Tonsuechtig1Serie: Die anlaufenden Filme - als Video on Demand ab dem 8. April 2021

Margarete Ohly-Wüst

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Wiener Symphoniker sind ein renommiertes Sinfonieorchester, das 1900 als Wiener Concertverein gegründet wurde. Das Orchester hat 128 Mitglieder und ist spezialisiert auf hochromantische musikalische Werke von Johannes Brahms, Anton Bruckner, Gustav Mahler, Richard Strauss u.a. Zentraler Inhalt der Arbeit ist die bewusste Pflege, nachhaltige Entwicklung und breite Vermittlung der so genannten traditionellen Wiener Klangkultur. Neben über 100 Auftritten in Wien sind die Symphoniker auch ein Tournee Orchester, außerdem bestreiten sie einen wesentlichen Teil der Opernproduktionen im Theater an der Wien und bei den Bregenzer Festspielen.

Die Wiener Symphoniker zählen zu den internationalen Spitzenorchestern, bei dem neben bekannten Dirigenten wie Herbert von Karajan und Wolfgang Sawallisch auch Gastdirigenten wie Leonard Bernstein, Lorin Maazel, Zubin Mehta, Claudio Abbado oder Carlos Kleiber gewirkt haben. Chefdirigent von 2014 bis 2020 war der Schweizer Philippe Jordan, ab 2021 wird dies der Kolumbianer Andrés Orozco-Estrada sein, der wiederum seit 2014 Chefdirigent beim Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks war.

"Tonsüchtig - Die Wiener Symphoniker von Innen" ist nicht der erste Film, in dem die Arbeit von Theater oder Orchester von hinter der Bühne aus beobachtet wird. Bereits 2017 hat Toni Schmid mit "Ganz große Oper - Vorhang auf für eine Liebeserklärung" hinter die Kulissen der Bayerischen Staatsoper geblickt. Außerdem ist bereits am 10. Dezember 2020 die Dokumentation "Das Haus der guten Geister" ebenfalls als Video on Demand erschienen. Darin werden intime Einblicke in die Inszenierung von "Pique Dame" an der Staatsoper Stuttgart gewährt.

In dem hier besprochenen Film lassen die Regisseure und Drehbuchautoren Iva Švarcová und Malte Ludin den Zuschauer hinter die Kulissen des weltbekannten Orchesters blicken. Dazu werden Dirigenten, Musiker und auch ehemalige Musiker sowohl im Konzerthaus als auch zu Hause, bei einer Bootstour, in den Bergen oder beim Picknick interviewt. Als Höhepunkt bekamen die Regisseure noch die Erlaubnis, bei der Auswahl des neuen Konzertmeisters dabei zu sein und auch während des Vorspielens der Bewerber zu filmen.

Neben den Gesprächen wurden immer wieder kurze Szenen gezeigt, wie die Proben des Orchesters oder auch Teile davon mit verschiedenen Dirigenten. Daneben sah man auch das andauernde Üben der einzelnen Orchestermusiker oder eine Gruppe bei Entspannungs- und Lockerungsübungen.

Interviews wurden mit Musikern verschiedener Instrumente durchgeführt, z.B. mit Geigern, Cellisten, Hornisten und dem Harfenisten des Orchesters. Vor allem diese Interviews gaben einen Einblick in die Probleme der Musiker, wie hoch der Zeitaufwand für das regelmäßige Üben ist, die Ängste der Musiker, falsche Noten zu spielen oder der Qualität des Orchesters nicht mehr genügen zu können.

Vor allem die Versagensängste wurden von allen Musikern als Problem benannt. Besonders dramatisch ist es, wenn ein Musiker nicht mehr in der Lage ist, in wichtigen Situationen, sein Instrument zu beherrschen. Zu den traurigsten Szenen gehörte deshalb das Interview mit dem Orchesterwart, der früher Zweiter Hornist im Orchester war. Er erzählt sehr offen aber trotzdem bewegt, wie er immer größere Probleme bekam und letztendlich seinen Beruf als Hornist im Orchester nicht mehr ausüben konnte. Jetzt rückt er für seine ehemaligen Kollegen Stühle und Pulte zurecht und legt Notenblätter auf.

Aber auch ganz persönliche Interviews und Unterhaltungen wurden von den Regisseuren gefilmt, so z.B. ein Gespräch zwischen einem der Cellisten und seiner Familie, in der ganz deutlich nicht nur die Liebe zur Musik angesprochen wurde, sondern auch dass das Familienleben immer dahinter zurück stehen wird, weil Orchester und Musik immer die erste und größere Liebe ist. Im Gegensatz dazu wurden zwei junge Musiker während eines Ausflugs interviewt, die deutlich zeigten, wie wichtig es für sie ist, dass sie nebeneinander mit dem gleichen Instrument im Orchester sitzen und dadurch das Interesse des anderen sehr gut verstehen können.

