Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Doch gemach! – Der Film ist eine präzis verfertigte Lehrstudie über anderthalb Stunden. Wir hatten gelernt, dass im Kapitalismus Menschen ihrer selbst wie auch ihrer wahren Stellung sich nicht bewusst oder klar sind. Sie geben sich keine Rechenschaft ab und so haben die von alters her Herrschenden leichtes Spiel.
Etwas Besseres-Sein-Wollen
Der Prozess des Kapitalismus wird assistiert von der Politik, die längst das Vertrauen verlor. Warum funktioniert der Kapitalismus aber doch anscheinend so reibungslos, als ob er ins Sein gleichsam eingesenkt wäre, wie regelmäßige Toilettengänge. Was könnte das verhüllte und verhüllende Motiv für die Basis des Kapitalismus sein? – Möglicherweise ist es die geheime Sehnsucht, doch irgendwann einmal zu den Happy Few zu gehören. Das wäre dann den Verhältnissen in Königsherrschaften abgeschaut, in denen die Sehnsucht der Untertanen sich auf die libidinöse Besetzung der hohen Stände konzentriert, wie bis dato im Fall noch des hohen englischen Adels mit all den kursierenden Geschichten und Geschichtchen über dessen Gewohnheiten.
Dieses Abziehbildhafte aber würde die Spaltung der Gesellschaft in zwei Lebenswelten nur bestätigen. Celebrity, Adelsrudimente sowie Konsumwettbewerb und Globalisierung fungieren als letzte halbwegs funktionierende Kleber zwischen den im Grunde Abgespaltenen und Entfremdeten, täuschen zugleich aber über das Auseinanderdriften der paläopolitischen ‚Hordengesellschaft‘ und den Verlust der durch unfassbar lange Zeiträume driftenden „Horden-Humanität“ (Sloterdijk) hinweg. „Worauf ich im Augenblick hinweisen möchte, ist die anthropologische Katastrophe der Hochkultur, die die Evolution des homo sapiens in eine Hochchancenlinie und in eine Verelendungslinie spaltet. Die »Menschheit« bricht hier auseinander in Gruppen, die sich durch Anspannung steigern und Gruppen, die im Leiden stagnieren; der Schmerz bekommt in der Hochkultur ein unheimliches Doppelgesicht; er wirkt bei den einen als Stimulator, bei den anderen als Verhinderer; für die wenigen wird die Not zum Erzieher, für die meisten zum Seelenvernichter (‚Im selben Boot, Versuch über die Hyperpolitik, Peter Sloterdijk, Frankfurt 1991).
Nüchterner gesagt haben wir es mit der soundsovielten Variation eines Spätkapitalismus mit heruntergekommener Infrastruktur, wie neuerlich. an der Salzbachtalbrücke bei Mainz/Wiesbaden und der Sadomaso-Wirklichkeit des Sparzwangs unter der Herrschaft der Schwarzen Null zu tun, mit der Folge: „In zwanzig Jahren 700 Bäder geschlossen“ – nur als eines der endlosen Reihe der Beispiele angemerkt.
Trotz der Verfallssymptome – oder gerade deswegen – dominiert in der Ökonomie die Neoklassik, die den Human-Stau und Gau nicht sehen will und dem ‚Elefant im Raum‘ keine Beachtung schenkt. Wie war da noch die Forderung von Occupy kurz nach dem Subprime-Immobiliencrash 2008? Die Superreichen, die Exponenten des Einen Prozent, müssten enteignet werden und die Schulden der Staaten gestrichen.
Die Lebenslüge haust im Kern des Finanzkapitalismus
Und zwar in vielerlei Hinsicht. Das bricht an vielen Stellen des Films durch und betrifft Herren wie Befehligte. Die Macher und Gemachten können und wollen sich nämlich nicht in ihre Karten - oder auch Leben - schauen lassen. Erstere sagen zunächst zugestandene Abmachungen - wie etwa an obersten Beratungen teilzunehmen - ab. Nicht nur einmal heisst es: „Sehr geehrte Frau Losmann, leider können Sie keine Drehgenehmigung für ein tatsächliches Meeting erhalten“. Oder: „Presseabteilung, Anja Müller, guten Tag“.- „Können Sie mir darstellen wie bei ihrer Bank Geld produziert wird?“ - Ein Mann: „Aha, ok, da erwischen Sie mich jetzt auf dem falschen Fuß“. - Frau: „Und Geld zu produzieren, so trivial ist das jetzt nicht“. Und so geht es weiter und weiter.
