Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 29. Juli 2021, Teil 17
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wie gut, daß im Herbst dieser Film als DVD herauskommt. Dies aus mehreren Gründen. Erstens kann dann jeder sich diesen fast surrealen und eminent wichtigen Film anschauen, der nicht überall mit dem Anlaufen diese Woche auch in den Kinos gezeigt wird, und zweitens können auch wir den Film dann angemessener besprechen, denn mit dem einmaligen Sehen ist es hier nicht getan, wenn man tiefer hineintauchen möchte in die Szene, die man heute eher abwertend Hacker nennt, was damals erst einmal eine Ehrenbezeichnung war.
Auch wenn das Wortspiele ALLES IST EINS. AUßER DER NULL die Richtung angibt, wie es war, als in Deutschland 1981 der CCC gegründet wurde, ist es doch von heute aus richtig nostalgisch, auf diese Zeit zurückzublicken. CC bedeutet Kohlepapierkopie, CCC Chaos Computer Club und schon allein das zeigt, daß wir uns in Zeiten bewegen, wo das Chaos noch positiv konnotiert war und nicht wie heute, wo die meisten stromlinienförmig erscheinen möchten. Bildlicher Ausdruck dafür ist Herwart Holland-Moritz alias Wau Holland.
Wer diese Zeit persönlich erlebt hat, dem geht das Herz auf, den dicklichen und so wuseligen wie kompetenden Wau Holland auf der Leinwand zu sehen. Ja, so waren sie, so waren wir, als die Welt auf einmal mit einer technischen Neuerung die Unterschiede aus der Welt zu schaffen schien: die Unterschiede der Ersten, Zweiten und Dritten Welt, die Unterschiede zwischen Männer und Frauen, die Unterschiede zwischen Reichen und Armen, die zwischen Evangelischen und Katholischen, zwischen Christen, Muslimen, Juden, und vor allem: zwischen der westlichen Welt und der weithin unbekannten hinter dem Eisernen Vorhang.
Und damit die technische Neuerung, der Computer und das Internet, nicht in den Händen der Großen und Mächtigen zum Werkzeug der Unterdrückung und Unfreiheit wird, sondern für alle Individuen auf der ganzen Welt durchsichtig und beherrschbar bleibt, wurde mit der Gründung des CCC – was in Berlin in den Räumen der taz geschah - das Instrument geschaffen, die Freiheit des einzelnen zu garantieren. Zum Beispiel durch Ausspähen, welche Pläne Regierungen entwickeln, um die freie Kommunikation einzuschränken oder gar zu verhindern. Und diese Absicht durch frühzeitige Veröffentlichung zu konterkarieren und durch massiven öffentlichen Prozeß dann zu verhindern. Es ist also ein aufklärerisches Movens, was Wau Holland antreibt, wozu aber subtile Fähigkeiten und Kenntnisse gehören, weshalb er sich selbst als Datenkünstler bezeichnete. Welche zentrale Bedeutung Holland für die sich entwickelnde Szene hat, zeigt die Bezeichnung CCC-Papst und kann der Film sinnlich wiedergeben.
Hinreißend, wie die Mitstreiter von damals über diesen genialen Typen, der mit 49 Jahren an einem Schlaganfall starb, äußern. Liebevoll, ironisch, aber eben auch mit dem Unterton der enttäuschten Hoffnungen, nicht gegenüber Holland, sondern dem Medium. Denn heute schlagen sich die Leute mit ganz anderen Problemen herum. Nicht die Überwachung ist derzeit Thema, sondern die fake news, nicht die von oben, sondern die, die von Gegnern der Aufklärung und des Humanismus als Haßmails oder Verschwörungsphantasien verbreitet werden.
Daß auch Holland von Anfang an die Möglichkeiten der digitalen Information als furchtbare einschätzte, ist auch eine wichtige Erkenntnis im Film. Sein, bzw. das Presseorgan des CCC, die Datenschleuder, bezeichnet schon im Titel diese Ambivalenz. Der Film von Tanja Schwerdorf und Klaus Maeck ist übrigens genauso amüsant, genauso subversiv genauso überbordend wie sein Hauptdarsteller Holland. Weise, chaotisch, bunt, prall, gescheit, melancholisch und auch noch witzig.
Und während man beim Zuschauen selbst schon immer an die Namen, Taten und Schicksale von Edward Snowden und Julian Assange denken muß und daran, daß man von Snowdens Asyl in Rußland überhaupt nichts mehr hört, überhaupt nichts, während über Julian Assange in London immerhin in und wieder berichtet wird, geht der Film am Schluß auf beide ein. Im Ernst. Daß geht doch nicht, daß Snowden der Welt abhanden gekommen ist und Assange immer noch in London eingesperrt!
Mir gingen beim Zuschauen die Bilder des Mobs vom US-Kapitol durch den Sinn. Wie sich diese Verführten und Verdummten dann noch selber fotografierten und ins Netz stellten. Zumindest für die Strafverfolgung nützlich. Was hätte Holland zu solchen Bildern gesagt? Zu solcher Pervertierung? Nach diesem Film habe ich die nächsten Wochen bei allen Zwängen, die das Aufrufen von gestimmten Seiten im Internet mit sich bringen, wo die Information abhängig gemacht wird von AKZEPTIEREN oder ZUSTIMMEN, damit die eigenen Daten dort erfaßt werden und ungewollte Emails als Folge bringen – und was noch, wissen wir zu wenig - , dies immer verweigert. Wenigstens das.
Foto:
©Verleih
Info:
Länge: 90 Minuten
Produktion: Deutschland
Genre: DokumentarfilmFSK:
ab 6 JahrenOriginalsprache: Deutsch
DVD / Blu-ray / VoD-VÖ: 31.12.2021