open air 9178Die Publikums-Berlinale als Open-Air-Kino Teil 1

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Langsam dämmert der Himmel über Berlin, milde hüllt die warme Sommerluft am Freitagabend einige Hundert Filmfans und mich ein. Der Fernsehturm blinkt von weitem, es riecht nach Wasser der nahen Spree. Vor uns leuchtet bereits die riesige Leinwand des provisorischen Open-Air-Kinos auf der Museumsinsel. Neben der Alten Nationalgalerie, zwischen Reiterinnenskulpturen und Säulengängen, hockt man auf unbequemen Klappstühlen.

Eine  „Camping-Version“ nannte die Berliner Zeitung spöttisch die Eröffnung des Festivals hier am Vorabend. Doch Kulturstaatsministerin Monika Grütters konnte dieser charmanten Notlösung immerhin die Ansicht abgewinnen: „Filmkunst trifft Kulturerbe.“ 16 improvisierte oder etablierte Spielstätten zeigen im Freien die 120 Filme der arg geschrumpften Berlinale und stellen bei den Premieren die Filmschaffenden vor. Bisher gab es immer um die 400 Streifen in den diversen Sektionen. Im Februar wurde der erste Teil der Festspiele als „Industry Event“ mit dem Europäischen Filmmarkt und weiteren Veranstaltungen fast ausschließlich digital für Professionelle und die Presse veranstaltet.

Da jedoch die Berlinale das größte Publikumsfestival der Welt ist, sollten auch die normalen Leute nicht zur kurz kommen. Die neue Leitung der Festspiele engagierte sich mächtig für ihr „Summer Event“. Ich konnte als freier Journalist und eifriger Festivalschreiber - sowohl im Februar als auch im Mai - sämtliche Berlinale-Filme im Cinema Home Office ansehen: Auf der großen Leinwand im Dachbodenkino meiner WG, dort durfte auch meine Frau mitgucken. Neugierig habe ich jetzt einige der wenigen Pressekarten ergattert, um mir bekannte Streifen im Freien zu schauen und das Open-Air-Feeling zu erleben.

open air 9185Samstag in der Hasenheide, im Waldkino mit gerade mal vierzig Plätzen, sehe ich am späten Nachmittag den Kinderfilm „Ensulimi“ in der Sektion Generation. Beim Start des Streifens schaut die Sonne wieder hervor, bis dahin regnete es heftig. Dramatisch rauscht zu manchen Szenen der starke Wind in den Bäumen. Es gibt sogar Popcorn, das war auf der Berlinale immer verpönt: Doch gegenwärtig ist ja vieles anders! Die Sektion besuchen alljährlich etwa 60.000 Kinder und Jugendliche, also gut zwanzig Prozent des Festivalpublikums. Diesmal wird es insgesamt nur 60.000 Zuschauende geben.


Ich halte viele der in Generation gezeigten Filme für die interessantesten der Festspiele - und sie sind auch so wichtig, weil sie den Kids ermöglichen, großes Kino zu erleben. Besonders beeindruckt haben mich wieder einmal Filme über starke Mädchen:
Ulja, die den Leichenwagen ihrer wissenschaftsfeindlichen Kirchengemeinde klaut, um dem von ihr berechneten Meteoreinschlag beizuwohnen („Mission Ulja“).
Die Comic-Zeichnerin Rakel, die unbemerkt schwanger ist und deren ungeborenes Kind als Zeichentrickfigur mit ihr diskutiert („Ninjababy“).
Oder die indigene Tekahentahkhwa, die im einst rassistischen Kanada für ihre Rechte kämpft („Beans“).

"Ninjababy" und "Beans" wurden prämiert.

Fotos:
Oben: Festivalleiter Carlo Chatrian kündigt den Film "Memory Box" auf der Museumsinsel an.
Unten: Bernadette Klausberger, Mitarbeiterin der Sektion Generation, neben dem Autor Hanswerner Kruse. Im Hintergrund wird das Filmteam von "Ensulimi" interviewt.