Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 28. Oktober, 2021, Teil 9
Claus Wecker
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Borga heißt in Ghana jemand, der es in Europa zu Wohlstand gebracht hat. Ein europäisierter Afrikaner also und somit ein Vorbild für manch kleinen Jungen, der in den Armutsquartieren der Hauptstadt Accra lebt. Aber ein Borga verliert auch die Lebensfreude seiner Heimat, den Zusammenhalt der Familie und oft auch die Akzeptanz der Seinen. Davon erzählt der erste Spielfilm von York-Fabian Raabe.
Kojo (Emmanuel Affadzi) und sein älterer Bruder Kofi (Jamal Baba) wachsen am Rande der Elektroschrott-Halde Agbogbloshi in Ghanas Hauptstadt Accar auf, wo Computer, Fernseher und all die Geräte des technischen Fortschritts landen, die wir in Europa nicht mehr gebrauchen können.
Dort, auf der Schattenseite der Globalisierung, sammelt der kleine Kojo lieber auf eigene Faust Metall auf der Mülldeponie, um sich eine Cola leisten zu können, als in die Schule zu gehen. In seiner Familie sind die Aufgaben fest verteilt: Sein älterer Bruder Kofi soll in die Fußstapfen des Vaters (Adjetey Anang) treten, der den Schrotthandel im kleinen Stil betreibt. Kojo soll in der Schule lesen und schreiben lernen. Dass er von einem Lehrer, der ein Trikot der deutschen Fußball-Nationalmannschaft trägt, auch ein wenig Deutsch mitbekommt, scheint eine ausgemachte Sache zu sein.
Zehn Jahre später kappt der herangewachsene Kojo (Eugene Boateng) Kojo die Familienbande und landet mit einem Containerschiff in Mannheim, wo sich die afrikanische Community als überhaupt nicht aufnahmebereit erweist. Nur für Unterkunft und Verpflegung bekommt er eine Hilfsjob bei dem zwielichtigen Schrotthändler Bo (Ibrahima Sanogo).
Es spricht für den Film, dass er das Klischee von den fremdenfeindlichen Einheimischen meidet. Denn Kojo findet unter den eingewanderten Afrikanern ebenso viel Ablehnung und Unterstützung wie in der hiesigen kriminellen Szene, in der er zum Import-Export-Geschäftsmann aufsteigt.
Von Bo mit blauem Anzug, weißem Hemd und roter Seidenkrawatte ausgestattet, lernt er die ältere Lina, die von Christiane Paul gespielt wird, kennen und im Handumdrehen lieben.
Er wird für den Schrottexport nach Accra geschickt, wo er er als feiner Herr im Hotel Kempinski wohnt. Aber nur sein Neffe bewundert ihn und lässt sich bei einer Einkaufstour durch die Luxusläden ausstatten. Sein Bruder Kofi (Jude Arnold Kurankyi) macht ihm Vorwürfe: Der Vater ist in Kojos Abwesenheit verunglückt und, weil er im Krankenhaus aus Geldmangel nicht behandelt wurde, an seinen Verletzungen gestorben. Nur die Mutter (Lydia Forson) weint vor Freude, als sie Kojo in ihre Arme schließt. Ihre Gebete seien nun doch erhört worden, ruft sie.
Doch Kojos Höhenflug ist nicht von Dauer. Zurück in Deutschland bringt er Drogen mit, weil er zur Unterstützung der Familie in Ghana immer mehr Geld braucht. Und weil er, noch immer ohne Papiere, mit falschem Pass unterwegs ist und Lina dies mitbekommt, verliert er mit ihr auch den einzigen Menschen in Deutschland, der ihn akzeptiert hat (neben der gutmütigen Wirtin eines afrikanischen Lokals). Es ist nicht leicht, aus Kojos verfahrener Situation einen Ausweg zu finden. Der Film schafft es und springt dabei leider etwas holprig seinem Ende entgegen.
Bemerkenswert ist der authentisch wirkende Blickwinkel, den der Filmemacher einnimmt. Schließlich handelt es sich bei ihm um einen in Kassel geborenen Deutschen. Er hat zuvor zwei kurze Dokumentarfilme in Afrika gedreht: »Zwischen Himmel und Erde« in den Townships von Johannesburg und in Accra »Sodoms Kinder«, gewissermaßen eine Vorstufe zu »Borga«. Damals habe er einen Moment gebraucht, um seine »deutsche Brille« abzusetzen und sich stattdessen auf die Menschen und nicht den Ort zu konzentrieren, berichtet er im Presseheft. Mit der gewonnenen Empathie erzählt er jetzt die erfundene Geschichte aus afrikanische Sicht. Formal eher dem deutschen Film verpflichtet, bildet »Borga« eine Brücke von Afrika zu uns. Und das so überzeugend, dass das Werk beim Saarbrücker Filmfest »Max Ophüls Preis« neben dem Publikumspreis gleich drei weitere Preise gewonnen hat.
Foto:
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Info:
BORGA
von York-Fabian Raabe, GH/D 2021, 107 Min.
mit Eugene Boateng, Christiane Paul, Jude Arnold Kurankyi, Lydia Forson, Adjetey Anang, Emmanuel Affadzi
Drama / Start: 28.10.2021