Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 28. Oktober, 2021, Teil 5
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Vorneweg. Ja, das ist eine deutsche Adaption eines sehr erfolgreichen, amüsanten und spritzigen französischen Films. Ja, es ist erstaunlich gut gelungen, französische Verhältnisse auf bundesdeutsche Wirklichkeit – hier an der Universität in Frankfurt am Main – zu übertragen. Übertragen ist schon das falsche Wort: es ist eine freie Nachschöpfung, der es gelingt, den Grundkonflikt von überlegenem, gesellschaftlich arrivierten weißem Mann in den besten Jahren und einer durch Herkunft unterprivilegierten Migrantentochter, die nach dem Abitur Jura studieren will, deutlich darzustellen.
„Studieren will“, haben wir nur geschrieben, weil wir nicht wissen, wie das Studium für Naima Hamid (Nilam Farooq) ausgegangen wäre, wäre sie nicht in dieser Konfrontation auf ihren Prof. Dr. Richard Pohl Christoph Maria Herbst getroffen. Das Jurastudium ist nämlich eines, das im besonderen Maße die vorgefundenen Verhältnisse perpetuiert, zudem auf sprachliche Kompetenz und das Verstehen komplizierter juristischer Sachverhalte nicht nur Wert legt, sondern durch hohe Durchfallquoten auch ‚belohnt‘.
Das muß man alles nicht wissen, wenn einen die Eingangsszene sofort zur eigenen Stellungnahme auffordert. Naima, die im Erstsemester Jura studiert, kommt zu spät, wir Zuschauer wissen, warum. Sie muß für ihren Bruder, der wieder unzuverlässig ist, die kleine Schwester zur Mutter bringen. Doch als sie im vollbesetzten Hörsaal eintritt, verstummt Prof. Pohl und es ist keine Stecknadel zu hören. Und dann beginnt die Vorführung einer unbedarften, unhöflichen, fast sprachlosen, höchst ungeschickten jungen Frau mit Migrationshintergrund durch einen rhetorisch geschulten Zyniker. Die Lacher hat der spitzfindige und die Sprache als Waffe benutzende Pohl auf seiner Seite, aber nur im Hörsaal. Denn – wie es heute wohl ist – die ganze Szene wurde aufgezeichnet und geht als Video durch‘s Netz. Mit Riesenerfolg, sprich: unendlicher Reichweite und massiven Beleidigungen gegenüber Pohl, der für seine Lehrtätigkeit ungeeignet erscheinen muß.
Klar, daß Pohl sich vor dem Disziplinarausschuß verantworten muß. Der allerdings tagt erst demnächst, weshalb der Pohl eigentlich geneigte Präsident der Uni, Alexander Lambrecht (Ernst Stötzner) für sich und seine Uni das Beste herausholen will: Nur dann, wenn Pohl das Erstsemester Hamid für den bundesweiten universitären Debattier-Wettbewerb menschlich und sprachlich so schult, daß sie und die Goethe-Universität gut dabei wegkommen, habe er beim Disziplinarausschuß Chancen.
Damit ist die weitere Struktur des Films vorgegeben, aber wie nun die Rhetorikschulung zwischen beiden verläuft, ist intellektuell schon überraschend und kann vergnügen, weil auch die Zuschauer mitlernen. Doch das Kammerspiel zwischen beiden ist nicht alles. Die Studentin ist eingebunden in einer Familie, in der die Männer mehr bedeuten als die Frauen, die aber die Welt richten und am Laufen halten, weshalb sie ihren verlotterten Bruder vor der Verbrecherlaufbahn retten muß, wenig Zeit für ihren Freund und Verlobten, einen Taxifahrer, hat, der sie aber stabil hält, weil er im Film die Rollen des ‚neuen, verständigen‘ jungen Mannes hat. Naima bleibt also nicht eine Schablone im Rhetorikwettberb – der den Hauptteil des Films ausmacht - , sondern wird ein richtiger Mensch.