Neben den Interviews mit den Orchestermusikern gab es noch einige wichtige Ereignisse, die die Zukunft des Orchesters allgemein betrafen. Ab der Spielzeit 2021/2022 werden die Wiener Symphoniker einen neuen Chefdirigenten bekommen, da Philippe Jordan als Dirigent aufhören und durch Andrés Orozco-Estrada ersetzt werden wird. Beide Dirigenten haben sehr offen über die Veränderungen vor allem im musikalischen Stil gesprochen. Andrés Orozco-Estrada sagte klar, dass er durch seine südamerikanische Herkunft erst einmal die europäische Art des Dirigierens lernen musste, da dort viel mehr mit den Armen gearbeitet würde

Außerdem ging während der Dreharbeiten der langjährige Konzertmeister Florian Zwiauer, der von 1989 bis 2019 Erster Konzertmeister der Wiener Symphoniker war, in den Ruhestand. Gerade die Gespräche mit Zwiauer zeigten sehr spannend auf, welche Aufgaben im Schnittpunkt zwischen Dirigent und Orchester zu lösen sind und wie stark das Orchester sich auf seinen Konzertmeister verlässt. Zwiauer drückt das sehr deutlich aus, in dem er sagt: "Die Tatsache, dass man zwischen Skylla und Charybdis, zwischen einem Dirigenten und der eigenen Gruppe eingeklemmt ist und eigentlich von beiden Seiten erwartet wird, dass man der 'Wunderwuzzi' ist, die ist natürlich gegeben und die bleibt einem auch, so lange man diesen Job eben ausübt, erhalten." Florian Zwiauer hat sicher auch eine der bewegendsten Sequenzen, wenn er nur für die Kamera allein im Saal ein Solo auf seiner Geige spielt.

Tonsuechtig2Da die Stelle des Konzertmeisters neu besetzt werden musste, bekam das Filmteam auch die Erlaubnis während der verschienen Runden des Vorspielens (hinter einem Wandschirm) - das Procedere, die Auswahlkommission und die Mitglieder des Orchesters und auch einige der vorspielenden Musiker - zu filmen. Für die Besetzung ist eine Zweidrittel Mehrheit des Orchesters notwenig. Am Ende konnte sich mit Sophie Heinrich eine Frau gegen alle Konkurrenten durchsetzen, die seit 2012 als 1.Konzertmeisterin der "Komischen Oper Berlin“ engagiert war.

Der Zuschauer muss sich daran gewöhnen, dass im Film immer wieder zwischen den einzelnen Personen und Szenen hin und her gesprungen wird und die meisten Musiker erst im Abspann genannt werden. Dies ist aber eigentlich kein Nachteil, macht es doch auch deutlich, dass ein Musiker in einem Orchester normalerweise nicht einzeln zu sehen ist, es sei denn er hat einen Solopart zu spielen.

Ganz sicher machen die offenen und ehrlichen Äußerungen der Musiker die hohe Qualität der Dokumentation aus, bei denen aber immer wieder auch die Liebe der Porträtierten zur Musik deutlich wird.

Da es zwischen den Interviews immer wieder Auszüge aus den Werken von Strauß, Beethoven, Tschaikowski, Weber, Dvořák, Haydn, Bach, Brahms und Mozart gibt, kann man auch die immer wiederkehrenden Aussagen zum besonderen "Wiener Klang" des Orchesters besser verstehen (der auch im Laufe des Films an einem Beispiel auch für Laien verständlich gemacht wird).

Insgesamt ist "Tonsüchtig" eine Dokumentation in der die Regisseure mit viel Empathie und Bewunderung nicht nur einzelne Musiker portraitieren und deren menschliche Seite zeigen, sondern es werden auch die komplexen Strukturen eines Orchesters dargestellt. Das alles macht den Film nicht nur für Musikliebhaber sondern auch für Laien unbedingt sehenswert.

Coronabedingt konnte dieser Film nicht wie geplant im Dezember 2020 in die Kinos kommen, sondern ist ab dem 08.04.2021 online auf dem On-Demand-Kanal vom Verleih Rise and Shine Cinema (https://vimeo.com/riseandshineworld/vod_pages) und von Kino on Demand (https://www.kino-on-demand.com/movies) abrufbar. Die Online-Veröffentlichung wird von zahlreichen Kinos in Deutschland unterstützt, die teilnehmenden Kinos werden an den Ticketerlösen beteiligt.

Foto 1: Chefdirigent Andrés Orozco-Estrada und Kapellmeister Florian Zwiauer © Rise and Shine Cinema UG, kurt mayer film e.U.
Foto 2: Sophie Heinrich beim Probespiel © Rise and Shine Cinema UG, kurt mayer film e.U.

Info:
Tonsüchtig - Die Wiener Symphoniker von Innen (Österreich 2020)
Genre: Dokumentation, Musik
Filmlänge: 90 Min.
Drehbuch und Regie: Iva Švarcová und Malte Ludin
Mitwirkende: Monika Buineviviute, Zsófia Günther-Mészáros, Josef Eder, Reinhard Hofbauer, Peter Dorfmayr, Michael Günther, Sophie Heinrich, Manfred Honeck, Philippe Jordan, Volker Kempf, Bernhard Kircher, Eric Kushner, Helmut Lackinger, Gautier Capuçon, Herbert Müller, Eva Ollikainen, Andrés Orozco-Estrada, Agata Sikorska, Walter Voglmayr, Michael Vogt, Florian Zwiauer
Verleih: Rise and Shine Cinema UG
FSK: ab 0 Jahren
Video on Demand ab dem 08.04.2021