Doch wenigstens stellen die Companies typisch exemplarische Szenen wie zwischen Company und Klienten nach. Geheimniskrämerei muss also sein. Man will sich keine Blößen geben. Das ist und bleibt verräterisch. Die Sache, die am meisten elektrisiert, ist im frühen Stadium des Films die Demonstration, wie die Bank Geld schöpft. Dieses kommt wie aus dem Nichts und ist in dieser Weise unumgänglich, weil das Diktat des Wachstums ohnehin alles überragt. Mit den bekannten Folgen für Mensch und Umwelt (was der Film auch behandelt). Wer glaubt, dass Kredite und Darlehen aus Einlagen bedient werden und dass dahinter noch Golddeckung vorliegt, bewegt sich im Stand des ahnungslosen Unwissens. Banken schöpfen Geld unmittelbar mittels Kreditvergabe, schaffen Buchgeld, genannt Sichteinlagen. Diesen Vorgang zeigt der Film ganz genau. Beim Kreditgeben produziert die Bank Giral-Geld.
Trias: Vermögenskonzentration, Wirtschaftswachstum, Verschuldung
Schlimm also, dass die Akteure wie die Hergenommenen sich ihrer selbst und der Gefährlichkeit der Methodik nicht oder nur eingeschränkt bewusst sind. Die Kapitalismusanalyse und -kritik ist heutzutage nur noch in kleineren Studien lebendig, eine große Studie wie etwa ‚Das Kapital‘ ist bei all den Schrumpfköpfen, die etwas von Lemmingen mit sich führen, als illusionär anzunehmen. Die allerkleinsten Geister sind nun die Puppenmeister und Marionetten der chinesischen Regierung und ihres Parlaments. Ohne sich darob irgendwie zu schämen. Der Kapitalismus hat, wie angedeutet, unreflektierte Voraussetzungen. Diese nimmt Carmen Losmanns Film sich vor. Von der Dualität und gegenseitigen Abhängigkeit der Schulden und der Vermögensblase haben wir immer mal wieder vernommen, aber wer der Herren wäre so athletisch, sich diese Interdependenz genauer vorzunehmen, obwohl sie doch naheliegt und kein Pappenstiel ist. Das leistet der Film präzis. Geld konstituiert und konfiguriert sich aus Guthaben und Verschuldung. Hierin dreht ein circulus vitiosus, der sich aufschaukelt. Beißt sich darin etwas selbst in den Schwanz? Um den nackten Kaiser wird ein hohler Raum gebildet.
Die Stärke des Films ist, dass Carmen Losmann zwar wohl manches vorenthalten und verhohlen bekommt (was sie sich als Volkswirtschafterin aber denken kann), jedoch vielfach mit Fragen an die höchsten Vertreter dieses unseres so durch und durch ‚finanzialisierten‘ Kapitalismus gezielt, besser gesagt, scharf, herangeht und sie ob der Widersprüchlichkeit und Gespanntheit deren Kapitalismus herausfordert. Wozu auch gehört, dass die Produktionsweise gesellschaftlich ist, aber die Instrumente von Privat monopolartig angeeignet werden.
Wie entsteht Geld für Gewinne und was spielt sich darin ab?