Das gilt auch für den Professor, bei dem man die Definition, daß Zyniker enttäuschte Romantiker sind, wieder einmal bewahrheitet findet. Er ist nicht nur ein Weintrinker, der etwas davon versteht, wenn er sich in seinem Stammlokal immer dem gleichen Ritual der Speisung hingibt, sondern er hat für seine Aggressivität, intellektuellen Provokationen, herablassende Spitzfindigkeit auch gute Gründe. Denn er verbirgt dahinter eine verbitterte, enttäuschte Seele. Seine Tochter ist gestorben, seine Ehe perdu. Das ganze private Leben im Eimer. Ohne Perspektive. Er baut auf das, was sein Geist kann: scharfzüngige und präzise Diktion auf hohem intellektuellem Niveau.
Mir gefiel der Ritt durch die bundesdeutschen Universitäten im Rhetorikwettbewerb richtig gut, und die Inszenierung des Wettbewerbs auch, wozu gehört, daß kurz vor dem Ziel – der Zuschauer ist gewiß, daß die mit Wissen gedopte Naima den Wettbewerb gewinnen muß, was natürlich viel zu unwahrscheinlich ist und kitschig auch – diese erstmals von dem Deal zwischen Professor und Universitätspräsident hört, sich sofort als manipulierte und ausgenutzte Dumme fühlt und aussteigt, torpedieren will, bis....
Und diese Wendung von Naima mit anschließender Rückwendung ist auch notwendig, um kein Märchen zu erzählen, sondern eine Geschichte, die zwar anspruchsvolles Personal verlangt, aber eben passieren könnte.
Eine wichtige Bemerkung zum Standort Frankfurt. Man erkennt es kaum wieder, so schön sieht Frankfurt aus. Naima muß immer mit der S-Bahn aus Niederrad zur Uni fahren. Wir sehen die Hochhäuser, wo viele Migrantenfamilien leben, aber eben nicht so abgeschottet wie in anderen Städten. Der Vorteil hierzulande ist, daß es die spezifischen Ghettos wenig oder gar nicht gibt. Das schöne Frankfurt bezieht sich auf die immer wieder eingespielten Aufnahmen von den Brücken über dem Main auf die Hochhäuser der City, beeindurckend. Die Aufnahmen vom heutigen Universitätsgelände, dem alten IG-Hochhaus, dem Casino und all den anderen neu gebauten Gebäuden für die verschiedenen Fakultäten und Fachrichtungen sind auch schön, aber sie sind auch realistisch. Der Campus Westend genannte Universitätskomplex ist eine ideale Stätte für Wissenschaft und Leben.
Daß in einer Woche vier Filme zu sehen waren, Pressevorführungen und anlaufende Filme, die in Frankfurt spielten und völlig unterschiedliche Städte auf die Leinwand brachten, zeigt die Vielfältigkeit und absolut cineastische Qualtität dieser Stadt.
P.S.: Die beste Szene ist die, in der der Professor der Studentin Ratschläge gegen Lampenfieber und Nervosität vor einem Auftritt, einer Prüfung gibt: tanzen. Das stimmt zudem auch!
Info:
BESETZUNG
Naima Hamid Nilam Farooq
Prof. Dr. Richard Pohl Christoph Maria Herbst
Mo Hassan Akkouch
Präsident Lambrecht Ernst Stötzner
Lial Meriam Abbas
Junis Mohamed Issa
Benjamin Stefan Gorski
Johanna Lieke Hoppe
Großmutter Fatima Naji
Ali Nassiem X. Al-Sheikh Mustafa
Abu Cristiano Papasimos
Jamal Akim Schödel
Anissa Selin Dörtkades
STAB
Regie Sönke Wortmann
Drehbuch Doron Wisotzky
nach „Le Brio” von Victor Saint Macary, Yaël Langmann, Yvan Attal, Noé Debré