filmstarts.juliSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. Oktober 2021,  Teil 9

Redaktion

Paris (Weltexpresso) – Können Sie uns etwas zu den zahlreichen Special Effects in TITANE erzählen?

Die mit Abstand größte Herausforderung waren die Prothesen, die Agathe tragen musste. Sie saß jeden Tag stundenlang in der Maske, was anstrengend für sie und stressig für uns war, weil jede Veränderung viel Zeit benötigte. Die Maske nahm einen großen Teil jedes Tages in Anspruch. Das ist eigentlich ziemlich witzig, wenn man bedenkt, dass ich das gleiche Problem schon bei JUNIOR hatte und mir damals schwor: „Nie wieder!“ Und dann drehe ich den nächsten Film und mache es genauso (lacht). Aber um ehrlich zu sein: Für die Schauspieler wurden die Prothesen zu natürlichen Begleitern und so kommen sie auch auf der Leinwand rüber.


Welche Anweisungen haben Sie Ihrem Kameramann Ruben Impens für TITANE mit auf den Weg gegeben?

Ich benutzte sehr häufig das Wort „Fehlfunktion“, um die Stimmung der Transformationen im Film zu beschreiben. Ebenso oft sprach ich von „Entgleisung“, da die Geschichte voller Maschinen und Metall ist. Ruben und ich arbeiteten eng zusammen. Wir legten die Szenenreihenfolge gemeinsam fest, wir kümmerten uns um die Ausleuchtung, wir waren praktisch wie siamesische Zwillinge am Set. Als erstes legten wir fest, welche Werkzeuge und Techniken wir verwenden wollten, weil wir beide frustriert waren, uns darüber bei RAW zu wenig Gedanken gemacht zu haben. Und wir diskutierten, wie wir grafisch extravagant arbeiten konnten, ohne dabei die Charaktere zu vernachlässigen.

Beim Licht arbeitete ich sehr viel mit Warm/Kalt-Gegensätzen. TITANE dreht sich um Metall und Feuer, also musste dieser Widerspruch allgegenwärtig sein. Ruben und ich wollten diesen Kontrast so stark ausreizen wie möglich. Wir testeten dabei ständig die Grenzen aus, beinahe ins comichafte. Wir wollten aber in der filmischen Realität bleiben, die Hell-Dunkel-Kontraste so weit treiben wie wir konnten, ohne dabei in einer Überstilisierung zu enden, die sowohl die Charaktere als auch die Action blutleer hätte erscheinen lassen. Wir orientierten uns daher mehr an bildlichen Referenzen als an filmischen, etwa die Gemälde von Caravaggio.

Ich zeigte Ruben auch Gemälde wie Sommernacht von Winslow Homer und die Das Reich der Lichter-Serie von René Magritte, um ihm zu verdeutlichen, welche Art von Kontrasten ich suchte. Ich wollte, dass das Licht aus dem Schatten heraussprudelt, ähnlich wie einem Emotionen empor schießen, wenn man sich nach einem anfänglichen Schock beruhigt. Außerdem wollte ich jede Menge Farben, um die düstere Erzählung zu brechen und den Eindruck von unausweichlicher Verdorbenheit zu vermeiden. Bei den vielen Nacktszenen, die ich so unsexualisiert wie möglich gestalten wollte, versuchte ich der Haut durch die Beleuchtung jedesmal eine andere Farbe zu geben. So konnten wir der Haut selbst durch die Farbgebung neue Texturen, Bedeutung und Emotionen verleihen.


Bei der Filmmusik haben Sie erneut mit Jim Williams zusammengearbeitet. Was waren Ihre Vorgaben an ihn?

Ich habe ihn gebeten, Perkussionsinstrumente (Schlaginstrumente) und Glocken zu nutzen. Und auf letztere bestand ich geradezu. Warum? Weil ich un- bedingt Metall in die Filmmusik einbinden wollte. Ich wollte einen metallischen Klang, der trotzdem me- lodisch wirkt. Wie bei RAW, wollte ich ein einpräg- sames, wiederkehrendes Thema, das sich je nach Entwicklung meiner Charaktere ebenfalls verändert. TITANE springt von animalisch über impulsiv zu ehr- würdig. Um diese Verwandlung erfahrbar zu machen, muss die Musik ebenfalls fluktuieren, sich vermischen und transformieren. Wir gehen von Perkussions- instrumenten über Glocken bis hin zu elektrischen Gitarren und manchmal haben wir alle drei in Kombi- nation. Dann stimmt der Gesang ein und bringt dem Film eine liturgische Dimension. Ich habe Jim Williams gebeten, dem Ganzen einen sakralen Einschlag zu geben. Seine Musik sollte wie das Licht sein, das durch die Schatten bricht.

Foto:
©filmstarts.de

Info:
Darsteller:
VINCENT   Vincent Lindon
ALEXIA      Agathe Rousselle
JUSTINE    Garance Marillier
RAYANEA  Lais Salameh

Stab:
Regie.        Julia Ducournau
Drehbuch  Julia Ducournau
Kamera.     Ruben Impens