Die Einheit des Kapitalismus besteht systemisch in der Interdependenz von Schulden und Vermögen, sein Grundwiderspruch aber ist ein anderer. Er spielt um dieses verdächtige Gewinnen herum. Mit dem Gewinn wird dem Prozess Geld abgezweigt. Um des Sozialprestiges der sehr Anspruchsvollen und ihrer vielen kleinen Kopien willen ist die Mercedes-Kundschaft nämlich geneigt, die Gewinne des Unternehmens großzügig zu bedienen, um sich den Prestigegewinn von Mercedes-Stern und BMW-Emblem anzueignen. Das hebt die männliche Käuferschaft hinan, zeugt aber die Diskrepanz zwischen laufendem Geldprozess und entnommenem Gewinn. Das Wort Gewinn ist eine verhüllende Leerformel. Um das Gleichgewicht zu halten, braucht es einer erweiterten Menge Geld. Daher also müsse der Wirtschaftsprozess mit Investieren und neue, künstliche Bedürfnisse Schaffen immer weitergetrieben werden. Losmann: „dazu braucht es wieder eine größere Menge an Geld, damit diese Güter und Dienstleistungen verkauft werden können“. „Hm, hm“ ist hierauf die Antwort eines Angesprochenen. Aus dieser Drangsal also resultiert der Wachstumszwang. Die Bekundungen und Ausflüchte der Chefvolkswirte, Vermögensverwalter und Finanzvorstände bleiben ausnehmend verschleiernd und wolkig. Sie sprechen dem Aktionismus das Wort und verbreiten Durchhalteparolen. Ein selbstreferentieller Geist aber wird von ihnen nicht aktiviert.
Die zunächst telefonisch vorgenommenen Anfragen und darauf folgenden Termine bewegen sich durch die Großen des Geldgewerbes und der Industrie. IWF-Mann und ehemaliger Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Peter Praet, Chefvolkswirt Europäische Zentralbank; er hat große Schwierigkeiten zu erklären, was er meint. Die EZB erzeugt 80 Mrd. im Monat. Die Privaten sollen sich nicht damit bescheiden, ihre Vermögen auf die Seite zu legen. Das gezeugte Geld soll höhere Nachfrage produzieren und Wirtschaftswachstum ankurbeln, nach der noch längst nicht ausgestandenen Finanzkrise.
Etwas für die Geldbranche Typisches sind immer wieder die auf Tafeln und Banderolen eingeblendeten Slogans, mit denen die Verkäufer beworfen werden (Discover the Value oft the Digital Enterprise, Go anywhere to find value, Die nächste Trillion Dollar wird mit Daten verdient werden. Unleash innovation to bring ideas usw. usf.). Robotik wird in Aktion gezeigt. Aus dem Kreis von Siemens taucht Dr. Jan Mrosik als Angefragter auf, in Bezug auf welchen das Interview aber abgesagt wird. Unangenehme Fragen sind unerwünscht bis schwierig. Von der PEH Vermögensverwaltung sitzt Mathias Dusterholz, Senior Vermögensverwalter, Wertpapier AG am Schreibtisch (ein sog. Performance-Gespräch mit einem Klienten wird nachgestellt). Es kommt heraus, dass die Performance in den Emerging Markets 2016 sich auf 6,7 Prozent beläuft. Auf die Frage hin, wo kommt das Geld her, damit Unternehmen gesamtwirtschaftlich Gewinne machen können, antwortet M.D.: „Das ist eine gute Frage...eine komplexe Frage“, bittet aber dann, diese Frage zurückzustellen.
Die Geldmenge wuchs von 1950 bis 2019 immer steiler an. Der Film wechselt mit Aufnahmen vor dem Werkseingang zur BMW Group, Werk. „Hallo Frau Losmann, reichen Sie ihre Fragen zum Interview bei unserem Finanzvorstand ein. Unser strategisches Ziel, insbes. im Segment Automobile ist ein Marge von 8-10 Prozent. Das haben wir erreicht...“. Später, im Gespräch, sagt Nicolas Peter, Finanzvorstand bei BMW Group: „Der [Kunde] ist bereit für diese Produkte mehr zu bezahlen als wir an Aufwand im Vorfeld gehabt haben“. BMW vermarktet, indem es jedes zweite Fahrzeug mit eigenen BMW-Finanzdienstleistungen refinanziert und damit auch Teil des Finanzierungsbankensystems ist. Das Gespräch öffnet sich, weil es zugibt, dass die Volkswirtschaft für den Gewinn wachsen muss. Nicolas Peter sieht die Geldmenge aber nur wachsen, indem die Volkswirtschaft wächst und „innoviert“ wird. Die heikle Beziehung Gewinn und Geldmenge nimmt er nicht auf. Mit einem anderen Gesprächspartner geht es richtig zur Sache, weil dem die Beziehung völlig wurscht ist. Er wird richtig ungehalten, hält das alles für irrelevant. Auch geht es zu Allianz Global Wealth Report mit Michael Heise, Chefvolkswirt Allianz bis 2019.
