bierwirthSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 30. September 2021, Teil 2

Redaktion

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wie begann die Geschichte von Monika und Joseph?

Ausgangspunkt war die Beziehung meiner Mutter Susanne zu ihrem damaligen Ehemann Erick aus Kongo Kinshasa. Trotz aller Probleme waren sie ein wirklich tolles, schillerndes Paar – in ihrer Unterschiedlichkeit, aber auch Widerständigkeit, in ihrem Humor und ihrer Dynamik. Durch sie kam der Impuls und auch das Selbstbewusstsein, eine solche Beziehungskonstellation überhaupt erzählen zu können und zu wollen.

Ich muss zugeben, dass ich zu Beginn ihrer Beziehung leider auch misstrauisch war und mich fragte, ob das gut gehen kann, ob ihre „Unterschiede“ nicht viel zu groß sind. Dann habe ich aber immer mehr verstanden, welche Kraft und welchen Mut es braucht, eine Liebe zu leben, der nicht die gleichen Chancen eingeräumt werden, die eben misstrauisch beäugt wird, und zugleich seine Nähe und Intimität zu behalten.

Von da an begann ich, intensiv zu recherchieren und führte sehr viele Gespräche, um herauszufinden, was genau und vor allem wie man von den Herausforderungen einer solchen Partnerschaft erzählen kann. Auch insbesondere deswegen, weil es mir nicht darum ging, die Geschichte meiner Mutter zu erzählen.


Wohin führten dich die Recherchen?

Zu Beginn habe ich mich mit den offensichtlichen Anstrengungen und dem vielschichtigen äußeren Druck beschäftigt, der auf ihrer Beziehung lastete - die notwendige Erfüllung behördlicher Auflagen, die allgegenwärtige Gefahr von Polizeikontrollen und damit die Angst vor Abschiebung.

Zugleich spürte ich, dass mein Fokus ein anderer war, als das Entsetzen darüber, wie schwierig es ist, als Asylsuchender in Deutschland Fuß zu fassen, oder zu beschreiben, welche strukturellen Rassismen allgegenwärtig sind. Ich fand die persönlichen Auseinandersetzungen zwischen Susanne und Erick viel spannender – sie erschienen mir unglaublich komplex und herausfordernd. Nach und nach begriff ich, dass sie nicht allein in ihren divergierenden kulturellen Hintergründen, sozialen Milieus oder unterschiedlicher Herkunft begründet waren.

Mit diesem Spannungsfeld, dem inneren Druck einer solchen Beziehung, haben mein Koautor Hannes Held und ich uns dann auseinandergesetzt.  Bei der Drehbuchentwicklung haben wir vor allem versucht zu verstehen, ob, wie und wo sich gesellschaftliche und politische Bedingungen und damit insbesondere postkoloniale Strukturen und Konflikte auch im Privaten widerspiegeln. Inwiefern sich die bis heute ungleichen und ungeklärten Verhältnisse zwischen der sogenannten Ersten zur Dritten Welt, von Afrika zu Europa und umgekehrt, wiederfinden. Welche Täter-Opfer-Zuweisungen sind damit verbunden und welches Misstrauen kann daraus resultieren? Und mit der Frage, wie ein solches Misstrauen wiederum zum Antagonisten einer Liebesbeziehung wird.

Monika glaubt, anders zu sein, als ihre Freunde und als alle Anderen auch. Sie glaubt, dass sie deren Misstrauen nicht teilt. Dann muss sie feststellen, dass auch sie nicht frei davon ist, als Kind ihrer Generation und dieser Gesellschaft. Durch Joseph wird sie mit etwas konfrontiert, das sie aus der Theorie kennt und reflektiert hat. In einer gelebten Realität stellt diese Beziehung ganz andere Anforderungen an sie und zwingt sie, sich immer wieder selbst zu überprüfen. Und bringt auch sie an die Grenzen ihrer Liebe.

Joseph bringt dieses Misstrauen von vornherein mit in die Beziehung, für ihn ist es eine Art Überlebensstrategie, basierend auf seinen Erfahrungen. Er hat den unbedingten Willen sich von nichts und niemandem kontrollieren zu lassen. Dazu gehört, nicht alles von sich preiszugeben, wenig Angriffsfläche zu bieten – ein Grund, warum er nicht alles erzählt. Wenn er sagt, „My father was colonized, I am not“, spiegelt sich darin sein Bedürfnis nach Respekt und Selbstbestimmtheit. Und manchmal verstellt ihm dieses Bedürfnis auch einen unvoreingenommenen offenen Blick. Von einem Moment auf den anderen ist Monika dann nicht mehr seine Partnerin, sondern „eine Europäerin“, ein Feindbild.


