Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ein Trostbuch? Was ist ein Trostbuch? Ein Buch, das Trost bietet oder ein Buch, nach dessen Lesen man Trost braucht? Das auf jeden Fall ist ein Film, nach dessen Schauen Sie Trost brauchen! Dabei fängt es so gut, so typisch, so alltagsnormal an!
Da erleben wir eine dieser öden Feiern im mittleren Lebensalter. Ein Geburtstag. Ein repräsentativer. Heike (Barbara Philipp), die Freundin von Emilia (Christiane Paul), die Frau von Paul (Christoph Maria Herbst), feiert ihren 50sten Geburtstag. Der Alkohol fließt, die Emotionen wogen, ein Wort gibt das andere, auf jeden Fall schlägt Heike besonders zu und es trifft Paul ins Herz, ins Hirn: gemein und hinterfotzig, das ist sie. Was tun? Zurückschlagen. Mit Fäusten. Da ist die allgemeine Gesellschaftsmoral dagegen. Aber Worte gehen immer. Und er legt los. Und stellt sich mit jedem Wort weiter bloß. Aber die anderen auch, denn er bezeichnet sie als unreif in ihrem Wunsch nach ewiger Jugend, wie sie mit Kleidung ihrem Alter widersprechen wollen und doch das Gegenteil tun. Daß sie in ihrem Wahn, hier geht‘s um die Frauen, noch attraktiv und verführerisch zu sein, nur lächerlich machen und peinlich sind. Das ist hier noch höflich ausgedrückt. Pauls Frau, Emilia, ist längst zur Salzsäule erstarrt und weiß, das wird Konsequenzen haben. Sowieso sind die Gefühle nach 20 Jahren Ehe nun doch, sagen wir mal: erlahmt.
Emilia ist getroffen, daß ihr Paul sich so aufgeführt hat. Aber das ist ja nur das I-Tüpfelchen, das zur Konsequenz führt: die Ehe braucht Pause. Die beiden werden sich auf Probe trennen. Und das hätte doch ein spannender Film werden können. Doch die dramatische Ausgangssituation zerfasert. Das ist nur das eine. Das andere sind Peinlichkeiten, vor allem, wenn sie in denFäkalbereich reichen. Das ist in deutschen Komödien sowieso oft der Fall. Aber diesmal ist es wirklich sehr speziell. Denn – meine Güte, das ist alles so aufgesetzt – Paul macht sich schlau über erotisch-sexuelle Gerätschaften, eine Liebeskugel, keine Ahnung, auf jeden Fall rutscht ihm die an eine Stelle, wo sonst Darmspiegelungen stattfinden, um das mal eher medizinisch auszudrücken. Und wirklich muß die feststeckende Metallkugel künstliche entfernt werden.
Ein Film, der so etwas zum Inhalt macht, ist einfach peinlich. Eklig auch. Und das ist schade. Denn das Thema dieser vom Regisseur Alterspubertierende genannten Noch-nicht-Rentner, aber Nicht-mehr-Jungen, ist ja als Problem virulent, weil nicht mehr stimmig. Früher war in dieser Altersphase das Leben fast vorbei, wenn man überhaupt so alt wurde. Man sah sich schon am Ende des Berufslebens, freute sich an den Enkeln, denen man ein guter Opa, eine liebe Oma wurde, man bestellte Haus und Garten und hielt Ruhe. Heute geht für viele dann das Leben erst los. Die erste Ehe ist vorbei, man ist klüger, die Kinder, so vorhanden, sind groß und aus dem Haus und beruflich ist es entweder geschafft oder wird nichts mehr. Die beste Zeit, noch einmal richtig loszulegen, auszuwandern, Buddhist zu werden, Frieden mit sich selbst zu finden, auf jeden Fall etwas zu ändern, wenn man unzufrieden mit dem bisherigen Leben war.
Statt sich ernsthaft – durchaus auf komische Art – mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen, wird diese parzelliert und wir sehen eben nicht, wie Paul und Emilia oder ihr Umfeld auf die Situation reagieren mit diesem oder jenem Ende, sondern das wichtige Thema wird verraten an Klamaukszenen, die schon in alkoholgeschwängerten Abi-Feiern vor 40 Jahren üblich und schon damals beschämend waren. Natürlich muß man im Kino selbst auch immer wieder lachen, weil zwischendurch eine Situationskomik fast automatisch dazu führt. Aber es ist ein Lachen, bei dem man dann selbst feststellen kann, wie es im Halse stecken bleibt, weil nicht nur das Gesehene peinlich ist, sondern man sich dann schon selbst peinlich wird, daß man lachte. Darum nimmt man das dem Film noch einmal extra übel, wie man zum Komplizen gemacht werden soll.
Ja, sicher wird es viele Zuschauer geben, die sich gerne diesen Film anschauen werden, weil er keine geistigen Anstrengungen erfordert oder man sich irgendwelche Gedanken machen muß, was anspruchsvolle Filme einfach mit sich bringen. Aber die hat man dann auch noch lange im Gedächtnis und beschäftigt sich damit.
Das ist das einzig Gute an diesem Film, daß man sich nach dem Schauen keinen einzigen Gedanken mehr darum machen muß. Man geht aus dem Kino, als ob gar nichts stattgefunden hätte. Es sei denn, man muß eine Filmkritik schreiben. Aber wenigstens trifft hier der Begriff Kritik auch mal ins Schwarze.
Foto:
© Verleih
Info:
Darsteller
Christoph Maria Herbst (Paul)
Christiane Paul (Emilia)
Jürgen Vogel (Theo)
Jytte-Merle Böhrnsen (Eva Schneiderhahn)
Peter Jordan (Jonathan)
Bettina Lamprecht (Magda)
Emilia Nöth (Fe)
Bella Bading (Marie)
Wanja Valentin Kube (Bo)
Die Alterspubertiere hinter der Kamera
Florian Gallenberger (Regie & Drehbuch)
Malte Welding (Drehbuch)
Das Buch vor dem Film
Es ist nur eine Phase, Hase. Ein Trostbuch für Alterspubertierende von Maxim Leo & Jochen Gutsch
Ullstein Taschenbuch, 144 Seiten, ISBN: 9783548065069, erschien am 27.09.2021
© Verleih
Info:
Darsteller
Christoph Maria Herbst (Paul)
Christiane Paul (Emilia)
Jürgen Vogel (Theo)
Jytte-Merle Böhrnsen (Eva Schneiderhahn)
Peter Jordan (Jonathan)
Bettina Lamprecht (Magda)
Emilia Nöth (Fe)
Bella Bading (Marie)
Wanja Valentin Kube (Bo)
Die Alterspubertiere hinter der Kamera
Florian Gallenberger (Regie & Drehbuch)
Malte Welding (Drehbuch)
Das Buch vor dem Film
Es ist nur eine Phase, Hase. Ein Trostbuch für Alterspubertierende von Maxim Leo & Jochen Gutsch
Ullstein Taschenbuch, 144 Seiten, ISBN: 9783548065069, erschien am 27.09.2021