Bankenviertel, gescheite Monopoly-SpielerInnen mitten auf der Zeil, illustrative Kamerafahrten - regen soziologische Phantasie an
Die Interdependenz von Schulden und Vermögen illustriert ein Satz gegen Schluss des Films während einer Zusammenkunft aus einem Mund der Allianz im Börsenviertel während einer Zusammenkunft im Großen Saal: „Na, ja, wenn wir voraussetzen, dass Vermögen noch weiter wachsen, brauchen wir Profite und dafür brauchen wir Schulden. Irgendjemand muss diese Schulden eben aufnehmen“. Worauf der Film hinauswill: Warum aber haben Staaten nicht das gleiche Privileg wie gewinnorientierte private Banken bei der Kreditvergabe und Private Haushalte, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken und privatisierten, vormals staatlichen Wohnraum bewohnen oder bewirtschaften. Dazu: unser Schäuble hat 2013 11000 Wohnungen aus Gemeineigentum an die Heuschrecke TAG verkauft. Sein Beauftragter Ingo Dreßler befand, dass private Wohnungsfirmen effizienter Wohnraum bewirtschaften würden, was immer das heißt. Der Brief liegt uns vor.
Eine exzellente Sache sind auch immer wieder die Szenen auf der Zeil. Inmitten dieser sitzt eine Gruppen Monopoly-Spielerinnen und Spieler und räsonieren über die Funktionsweise des Kapitalismus. Wie er aufsteigt und niedergeht. Wie auf der Grundlage von Geldausgabe Investitionen möglich werden, gebaut wird, Miete eingenommen, aber ohne weiter reichende Ansätze über das Gewöhnliche hinaus eine Klemme entsteht und der Sozialstaat einstehen muss, damit Privat seine Ansprüche verfolgen kann. Derartige Diskussionen werden an diesem von Publikum umfluteten Tisch immer wieder aufgenommen.
Kurz vor Ende der ersten Stunde hat diese Monopoly-Gruppe auch wesentlich Zutreffendes zur Beziehung von Monopoly-Spiel und Wirklichkeit beizutragen. Wie der Staat eine kompensierende Rolle einnimmt, mit Sozialhilfe und Arbeitsplatzfinanzierung, damit es friedlich und für alle lebbar bleibt. Was auch der Privatwirtschaft und Immobilienbesitzern nützt. - Unter dem Rubrum ‚Notenbanken mit gottähnlicher Macht‘ erklärt Focus am 26.03.2021: Angesichts der Corona-Krise haben wir eine gleichzeitige Blockade von Angebot und Nachfrage. Um diesen Feind zu besiegen, legen die Notenbanken gigantische Konjunkturpakete auf. Die EZB will im Monat für 120 Milliarden Euro Anleihen aufkaufen, der bisherige Rekord lag zwischen April 2016. - Um die erste Stunde des Films wird auch auf den näheren Prozess der Erschaffung von Staatsanleihen eingegangen. Damit wird beängstigend klar, was das Ganze für ein Kettenbriefsystem ist.
In der demokratischen Gesellschaft entscheiden private Kapitalgeber, die alles auf Rendite hin überprüfen, über unsere Zukunft, einschließlich der Folgen für die Umwelt, die konsequent ausgeblendet werden. Eines der letzten Motive des Films besagt: Der Kauf eines Waldes wird nur finanziert, wenn der Wald bewirtschaftet, also zumindest teilweise abgeholzt wird. Das geht aber nur solange noch genug Wald da ist. Mit schön grünem Wald wird gern beworben (auch das wird nebenbei gezeigt). Sollte die Gesellschaft nicht selbst entscheiden, was für sie gedeihlich ist und daher der Finanzierung würdig? Wenn nicht sogar lebensnotwendig? – Die Neoklassik interessiert sich für derlei Problematiken überhaupt nicht oder nicht wirklich. Selbst die Volkswirtschaft arbeitet gehirnamputiert. Nicht nur die Betriebswirtschaft.
Info:
Oeconomia, Film von Carmen Losmann, good!movies, 18. und 21. Juli 2021, Cinema, 60311 Frankfurt, Roßmarkt 7. Film auch käuflich (13 Euro)
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