Wann wurde die Liebesgeschichte ein Melodrama?

Uns interessiert das Melodrama als überhöhte emotionale Erzählung, damit der Film nicht im Sozialrealismus stecken bleibt. Es ermöglichte uns, zu erzählen, dass das „liebende Paar“ an Bedingungen scheitert, die sich ihrem Einfluss entziehen, die größer sind als sie. Unsere dramaturgische Beraterin Petra Lüschow hat es so schön formuliert: Monika und Joseph sind zwei Königskinder, die nicht zusammen sein können, weil die Wasser zu tief sind.

Der Film stellt ganz klar die romantische Vorstellung in Frage, dass Liebe alle Grenzen überwinden und gesellschaftliche Konventionen außer Kraft setzen kann. Stattdessen könnte man fragen, ob es nicht ein Luxusgut ist, eine Liebe leben zu können.

Dass Monika und Joseph sich wirklich lieben, haben wir nie in Frage gestellt. Das war die Grundvoraussetzung. Sie erleben ja so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. Ich wurde in der Entstehungsphase oft gefragt, ob Monika nicht einen Grund braucht, sich in diesen „windigen, undurchsichtigen Kongolesen“ zu verlieben. Es ist doch spannend, dass man einer Julia Roberts und einem Hugh Grant die Liebe nach einer Razzia selbstverständlich zutrauen würde, aber Monika und Joseph nicht.

Jetzt bin ich allerdings sehr neugierig, wie der Film international aufgenommen wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass eine solche Beziehungskonstellation in Deutschland auf ganz andere Reaktionen oder auch Widerstände trifft als z.B. in Frankreich, den USA, oder anderen Ländern mit einer größeren afrikanischen Diaspora.


Monika trägt Zeitgeist, Wille und Humor mit Kraft und Lässigkeit, sie ist eine lebensnahe Heldin. Kannst du die Entwicklung ihrer Figur beschreiben?

Ich finde es im Nachhinein schwer nachzuvollziehen, wie Monika zu dem wurde, was sie jetzt ist. Das ist ein Konglomerat aus vielen Elementen, ein langer Prozess, in der sich ihre Figur von den ersten Notizen bis zum letzten Schnitt immer weiter herausschälte, und sich von meiner Mutter loslöste.

Ganz sicher gehörte dazu eine Beschäftigung mit ihrer Soziologie, ihrer Herkunft und den Zielen. Ihre Komplexität entwickelt sich aus den Charaktereigenschaften, die ihr im Weg stehen, und aus den Vorbildern von Frauen, die ich kenne und toll finde, ebenso aus Situationen und Begegnungen, die wir erzählen wollten.

Uns war es wichtig, dass Monika eine Frau aus dem „normalen“ Kunstbetrieb ist..Das Milieu zu wählen war eine Möglichkeit, die Geschichte zu betreten auf einem Terrain, das mir persönlich vertrauter ist, um mich von dort aus auf eine unbekannte Spielfläche zu wagen, die der kongolesischen Diaspora.

Ein weiterer Grund, Monika in der Kunstszene zu verorten, war, weil die sich hier geführten intellektuellen Auseinandersetzungen gegenüber dem Vorwurf der Ungerechtigkeit oft erhaben fühlen. Wir sahen es als Herausforderung, die alltäglichen Rassismen eben dort zu suchen, wo man sie nicht sofort vermutet und erwartet – jenseits der gängigen Klischees.

Da mussten wir uns beim Schreiben das ein oder andere Mal selbst an die Nase fassen.

Und dann war es natürlich maßgeblich Ursula Strauss die Monika zum Leben erweckt hat, die der Figur ihre Authentizität verliehen hat. Ursula kann auf eine großartige Art und Weise Schwächen zeigen ohne dabei ihre Stärke zu verlieren, sich zu verraten. Mich hat diese Durchlässigkeit sehr berührt. Wir haben viel geprobt und Ursula hat wirklich all ihre Energie, Leidenschaft und Erfahrung in den Film gesteckt. Eine tolle Zusammenarbeit, für die ich sehr dankbar bin.


Joseph ist im konstanten Aufbruch und Output, er fordert Respekt, eine Chance. Kannst du die Figurenentwicklung von Joseph beschreiben?

