Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 18. November 2021, Teil 12
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Für mich der stärkste Moment in diesem ernsthaften Film, der gesellschaftliches Unrecht an Männern, die Männer liebten – Frauen waren vom § 175 in Deutschland nicht erfaßt – anhand ihrer Gefängnisaufenthalte festhält, ist, als der Zellennachbar Viktor (Georg Friedrich) am Arm von Hans (Franz Rogowski) – hier 1945 - die Zahlenfolge vom KZ feststellt und lakonisch bemerkt: Haben sie – die Besatzungsmächte - Dich vom KZ ins Gefängnis gesteckt.
Darüber hatte ich mir zuvor keine Gedanken gemacht und war ohne weiteres Nachdenken bisher davon ausgegangen, daß alle in den KZs überlebenden Gefangenen befreit worden wären. Das muß man sich mal vorstellen: Vom KZ ins Gefängnis. Denn die, die wegen Verbrechen wie Eigentumsdelikten oder Mord in Gefängnissen saßen, verblieben nach dem Fall des Dritten Reiches dort. Aber die 175er, wie man sagte, kamen hinzu.
Der österreichische Regisseur Sebastian Meise, der auch zusammen mit dem Tiroler Thomas Reider das Drehbuch verfaßte, hat dem Film eine Struktur gegeben, in der insgesamt drei Gefängnisaufenthalte von Hans 1945, 1957 und 1968 eine Rolle spielen, die aber nicht zeitlich hintereinander dargestellt sind, sondern einzelne Aspekte aus den jeweiligen Jahren herausstellen, wie beispielsweise die Tätowierung, die Viktor Hans andient, um die KZ-Zahlen unter einem großen schwarzen Gebilde, einem Tier? zu verbergen. Der wegen Mord einsitzende Viktor ist die ständige Größe, auf die Hans immer wieder stößt, wenn er nach Jahren der Freiheit, das nächste Urteil zum § 175 im Gefängnis absitzt.
Erst einmal will das Mannsbild Viktor (rechts) mit einem Schwulen nichts zu tun haben, beleidigt ihn, schlägt ihn, fängt aber an, ihn zu verteidigen, als andere das beim Freigang im Hof tun. Gegen Schluß, also als Hans noch 1968 im Gefängnis den Spiegeltitel liest, daß der § 175 gefallen ist und frei kommen wird, entsteht die Idee, gemeinsam zu fliehen. Spätestens hier ist aus diesen beiden so unterschiedlichen Männern eine Einheit geworden, für die man viele Begriffe finden kann: tiefe Freundschaft, enge Kameradschaft, aber man kann auch Liebe sagen, was ohne sexuelle Konnotation auskommt, auch wenn Viktor in sexueller Not von Hans Hilfsdienste einforderte. Aber eigentlich „ist er nicht so“.
Man schaut nach und nach erschüttert dem Spiel der beiden zu und kann sich ab irgendwann überhaupt nicht mehr vorstellen, daß andere Schauspieler als Rogowski und Friedrich dieses Paar hätten spielen können. Und wenn nun Franz Rogowski, der die eigentliche Hauptperson Hans darstellt, für den europäischen Filmpreis vorgeschlagen ist, ist das ungerecht, weil einfach Georg Friedrich dazugehört, auch wenn er kein 175er ist.
In den verschiedenen Episoden spielen zwei Mal die Gefährten des Hans eine Rolle, entweder als diejenigen, die ihn bei Gerichtsverfahren beschuldigt hatten, sie verführt zu haben, wogegen sie sich gewehrt hätten – einmal bestätigt Hans das ausdrücklich schriftlich dem Gericht – oder eben als Partner. Hans sorgt für sie, er ist immer derjenige, der sich seinen Gefühlen nach verhält, auch wenn es im Gefängnisalltag dafür Bestrafungen gibt.
Da bis auf die Schlußszene alle Aufnahmen im Gefängnis spielen, kann man diese auf fünf Situationen einengen. Der Strafaufenthalt, für den sich Hans jedesmal nackt ausziehen muß, auch einen Eimer kalten Wassers übergeschüttet bekommt, findet in einem dunklen Loch, tatsächlich ohne Fenster statt. Die Vielzahl der Szenen spielen in der Zelle, die Hans meist mit Viktor teilt, dann wirkt beeindruckend auch das Gefängnisinnere im Treppengewirr mit einer Art Himmelsleiter, wo in den einzelnen Stockwerken die Zellenrundgänge abgehen. Sehr übersichtlich das Ganze. Aber es wird auch der Alltag, die Arbeit dargestellt, wo Hans in der Regel an der Nähmaschine Bettwäsche näht, aber bei Bedarf auch Wände weißt. Und dann gibt es eine Art großem Hundezwinger an der Luft, wo nachts Gefangene kampieren, dessen Funktion mir unklar blieb.
Wie beendet man einen Film, der einen Mann zeigt, der periodisch sein Leben immer wieder über Jahre im Gefängnis verbrachte. Er freut sich? Nun ist er endlich frei für immer. Freiheit. Auch Freiheit für seine sexuelle Ausrichtung? Oh, nein, die Autoren haben sich eine völlig andere Variante ausgedacht, die dargestellt wird, wenn wir im nächsten Artikel über die Premiere im Frankfurter Cinema berichten, eine Variante, die ich genial finde.
PS. Wunderschön sind die Streichhölzer anzusehen, die Hans immer wieder abbrenen läßt und rechtzeitig das abgebrannte, schon erkaltete Ende in die Finger nimmt, damit das ganze Hölzchen schwarz wird. Schrecklich dagegen, das unentwegte Anzünden von Zigaretten. Hier wird was zusammengeraucht, daß einem schon vom Zusehen schlecht wird. Aber so war das früher auch bei Sitzungen, seien sie politischer oder wissenschaftlicher Art.
Fortsetzung folgt also.
Foto:
Sebastian Meise
©Verleih
Info:
Darsteller
Franz Rogowski, Georg Friedrich, Anton von Lucke, Thomas Prenn
Stab
Drehbuch: Thomas Reider, Sebastian Meise
Regie Sebastian Meise
Bildgestaltung Crystel Fournier