Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. August 2021, Teil 7
Redaktion
Athen (Weltexpresso) - „Mir ist es wichtig, der einseitig männerzentrierten Geschichtsschreibung, die sich bis heute fortpflanzt, etwas entgegenzusetzen. Der demokratische Chor ist nicht vollständig, wenn der Sound der Republik immer nur männlich klingt.“ Die Idee Die Idee zu diesem Film kristallisierte sich zwischen 2011 und 2013 heraus, als ich an dem Buch „Die Familie Willy Brandt“ arbeitete. Diese Familienbiografie erschien 2013 zum 100. Geburtstag von Willy Brandt und stellte die Frage, wer eigentlich der Protagonist dieser Familie ist und wer die Erzählung trägt.
Natürlich stand der legendäre, nahezu mythische SPD-Kanzler im Vordergrund der öffentlichen Beachtung, aber mich fingen vor allem an, die anderen Familienmitglieder und die binnenfamiliäre Dynamik zu interessieren. Während der Arbeit an diesem Buch sprach ich mit vielen Frauen, mit Frauen, die mit Politikern verheiratet waren, mit Frauen, die Beziehungen mit Politikern hatten, mit Bonner Journalistinnen, aber auch mit Politikerinnen selbst. Es war nicht schwer herauszufinden, dass Frauen eine besondere Perspektive auf die Bonner Republik hatten, dass sie geschulte Beobachterinnen waren und ein besonderes Auge für Nuancen, ein ganz eigenes Ohr für Zwischentöne hatten. Mich faszinierten diese Frauen als Erzählerinnen, weil sie eher bereit waren als Männer, Verlust- und Erfolgsgeschichten zusammenzudenken, weil sie stärker an psychologischen Aspekten interessiert waren und Politik ganz konkret auch als Alltagspolitik ansahen. Die Fragezeichen Bei diesen Begegnungen und Recherchen fiel mir auf, dass die mediale und historische Geschichtsschreibung der alten Bundesrepublik total männerzentriert war. Meistens waren es die Männer, die erzählten und die Protagonisten ihrer Erzählungen waren ebenfalls Männer; wie wäre es, dachte ich, wenn man das einmal umdreht? Wenn man einmal nur Frauen hören und sehen würde? Wie würde sich das Bild der Republik verändern, wenn Frauen ihre Sicht der Dinge darlegen würden? Bereits die Brandt-Biografie hatte mir ein Übermaß an guten Geschichten beschert, die keinen Eingang in das Buch fanden, weil sie zu weit von der Familie Brandt wegführten. Das Eigenleben dieser Geschichten führte mich schließlich zu diesem Film, für den ich nur Frauen interviewen wollte, in dessen Mittelpunkt Frauen stehen, die sich in der Bonner Republik als Politikerinnen durchgesetzt und eine eigene Stimme gefunden haben. Mir ist es wichtig, der einseitig männerzentrierten Geschichtsschreibung, die sich ja bis heute fortpflanzt, etwas entgegenzusetzen. Der demokratische Chor ist ja nicht vollständig, wenn der Sound der Republik immer nur mäännlich klingt; das schien mir – auch rückblickend – eine Deformation der alten Bundesrepublik zu sein, die mittlerweile meistens als „Erfolgsgeschichte“ erzählt wird, dabei aber die Lebensleistungen vieler Frauen auf der politischen Bühne und privaten Ebene außer Acht lässt. 16 Die Aktualität Als ich 2015 mit den Arbeiten zu diesem Film anfing, war noch nicht absehbar, dass ein offen frauenfeindlicher Kandidat die amerikanischen Präsidentschaftswahlen gewinnen würde und dass der Weinstein-Skandal und die #MeToo-Kampagne die Debatte um Machtmissbrauch und sexuelle Gewalt prägen würden. Auch der Aufstieg von Populisten, Autokraten und Clownspolitikern, die meistens mit rückwärtsgerichteten und frauenverachtenden Rollenbildern operieren und der anhaltende Frauenhass gegen Politikerinnen im Netz, bestärkte mich, ausschließlich Frauen zu Erzählerinnen zu machen. Die Protagonistinnen Für den Film haben wir Politikerinnen der Bonner Republik gesucht, die möglichst mitreißend und jenseits politischer Tagesfragen und taktischen Sprechweisen offen über ihre Erfahrungen in der Politik reden. Dabei wollte ich möglichst viele Generationen und vor allem auch alle Parteien berücksichtigen. Wir haben für unseren Film z. B. auch Marie-Elisabeth Klee (CDU) interviewt, die zum Zeitpunkt des Interviews 94 Jahre alt war, womit sie damals die älteste noch lebende Parlamentarierin der Bundesrepublik war. Solche Begegnungen wie mit Frau Klee waren historische Zeitreisen an den Anfang unserer Republik und den Beginn des europäischen Einigungsprozesses. Weit über den eigentlichen Anlass der Interviews hinaus waren solche Gespräche Bildungsbegegnungen für mich, als Mann und etwas jüngeren Zeitgenossen, der in die Bundesrepublik hineingeboren ist und die Demokratie – wie viele – für etwas allzu Selbstverständliches hält. Es hatte etwas ungemein Anrührendes, wenn sich die Europapolitikerin Klee etwa an den Beitritt Großbritanniens zur EG 1972 erinnerte, an den damaligen Jubel und die Euphorie und zugleich ihre Sorgen angesichts des Brexit-Prozesses zu sehen. Da wurde das Wort „Zeitzeugin“ ganz plastisch für mich, weil sie eine Zeit bezeugte und Zeit – im Rückblick – erzeugte. Dass jemand Zeit bezeugt und – erzählend – erzeugt, also uns eine Zeit vor Augen stellt, sie fühlbar macht, durch die eigene körperliche und geistige Präsenz, ist ein faszinierender Vorgang. Der Film bietet dem Publikum auch die Möglichkeit, Politikerinnen zu entdecken, die man zwar mit Fug und Recht als Spitzenpolitikerinnen bezeichnen kann, die aber dennoch meistens nicht im Rampenlicht standen; Christa Nickels (Die Grünen) und Ursula Männle (CSU) sind zwei solche Politikerinnen und Glücksfälle für diesen Film. Beide sind streitbar und kooperativ, beide nehmen kein Blatt vor den Mund, beide fesseln durch das Gesagte, weil sie authentisch sprechen, weil sie – auch in ihren Parteien – keine Ja-Sagerinnen waren und eine widerborstige Eigenwilligkeit behalten haben. Beide stehen für mich für politische Integrität und demokratisches Engagement.