Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. Oktober 2021, Teil 10
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Da soll ein toller Film sein! Außerdem hat er in diesem Jahr in Cannes die Goldene Palme errungen. Erst die zweite Regisseurin – die Französin Julia Ducourneau -, der dies gelingt. Und überall liest man die Lobeshymnen. Gleichwohl, da ja der Titel TITANE, der das Metall Titan meint, ließ mich der Film kalt, was ja gut zu Metall paßt, das aber hier heiß daherkommt. Und außerdem kamen mir beim Zuschauen sehr viel mehr die griechischen Titanen in den Sinn, die überlebensgroß, ja richtige Riesen dennoch in der Geschichte untergingen.
Aber das ist wohl eine unzutreffende Assoziation, dort heißen die weiblichen Titanen Titaniden. Weiblich? Da muß ich mich auch schon wieder korrigieren. Weiblich ist diese Gestalt nur in der ersten Hälfte des Films, ihr Geschlecht behält sie zwar auch im zweiten Teil, aber da wird sie äußerlich zum Jungen, zum jungen Mann. Und wenn ich das Übereinstimmende im Film für mich rekapituliere, dann ist es die filmische Aussage, daß nichts mehr fixiert ist, daß alles im Fluß ist, nichts mehr verbindlich, nichts mehr angeboren, das ganze Identitätsgerede, der ganze Roman Identitti sinnlos, der das ja so ernst wie satirisch durch den Kakao zieht, gendern?, wofür eigentlich, wenn Geschlechter wechselnd sind und man von einem Ritt auf einer hochglanzpolierten Motorhaube schwanger wird und aus den anschwellenden Brüsten statt Milch Motoröl tropft. Aber die Geilheit Autos gegenüber gilt nicht nur für den ersten Teil, auch im zweiten bleibt diese Leidenschaft, es bleibt auch die Schwangerschaft, nur daß dies einem jungen Mann in einer Autowerkstatt geschieht, zu dem sich Alexia gewandelt hat.
Sie sehen schon, ganz schön durcheinander, aber es gibt einen Anfang und da sind wir auch schon beim TITAN. Die Siebenjährige, auf dem Rücksitz des Autos ganz schön nervend, flippt aus. Folge ist ein Unfall, den sie überlebt, aber in einer OP am offenen Hirn von ihrem eigenen Vater eine Titanplatte ins Gehirn gepflanzt erhält. Soll das heißen, daß ihre Gefühle aus Stahl sind, aus Metall auf jeden Fall? Das kann man gerne glauben, denn wie oben dargestellt, sehen wir die Erwachsene, sie heißt Alexia (Agathe Rousselle), in glänzende Karosserien verliebt, weshalb sie sich in Autosalons als Pin-up-Girl auf den Motorhauben anzüglich räkelt – irre, wie sich die Zeiten ändern, denn die früheren Automobilmessen, die IAA in Frankfurt am Main, Jahrzehnte seit der Nachkriegszeit, die zeigten wirklich die halbausgezogenen jungen Damen in schlüpfrigen Szenerien, die Regisseurin greift also nur eine Verbindung auf, die die Automobilindustrie selbst in Gang gesetzt hatte – und eben eine Art Beischlaf exerziert, der Folgen hat: die Schwangerschaft.
Da kommt ihr ein Kerl schräg und ihre Titanplatte fängt wohl an zu glühen, auf jeden Fall gibt es ein weiteres Metall, einfach ein lange Nadel, mit der sie den Kerl erwischt. Doch das ist nur der erste Tote, die anderen folgen bald und als sie als Täterin entdeckt und gesucht wird, verschwindet sie. Auf der Flucht sieht sie Bilder von verschwundenen Knaben. Der eine hat es ihr angetan und sie, die längst, androgyn wie sie ist, an ihrer Verwandlung halb erfolgreich arbeitet, gibt sich als dieser verschwundene Knabe Adrien aus. Der Vater (Vincent Lindon, Kommandant einer Feuerwache, erkennt seinen Sohn, besser: tut so und wir sind längst im zweiten Teil, wo zwischen Vater und Sohn Adrien eine fragile, aber liebevolle Bindung entsteht. Da die Schwangerschaft noch besteht und auch Brüste nicht wie bei der Heiligen Agathe abgeschnitten werden, muß Alexia ihre vorstehenden verräterischen Zeichen so fest abbinden, daß sie flach und zu Adrien werden kann.
Dem Vater hingegen, der in der Männerdomäne Feuerwache der Platzhirsch ist, dem sich die hormongesättigsten jungenMänner andienen, nein, nicht sexuell gemeint, sondern als Männerbündelei, hat mit seiner durchs Alter nachlassenden Männlichkeit Probleme, die er durch Hormonspritzen bekämpft, die sein gesamtes Hinterteil nur noch wie eine Spritzwüste aussehen läßt. Wirklich zum Abgewöhnen.
Resümee: In der Kunstgeschichte gibt es eine Weisheit, daß man gezielt an seinen Widerständen arbeiten solle, also sich genau mit den Kunstgattungen beschäftigen sollte, gegen die man innerlich Reserven, ja Abneigungen entwickelt hat. Das mag ja für den Barock beispielsweise gelten, aber ob es auch für Filme und für diesen Film gilt? Denn erst war es Desinteresse, aber dann war es ein deftiger körperlich-seelischer Widerstand, den ich gegen die unaufhörliche Deformierung von Körpern, gegen ihre ständige Mißhandlung im Film entwickelte, die mich allzu sehr an den österreichischen Künstler Schwarzkogler erinnerten und diese Art Körperkunst, die er mit Blut und Schmerzen an sich selbst durchführte, die allein beim Zusehen zu Scheidenkrämpfen führt. Punkt.