VERSO SUD 21 im Frankfurter Deutschen Filminstitut & Filmmuseum (DFF), Teil 11
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenn man diese beiden Filme von Federico Fellini, die vor einmal fast 70 Jahre und ein andermal vor fast 50 Jahre ins Kino kamen, heute anschaut, hat man mit Zweierlei zu tun: mit den eigenen Erinnerungen daran, als man diese Filme das erste Mal sah und mit den veränderten Augen, mit denen man sie heute sieht, einfach, weil man sich und weil sich die Welt verändert hat. Ein Drittes kommt hinzu: wenn man heute beide Filme dicht hintereinander sieht.
Dann nämlich erst wird erst so richtig klar, was Fellini mit seinem Werk kulturgeschichtlich geschaffen hat. Er hat den Niedergang des Schaustellergewerbes geschildert, die Massenvergnüglichkeit der niederen Klassen in Freilicht- und Freiluftatmosphären, wozu die Zirkusnummern der Kleingewerbler hinzukommen, die Vorstadtimpressarios, die Rolle der Frauen als Anmacherinnen wie Lustobjekte, doch die Domina mit der Peitsche war auch dabei, eine Welt, die einst als verrucht und verdorben verschrien, dem Bürgertum um so interessanter wurde und die beispielsweise in den Zwanziger Jahren in Berlin und Wien in entsprechenden Etablissements ebenfalls Kulturgeschichte geschrieben hat, wo sich der moderne Tanz und auch die Shows auf der Bühne wie den Folies Bergère hinzugesellte,
was Fotos und sogar Gemälde, speziell von Manet bis Otto Dix festgehalten haben. Eine Welt, die dahingeschwunden ist, denn solche edlen Gebilde wie der Frankfurter TIGERPALAST haben zwar wenigstens den artistischen, also körperlichen Sensationen eine Bühne gegeben, aber für ein anderes Publikum und in anderem Ambiente. Das leicht Anrüchige ist verschwunden, was gleichermaßen Lust und Last mit sich gebracht hatte und genau der Stoff der Träume für einen Filmemacher wie Federico Fellini war.
Bei ihm nämlich geht es um die Szenerie, der die bürgerlichen Welt als liederlich, als Geschlechtskrankheiten übertragend, als herumziehendes Pack mit Kunstfertigkeiten wie dem Seiltanzen, Zaubern, Ketten sprengen, Clownerie, Tiger bändigen, gleichermaßen mit zwei Gefühlen begegnete: mit Verachtung und totaler Neugier, was sich dahinter verbirgt, hinter den Kunststücken und hinter den Menschen, die sie vorführen. Warum dies nicht nur Fellini so interessierte, so daß er viele Filme in diesem weitgefaßten Milieu – zwischen einem Jahrmarktsartisten und der besseren Variante des Varietees gibt es viele Stufen – schuf, kann hier nur angerissen werden, zeigt aber, daß Fellini in einer Tradition steht. Einer europäischen.
Man mag beim Zuschauen nicht glauben, daß noch keiner den engen Zusammenhang mit den Frühwerken von Heinrich Mann herausstellte. An seine DIE KLEINE STADT mußte ich sofort denken. Auch diese kleine Stadt liegt in Italien, wo eine Theatergruppe angekündigt wird, eine sogenannte Wandergruppe, wo die fahrenden Künstler kurzzeitig Station machen und in diesen Wochen das festeingefahrene Leben der in ihren Ritualen und Klassenunterschieden verwurzelten Kleinbürger durcheinanderwirbeln. Da wird geliebt und gehaßt, gegessen und vor allem getrunken. Stimmt, auch Lola Lola (Marlene Dietrich) aus dem BLAUE ENGEL (1930) fällt einem sofort ein, die als Varietésängerin den Professor Unrat, wie er im Original - dem Roman, ebenfalls von Heinrich Mann - heißt, erst liebessüchtig macht, dann verzweifeln läßt, bis zu seinem Untergang.
Ja, die Männer und die Frauen. Denn Fellini liefert nicht nur eine Kulturgeschichte des untergehenden Schaustellergewerbes, leider, sondern auch eine des untergehenden speziellen Verhältnisses von Männern zu Frauen. Gottseidank. Man muß es eindimensional ausdrücken, denn in den Filmen reagieren Männer auf Frauen immer nur ‚auf das Eine“, nämlich auf ihr Geschlecht, besser Geschlechtsteile: Brüste, Hintern, möglichst viel Nacktheit. Die grölenden, schenkelklopfenden Typen aus ROMA, die sieht man heute eigentlich nur in besoffenem Zustand. Und selten. Und auch Zampanò (Anthony Quinn, der aus Mexiko kam, US-Schauspieler wurde, aber mit europäischen Filmen Furore macht, er war auch ALEXIS SORBAS) ist ja gerade der brutale, gefühllose Haudegen, der aggressiv sein Revier verteidigt und Frauen höchstens für das Eine und zum Kochen braucht.
Fortsetzung folgt
Foto:
LA STRADA
©VERLEIH
Info:
LA STRADA
Regie: Federico Fellini
Drehbuch: Federico Fellini, Tulio Pinelli, Ennio Flaiano
Darsteller: Giulietta Masina, Anthony Quinn, Richard Basehart
Besuch der Vorstellung am 29. November, weitere Vorstellung im Rahmen der Fellini-Retrospektive des DFF am 25. Dezember!
ROMA
Regie: Federico Fellini
Drehbuch: Federico Fellini, Bernadino Zapponi
Darsteller: hauptsächlichBewohner Roms
128 Minuten, 1972
Besuch der Vorstellung am 1. Dezember, weitere Vorstellung im Rahmen der Fellini-Retrospektive des DFF am 30. Dezember!
LA STRADA (1954) und ROMA (1972): Fellini als filmischer Kulturgeschichtler I
- Details
- Kategorie: Film & Fernsehen