Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das kommt einem doch alles bekannt vor, wenn man eine Weile dem Film zuschaut. Aber nicht vom Kino, sondern aus dem täglichen Leben! Unheimlich, auf jeden Fall gekonnt, wie uns Filmregisseurin Johanna Moder, die mit den beiden männlichen Hauptdarstellen das Drehbuch schrieb – den Namen wird man sich merken müssen! - , allmählich in den Konflikt hineinzieht, der zumindest in Helene (Julia Jentsch) gleich am Anfang die Ahnung WAREN EINMAL REVOLUZZER vor Augen kommen und handeln läßt. Mit Geld.
Der Reihe nach. Sie ist eine Frau, die, wie es heißt, mitten im Leben steht, als beamtete Richterin gut verdient und dabei auch ihren feinsinnigen Mann Jacob (Manuel Rubey) gehörig unterstützen kann, der als Musiker Töne und als Poet gerne Wörter sucht. Am besten beides im Einklang. Überhaupt hat Helene es mit dem Unterstützen. Wenigstens das ist noch von gestern übrig geblieben. Sie hatte nämlich mit Jacob und Volker in jüngeren Jahren versucht, in politischen Gruppen die Welt zu einer besseren zu machen. Das waren die Zeiten, wo auch die Kontakte zu Gleichgesinnten in anderen Ländern neben dem Gefühl von Jungsein und die Welt verändern, einen Internationalismus bedeuteten, der jetzt in Wien sich eher durch Restaurantbesuche in nationalen Küchen ausdrückt, was insbesondere auf die in Wien ‚Bobos‘ genannten ‚Bourgeois Bohémien‘ zutrifft, zu denen sie mit ihrer Weit- und Weltsicht gehören.
Und da kommt die Nachricht an Helene, daß Pawel aus Rußland Hilfe braucht. Pawel! Welche Erinnerungen an damals sofort auftauchen, als die Welt als eine zu verändernde für sie feststand. Außerdem: Pawel! Da schwingt noch mehr mit. Natürlich will sie ihm helfen und als Freund Volker (Marcel Mohab) als Anwalt gerade zufällig beruflich nach Moskau reist, verdonnert sie ihn, die tausend Euro für Pawel mitzunehmen, damit er sich einen Weg raus aus Rußland erkaufen kann. Fassungslos sieht dieser Freund zu, wie aus dem übergebenen Umschlag Tausende herausfallen, als Pawel ihn öffnet und zufrieden nickt.
Schnitt. Helene holt am Wiener Hauptbahnhof Pawel (Tambet Tuisk) ab. Allerdings ist er zu ihrem zunehmend fassungslosem Erstaunen nicht alleine, sondern bringt seine Frau Eugenia (Lena Tronina) und das gemeinsame Baby mit, was Helene den Boden unter den Füßen wegzieht, aber wir sind ja alle gut erzogen und so bringt sie die drei in die häusliche Wohnung, wo nun auch Jacob staunt. Und was nun abgeht, ist eines der besten Beispiele fürs Abgeschobenwerden, die man je auf der Leinwand sah, wobei eben sehr deutlich wird, daß die vorgeschobenen Worte Ausflüchte sind, weil die einzelnen Personen ganz unterschiedliche Vorbehalte gegen das Dasein der russischen Familie in ihren vier Wänden haben.
Bei Jacob ist es noch am einfachsten. Der will seine Ruhe und Töne und Worte finden, damit Musik daraus wird. Bei Helene ist es zwiespältiger. Denn sie kann sich ihre eigentlichen Gefühle für Pawel nicht zugestehen, auch nicht ihr Beleidigtsein, daß diese nicht mehr erwidert werden, sondern nimmt eine Information zum Anlaß, die Kleinfamilie aus der Wohnung zu expedieren? Wohin? Natürlich zu Freund Volker, der mit Freundin Tina (Aenne Schwarz) in einer großen modern-feudalen Wohnung lebt. Helene hat nämlich erfahren, daß nicht Pawel die Schwierigkeiten in Rußland bekam, sondern daß es Eugenia ist, die politisch aufgefallen war und deshalb per Haftbefehl in Rußland und Europa gesucht wird.
Das gibt Helene, die Richterin ist – beschämend die kurzen Einblendungen, wenn sie als Richterin in einer Verhandlung eigentlich zuhören müßte, aber immer die eigenen Belange sie dabei stören – das Argument, warum Eugenia nicht bei ihr bleiben kann, denn als Richterin kann sie sich das nicht leisten, eine per Haftbefehl Gesuchte zu beherbergen, das kann sie den Kopf, sprich, die Stelle kosten. Diese Verlogenheiten, mit denen die Russen nun von einem zum anderen geschoben werden, gehen wirklich unter die Haut. Denn auch Volker will sie nicht haben und bringt sie in Helenes gerade renoviertes schönes Bauernhaus auf dem Land, wo aber Jacob hingefahren ist, um seine Ruhe zu haben.
Da gibt es einen echten Zusammenstoß aller, wobei bisher unterschlagen wurde, daß die einzige Person, der man menschliche Regungen und damit auch menschliche Entwicklung anmerkt, Tina ist. Und dabei sind wir beim Wesentlichen. Die geschilderte Handlung ereignet sich einfach. Die Regisseurin hält sich nicht auf damit, in den Situationen den Holzhammer herauszuholen und moralisch zu werten. Sie läßt diese, ihre, unsere Kritik an so selbstgefälligem Verhalten von denen, WAREN EINMAL REVOLUZZER, sehr viel stärker durch das Mienenspiel der Beteiligten hervorrufen, als durch Worte. Das gibt dem Film etwas Kammerspielartiges und führt zur Konzentration auf die jeweiligen Beziehungen dieser Paare, in deren Haut man nicht stecken möchte, die aber anzuschauen für uns alle lehrreich ist.
Foto:
Die russische Familie beim HIn- und Hergefahren werden
©Verleih
Info:
Julia Jentsch (Helene) Manuel Rubey (Jakob) Aenne Schwarz (Tina) Marcel Mohab (Volker) Lena Tronina (Eugenia) Tambet Tuisk (Pavel)
Österreich 2019 / Spielfilm / 104 Minuten
Die russische Familie beim HIn- und Hergefahren werden
©Verleih
Info:
Julia Jentsch (Helene) Manuel Rubey (Jakob) Aenne Schwarz (Tina) Marcel Mohab (Volker) Lena Tronina (Eugenia) Tambet Tuisk (Pavel)
Österreich 2019 / Spielfilm / 104 Minuten