Josephs Figur ist ganz klar von Erick geprägt – von seinem Witz, seiner Widerstandskraft, seiner Würde und seinem Stolz, sich nicht unterkriegen zu lassen, aber auch von seinem Misstrauen und seiner Aggression.

Die Figur von Joseph hatte also ein klares Vorbild und zugleich bedurfte sie einer tiefgehenden Recherche, um ihr näher zu kommen. Immer wieder stießen wir auf bestimmte Situationen, Verhalten und Fragen, die wir nicht dechiffrieren konnten, die aber zugleich – oder gerade deswegen – interessant waren, weil sie die Tür zu den bereits angesprochenen Fragen zum Verhältnis zwischen Afrika und Europa aufstießen.

Die größte Herausforderung war es, eine Perspektive zu erzählen, die nicht meine ist und es auch nicht werden kann.Ich habe mit sehr vielen Leuten aus der afrikanischen Diaspora Interviews geführt, besonders Kongoles*innen und Angolaner*innen, viel gelesen, immer wieder die Fiktion mit der Realität abgeglichen.

Aber trotz aller Informationen und Erkenntnisse haben wir uns entschieden, Joseph als eine Figur zu schreiben, die sich nicht dechiffrieren lässt, bei ihm geht es um die Frage der Identität. Er kommt in ein anderes Land und plötzlich glaubt ihm keiner mehr, was er erzählt, weil er sich nicht ausweisen kann, weil er keine lineare Lebensführung hat, keinen hier bekannten Abitur- und Uniabschluss, weil sein Leben auf sogenannten „Umwegen“ verlaufen ist. Wir wissen nicht, woher Joseph kommt, wer seine Familie ist, ob seine Geschäfte kriminell sind oder nicht, ob er wirklich ein Prinz ist oder nicht. Alles könnte sein.

Das alles ist Teil des Misstrauenskonstrukts und wird hoffentlich nicht nur für Monika zur Herausforderung, sondern auch für die Zuschauer*innen. Auf was kann man sich verlassen, wenn es nicht die herkömmlichen Eckdaten sind? Kann ich das Gegenüber sein lassen, wie es ist, jemanden lieben ohne alles zu verstehen? Letztendlich ist die eigene Intuition gefragt.

Ich habe sehr lange und über mehrere Länder gecastet, weil ich unbedingt einen Kongolesen besetzen wollte. Schließlich haben wir die Rolle für einen Kongolesen geschrieben, wir haben uns ganz spezifisch mit diesem Land beschäftigt.

Passi Balende war wirklich eine Entdeckung. Ich habe lange niemanden gefunden, der auf eine so würdevolle, zarte und verletzliche Art und Weise den Titel „Le Prince“ tragen kann.


Welche Herstellungsphase war besonders wichtig für dich?

Nach dem langen Drehbuchprozess, stand ganz klar das Casting im Vordergrund. Für die Figur Ambara haben wir ca. 200 Laien gecastet. Was Nsumbo Tango Samuel spielt und selber mitbringt, kann man nicht schreiben. Fast alle Afrikaner*innen sind Laien, außer Denis Mpunga, der Vladimir spielt. Diese Kombination aus Schauspieler*innen und Laien beeinflusst sich gegenseitig, das macht viel Spaß. In den Vorbereitungen ist es wichtig, sie zu synchronisieren. Dazu gehört, viel zu Proben und dass man Zeit miteinander verbringt, um das nötige Vertrauen herzustellen, um wiederum gut miteinander arbeiten zu können. Bei dem Casting und der Arbeit mit den Laien habe ich sehr von den Erfahrungen profitiert, die ich in der langjährigen Zusammenarbeit mit Valeska Grisebach gesammelt habe.

Ich glaube, es gibt oft ein großes Missverständnis, dass Laien eigentlich grundsätzlich sich selber spielen. Die Darstellerin von Donna Angela ist Entwicklungshelferin, Nsumbo Tango Samuel ist Automechaniker und Passi Balende ist Rapper.


Le Prince ist auch ein politischer Film. Wie stehst du zu dem Begriff, bzw., willst du politische Filme machen?

Das politische Moment bei Le Prince ist unausweichlich. Aber ich möchte nicht per se politische Filme machen. Das Label des politischen Films würde ich ablehnen, das schränkt mich gedanklich zu sehr ein.

Le Prince ist ein Melodrama, ein Liebesfilm. Wir haben versucht Monika und Joseph nicht zu thesenhaften Vertreter*innen eines postkolonialen Diskurses zu machen, Wenn man am Ende nicht über „Schwarz“ und „weiß“ nachdenkt, sondern über eine Frau und einen Mann, dann wäre ich sehr glücklich.

