Bildschirmfoto 2021 12 09 um 13.05.25Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 9. Dezember 2021, Teil 4

Claus Wecker

Ein Schwenk über die Dächer von Paris und dazu ein Ton mit den üblichen, unerfreulichen Nachrichten. Ein passenderes Entrée hätte Valérie Donzelli für ihren Film »Notre Dame« nicht finden können. Sind doch die Dächer dieser Stadt mit den Träumen der Menschen in den Häusern darunter untrennbar verbunden, zumindest was die französische Filmgeschichte betrifft. Der Ton weist hingegen auf die wesentlich prosaischere Realität hin, jedenfalls diejenige in den heutigen elektronischen Medien.

Es gehört also eine gehörige Portion Mut dazu, einen Film mit einer optimistischen Sicht auf die Welt zu machen, und viel Geschick, um das Ganze nicht ins Unsägliche abgleiten zu lassen. Dieser Gefahr begegnet die Regisseurin, die zusammen mit Benjamin Charbit auch das Drehbuch geschrieben hat, mit ihrem Sinn für komische Situationen. In derartige gerät die Heldin Maude Crayon gleich reihenweise, was dem Film ein rasantes Tempo verleiht.
Die Architektin ist von ihrem strengen Chef (Samir Guesmi) angewiesen worden, ein Modell zur Neugestaltung des Platzes vor der Kathedrale Notre Dame zu gestalten. Ein Wettbewerb wurde ausgerufen, und das Architekturbüro verspricht sich den lukrativen Auftrag. Mit der Drehbuchidee folgte das Autorenduo einem historischen Vorfall. 1983 hatte Präsident François Mitterand unter internationalen Studiumsabsolventen einen Wettbewerb zur Neugestaltung der Opéra Bastille angeregt.

Der Film wirft einen Blick zurück in die Zeit vor dem furchtbaren Brand in der Kathedrale, als die Welt dort noch in Ordnung war. Was man von dem Privatleben der 42-jährigen Architektin, die von Regisseurin Donizelli selbst gespielt wird, nicht gerade sagen kann. Sie hat sich von Martial (Thomas Scimeca), dem Vater ihrer beiden Kinder, getrennt, was diesen aber nicht davon abhält, sich nach jedem Streit mit seiner neuen Partnerin wieder bei Maud einzuquartieren und, weil er die Couch nicht mag, nachts auch ihr Bett aufzusuchen.

Daraus folgt die dritte Schwangerschaft einer Frau, die Mühe hat, sich Respekt zu verschaffen. Das turbulente Privatleben führt dazu, dass ihr Entwurf zu spät fertig wird, und wegen eines Pressluftbohrers vor dem Büro fallen Bücher auf das Modell, das aber wie von Zauberhand repariert wird und unversehrt zu den übrigen Modellen der Ausschreibung gelangt, wo es den ersten Preis gewinnt. Das ist der poetischste Einfall im ganzen Film.
Die Pariser Bürgermeisterin, von der hexenhaft attraktiven Isabelle Candelier dargestellt, ist begeistert, auch weil eine Frau das Modell, das einem Abenteuerspielplatz nachempfunden scheint, geschaffen hat. Doch während der Pressekampagne taucht Mauds ehemaliger Freund Bacchus (!) Renard (Pierre Deladonchamps) auf und macht im Vergleich zu dem unreifen Martial die wesentlich bessere Figur. Aber nicht nur Mauds Schwangerschaft, sondern auch die politische Realität stehen einem glücklichen Ende im Wege.

Der Film »Notre Dame« ist ein modernes Märchen mit wunderbaren Darstellern. Thomas Scimeca interprtiert Martial als Althippie und kleinen Jungen, der als Partner überfordert ist und für einen Neuanfang mit Maud nicht in Frage kommt. Pierre Deladonchamps entspricht mit seinem Aussehen und Verhalten einem zögerlichen Mr. Right. Großartig ist Isabelle Candelier als Parodie auf eine dämonische Führungspersönlichkeit, von der man besser nicht abhängig sein möchte.

Und Donzelli weiß auch als Maud ihr originelles Drehbuch famos umzusetzen. Mit ihren eigenwilligen Augenbrauen wirkt sie zwar oft überlegen, lässt aber bald den nötigen Mut vermissen. Ihr sprunghaftes Wesen und ihre Missgeschicke machen sie zu einer modernen Großstadtneurotikerin. In einem Kommentar zu ihrem Film zieht sie einen Vergleich zu Woody Allen. Durch ihren gesamten Film zögen sich sich fantastische Geschehnisse, ebenso wie launisches Wetter oder Mauds körperliche Veränderungen – wie in Allens »Alice«.
Ist Valérie Donzelli ein weiblicher Woody Allen? Ihr »Notre Dame« ist jedenfalls eine intelligente Komödie über die Verrücktheiten in unserer Welt, wie sie uns das Kino schildert. Und darin kommt sie den Werken des unermüdlichen und unerschütterlichen Altmeisters ziemlich nahe.

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Info:
NOTRE DAME – DAS LEBEN IST EINE BAUSTELLE
von Valérie Donzelli, F/B 2019, 89 Min.
mit Valérie Donzelli, Pierre Deladonchamps, Thomas Scimeca, Bouli Lanners, Virginie Ledoyen, Isabelle Candelier
Komödie
Start: 09.12.2021