurde.
Gleichzeitig lernt sie den reichen Konzertveranstalter Frank Thomsen (Benjamin Wainwright) kennen, der zwar für ihre Entlassung als Platzanweiserin verantwortlich ist, sich aber für die seltsame junge Frau zu interessieren beginnt und ihr Klavierstunden bei dem Dirigenten Mark Goldsmith (Seumas Sargent) vermittelt. Trotz sexueller Übergriffe, arroganter Machosprüche oder Standesdünkel der New Yorker Oberschicht und der Musiker versucht sie ihren Traum zu verwirklichen.
Sie reist nach Europa, um etwas über ihre unbekannte Mutter zu erfahren, trifft dort wieder auf Willem Mengelberg, der durch ein Telegramm von Frank Thomsen nicht bereit ist, sie als Schülerin anzunehmen. Er gibt ihr allerdings ein Empfehlungsschreiben für den deutschen Dirigenten Karl Muck (Richard Sammel). Auch wenn das Schreiben negativ war, nimmt Muck Antonia 1929 als seine Schülerin an und sorgt auch dafür, dass sie in seiner Dirigierklasse studieren kann. Er hilft ihr, mit den Berliner Philharmonikern ein Konzert vorzubereiten. Nach ihrem Abschluss wird Antonia Brico in Europa als Kuriosität angesehen und hat dadurch einen gewissen Erfolg.
Doch sie möchte auch in Amerika anerkannt werden. Das ist schwieriger als gedacht, denn gerade die höhere Gesellschaft in New York erweist sich als aus gesprochen konservativ.
Doch die junge Frau hat nicht nur Feinde, sondern sie findet auch Freunde, die sie nach Kräften unterstützen - allen voran ihre alten Bekannten um Robin Jones, Miss Denise (Michael Watson-Gray) und den anderen Mitgliedern des Travestie-Clubs. Da vor allem ihr alter Klavierlehrer Mark Goldsmith gegen sie intrigiert, sieht Antonia Brico nur eine Möglichkeit: Sie gründet ein reines Frauen-Orchester mit ihr selbst als Dirigentin. Als sie dann auch noch eine Einladung zu Amerikas First Lady, Eleanor Roosevelt, bekommt, steht dem Erfolg des Frauenorchesters nichts mehr im Wege...
Antonia Brico (1902 - 1989) war eine amerikanische Dirigentin, die in den Niederlanden geboren wurde. Sie wurde Schülerin von Karl Muck und studierte an der Staatlichen Musikakademie in Berlin. Als Dirigentin debütierte sie 1930 mit den Berliner Philharmonikern. 1934 gründete sie mit der New York Women's Symphony ein Orchester, das allerdings nur bis 1939 bestand, da Brico im Laufe der Zeit auch Männer als Musiker aufnahm. Auch wenn sie als Gastdirigentin große Erfolge hatte, gelang es ihr nicht eine Festanstellung an einem großen Orchester zu bekommen. Sie ließ sich 1942 in Denver als Klavierlehrerin nieder und leitete von 1947 bis 1981 das Denver Businessmen’s Orchestra.
Die niederländischen Regisseurin und Drehbuchautorin Maria Peters hat Antonia Bricos Lebensgeschichte in ihrem Film als Hintergrund genommen und hat sich auf die Zeit von 1926 bis zur Gründung des Frauenorchesters 1934 beschränkt. Natürlich wurde das wahre Leben der Antonia Brico doch etwas idealisiert. Peters stattet ihre Heldin nicht nur mit einem unerschütterlichen Selbstvertrauen aus, sie ist auch eine sehr moderne Frau, die sich zu wehren weiß. Dabei vergisst Peters auch nicht die sexuellen Belästigungen, die unzweideutigen Abwertungen auch von weiblicher Seite oder die Arroganz der Musiker, die sich von einem weiblichen Dirigenten nichts sagen lassen wollen. Allerdings hat die junge Frau auch gelernt, sich gegen die Anfeindungen vor allem bei den Orchestermusikern zur Wehr zu setzten.