Letztendlich ist für mich das Filmemachen eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragestellungen und diese sind immer auch politisch. Man muss sich selbst natürlich die Frage stellen – was will ich warum erzählen, welche gesellschaftliche Relevanz oder Dimension könnte es haben. Das ist mir persönlich schon wichtig, sonst fehlt der Antrieb.

In Le Prince verhandele ich Themen, mit denen ich mich schon in meinen Kurzfilmen beschäftigt habe: Machtverhältnissen, Klasse und Herkunft, und wie diese Faktoren zwischenmenschliche Beziehungen beeinflussen und belasten.


Wie verlief der Prozess der Bildgestaltung mit der Kamerafrau Jenny Lou Ziegel?

Jenny Lou Ziegel und ich haben zusammen Bilder und Filme angeschaut, viel über Licht und Subtexte in den Bildern und Szenen gesprochen. Es gibt Schlüsselorte, wie die afrikanische Bar und Monikas Wohnung, die wir schon lange vor Drehbeginn kannten, dort haben wir viel Zeit verbracht. Die Bar war von den Drehbedingungen her ziemlich ungeeignet, trotzdem ist es eine emotionale Verbindung, die wir mit diesem Ort haben, denn dort haben wir sehr viele Leute kennen gelernt, und ich kenne die Bar seit fast 15 Jahren – es musste also dieser Ort sein und ich denke, dass sich das auch auf das Bild und seine Authentizität auswirkt.

Bei Le Prince war klar, dass es kein formal ästhetisches Experiment wird, sondern der Film von den Figuren, den Darsteller*innen getragen wird. So haben wir versucht, ihnen möglichst viel Raum zu geben, auch zur Improvisation. Jenny Lou war bei den Castings und z.T. bei den Proben dabei, um ein Gefühl für die Schauspieler*innen zu bekommen und v.a. schon früh ein Vertrauensverhältnis herzustellen.

Gleichzeitig sollte es kein dokumentarischer Film werden. Die Bilder sollten schlicht und unaufdringlich sein, gleichzeitig bestimmt. Ich mag eine ruhige Handkamera, was Jenny Lou so wundervoll beherrscht sowie ihren Respekt, wie sie auf die Menschen mit der nötigen Distanz schaut. Mir ist wichtig, dass alle Figuren, egal was sie tun, ihre Würde behalten.


Könnte man den Drehort Frankfurt so als weitere raumgreifende Figur des Filmes bezeichnen?

Ich finde Frankfurt am Main als Spiel- und Drehort wirklich toll, weil hier Gegensätze in aller Härte aufeinanderprallen. Frankfurt ist Sitz der Europäischen Zentralbank, einer der größten Wertpapierbörsen der Welt und zahlreicher internationaler Konzerne. Es ist eine Stadt, in der sich die Macher und Global Player treffen. Das Geld ist spürbar und kreiert zugleich ein starkes Gefühl der Ausgeschlossenheit. Das Bankenviertel grenzt direkt an das Bahnhofsviertel, in dem sich Sexarbeiter*innen, Künstler*innen, Drogenabhängige, Tourist*innen, Geschäftsleute und eine Vielzahl von Menschen aus aller Welt täglich begegnen. Es scheint seinen eigenen Regeln und Codes zu folgen und erinnert an New York auf kleinster Fläche. Die Schattenwirtschaft ist spürbar.und regelmäßig gibt es Razzien auf der Suche nach Rauschgift, Waffen und illegalen Einwanderern. Unweit davon sind die gediegenen Vororte mit Doppelhaushälften und Geranien. Diese direkte Kollision von Gewinner*innen und Verlierer*innen, Weltstadt und „deutscher Spießigkeit“, von Armut und Reichtum bildet für mich eine sehr geeignete und gleichermaßen inspirierende Spielfläche für den Film.

Fotos:
© Verleih

Info:
Land: Deutschland
Jahr: 2021
Genre: Drama
Laufzeit: 125 Minuten
Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch, Lingala

Stab
Regie: Lisa Bierwirth
Buch: Hannes Held, Lisa Bierwirth
Produzent*innen: Jonas Dornbach, Janine Jackowski und Maren Ade (Komplizen Film)

Besetzung
Ursula Strauss, Passi Balende, Nsumbo Tango Samuel, Victoria Trauttmansdorff, Alex Brendemühl, Hanns Zischler, Douglas Gordon, u.v.m.

Abdruck aus dem Presseheft