Peters erweitert Bricos Leben um eine Liebesgeschichte mit dem reichen und attraktiven Frank Thomsen, um den nachtragenden und überheblichen Mark Goldsmith als Widersacher und vor allem um Freunde wie den transsexuellen Robin Jones, der sie nicht nur immer wieder begleitet und ihr Mut macht, sondern ihr auch nur finanziell unter die Arme greift.
Da auch die reale Antonia Brico ein Pflegekind war, wurde ihr persönlicher Hintergrund und ihre Suche nach ihrer wahren Herkunft nicht vergessen, dabei wurden vor allem die Spannungen mit ihrer geldgierigen und engstirnigen Pflegemutter deutlich gezeigt, während der Pflegevater sehr viel eher bereit war, mit dem völlig anderen Lebensentwurf seiner Pflegetochter umzugehen.
Der niederländische Kameramann Rolf Dekens hat es geschafft, an ausgesuchten Drehorten großartige Bilder einzufangen. Auch die Kostüme von Linda Bogers lassen das Flair der 1920er Jahre wieder auferstehen. Während der Film in der Originalfassung in Englisch, Deutsch und Niederländisch gesprochen wird, wird bei der im Fernsehen gezeigten Fassung nur die Gespräche zwischen Antonia und ihren Pflegeeltern in Niederländisch (mit deutschen Untertiteln) gezeigt.
"Die Dirigentin" zeigt exzellente Darsteller auch in kleineren Rollen. Dies gilt auch für Benjamin Wainwright als Antonias Romantic Interest Frank Thomsen, der erst sehr spät merkt, dass er den Fehler seines Lebens begangen hat, sowie für Scott Turner Schofield, der als Robin Jones sogar bereit ist, seine sexuelle Identität für Antonia aufzugeben. Gerade hier zeigt sich, dass im Film nicht die sexuelle, sondern die berufliche Identität im Mittelpunkt steht.
Doch im Zentrum steht Christanne de Bruijn als Antonia Brico, die in beinahe jeder Filmminute darum kämpft, als Dirigentin wahr und ernst genommen zu werden. Dabei geht es auch um die Frage zu welchen Opfern man bereit ist, um sich gegen alle Konventionen künstlerisch zu verwirklichen. Dies macht die von der Regisseurin Maria Peters entworfene Version der Antonia Brico nicht nur zu einer beeindruckenden Persönlichkeit, sondern auch zu einer Frau, die auch als Vorbild für die Gegenwart dienen kann.
All diese Punkte machen "Die Dirigentin" auch im Fernsehen unbedingt sehenswert.
Zusatz: Die Regisseurin Maria Peters hat neben dem Film auch noch den Roman Die Dirigentin zum Leben der Antonia Brico herausgebracht. Das Buch ist in Deutsch im August 2020 bei Hoffmann & Campe erschienen.
Foto 1: Platzanweiserin Antonia (Christanne De Bruijn) möchte Dirigentin werden © NDR/shooting star filmcompany 2018
Foto 2: Antonia Brico (Christanne De Bruijn) ist am Ziel ihrer Wünsche © NDR/shooting star filmcompany 2018
Info:
Die Dirigentin (Niederlande 2018)
Originaltitel: De Dirigent
Genre: Drama, Music, Biopic
Filmlänge: 137 Min.
Drehbuch und Regie: Maria Peters
Darsteller: Christanne de Bruijn, Benjamin Wainwright, Scott Turner Schofield, Annet Malherbe, Seumas F. Sargent, Sian Thomas u.a.
Verleih: Der Filmverleih GmbH
FSK: ab 6 Jahren
TV-Start: Samstag, 03.04.2021 um 20:15 Uhr im NDR Fernsehen; Wiederholung am Montag, 05.04. um 23:20 Uhr. Ab dem 04.04.2021 für 30 Tage in der ARD-Mediathek