der schein trugtSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. Dezember 2021, Teil 8

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Also, ich habe mich köstlich amüsiert, wie so ein stinknormaler Mann durch einen Heiligenschein abhebt. Das hat auch damit zu tun, daß ich gerade bei Salman Rushdies ZWEI JAHRE ACHT MONATE UND ACHTUNDZWANZIG NÄCHTE von dem Mann gelesen hatte, einem schlichten Gärtner, der auf einmal Zentimeter über dem Boden schwebte, was im Alltag durchaus lästig werden kann. Aber schön, daß normale Männer jetzt mal so abheben. So oder so.

Stojan (Goran Navojec) ist einer von den Männern, die die Last der ganzen Erde auf den Schultern tragen, weil sie brav ihren Dienst tun, im Dienst selber, an der Ehefrau, den Kindern, den Eltern und Schwiegereltern, den Nachbarn, der Gemeinde, so einer von den Zuverlässigen, über den die Unzuverlässigen gerne lächelnd den Kopf schütteln, denn er macht ihre Arbeit mit.

Und ausgerechnet diesem Normalo passiert das Phantastische und das wiederum auf normale Weise. Als er eine Glühbirne auswechseln will, bringt ein Kurzschluß nicht nur Dunkelheit, sondern auch Erleuchtung, denn über seinem Haupt schwebt ein Heiligenschein. So sehr er daran zerrt, er kann ihn nicht beseitigen. Daß dies im Belgrad der Neunziger Jahre passiert, ist auch keine Zufälligkeit. In Belgrad sitzt nämlich das Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche und die Orthodoxen haben in ihren Ikonen seit jeher den Heiligenschein, einen Nimbus, viel auffälliger als wir das bei alten Heiligenbildern kennen und in den Ikonen der Ostkirche gibt es den Nimbus bis heute, während er im Bereich der römischen Kirche in den Gemälden seit der Renaissance längst unmodern war. Aber das ist natürlich nur unsere zusätzliche kunsthistorische Erklärung. Im Film liegt näher, daß das was zu tun haben muß mit den Irrungen und Wirrungen, die den gerade noch angeblich sozialistischen Staat zu einem kapitalistischen machen und das gesellschaftliches Durcheinander eben die neue Wirklichkeit, die neue Normalität ist.

Irgendwie kommt hier bei uns zu oft das Wort: normal, Normalität vor! Was ist das denn eigentlich: das Normale? Das möchte jeder gerne wissen, auf jeden Fall wird in Stojans Nachbarschaft nicht nur über ihn gesprochen, sondern die Reaktionen sind sehr unterschiedlich, in einem aber gleich: jeder möchte ihn mitsamt dem Heiligenschein sehen, der einen unseren Zeiten ähnlich sehr grellen Schein verbreitet. Das mißfällt seiner Frau Nadja (Ksenija Marinkovíc), die lieber unter dem Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit leben möchte. Das Ding muß weg. Und das versuchen nun die beiden mit allen Mitteln. Denken Sie mal, was sie täten, wenn so ein grelles Ring über Ihrem Kopf schwebte. Die Lösungen mit viel Seife, Reinigungsschaum und sonstigen Putzmitteln sind gut ausgedacht, doch wirken nur auf unsere Lachmuskeln, nicht auf die Existenz des Scheins. Wäre ja auch allzu irdisch, wenn man ein göttliches Leuchten mit Putzen so erledigen könnte.

Die Idee mit dem TV-Priester ist ebenfalls himmlisch. Denn diese Quacksalber – Entschuldigung an die ernsthaft Gläubigen, aber es gibt einfach zu viele seichte Religionsvermittler – kommt auf den religiösen Rat, daß der gute Stojan einfach ein ganz schlimmer Finger werden müsse, also die sieben Todsünden mindestens begehen müsse, damit er so verrucht sündig ist, daß Gott ihm seinen Heiligenschein entziehen muß!! Gesagt, getan. Mit Lust geht Nada ans Verderben, sie kocht ihm die verführerischsten Speisen, Völlerei, ja selbst den von ihr inszenierten Beischlaf mit der Nachbarin, übersteht der Heiligenschein unbeeindruckt. Aber Stojan ist inzwischen einer dieser ekelhaften aufdringlichen und selbstherrlichen Sauf-, Freß- und Schlagbrüder geworden, einer von denen, die in der Öffentlichkeit als die erfolgreichen Typen gelten. Seine Popularität ist gewaltig, sein Ruhm mehrt sich, er wird zum Gefängnisdirektor befördert, wo er mit dem strahlenden Ring über‘m Kopf besonders durchsetzungsfähig ist. Und dann passiert was...ach, nein, wir wollen nicht alles erzählen, nur, daß statt eines Gefängnisinsassen plötzlich ein Baby dort liegt.

Das führt zur zweiten Episode 25 Jahre später, wo dieser junge Mann, Papic, ein Kunststudent wird und ein Bild malt, das ausgerechnet von der einsamen Nada, die auf dem Karriereweg ihres Mannes auf der Strecke blieb – er ist nämlich bereits Präsident des Landes, was kann noch kommen? - in seiner wundersamen Kraft entdeckt wird. Denn, wenn man es anschaut, werden hungrige Mäuler satt. Das geborene Mittel für die Unesco, die nun über die Kunst die Dritte Welt Kinder satt machen kann. Was dann alles passiert, geschieht allen recht.

Foto:
©Verleih

Info:
Darsteller
Stojan.      Goran Navojec
Nada.        Ksenija Marinković
Gojko.       Bojan Navojec
Pata Atanasije.     Miloš Samolov
Julija.                    Nataša Marković
Little Julija.           Sana Kostić
Stinky.                  Radoslav Milenković
Microbe.               Srdjan Todorović
Giraffe                  Ana Mandić
Borka                   Nela Mihailović
Ljubiša Trgovčević      Nikola Pejaković
Petar Marković           Miloš Timotijević
Snežana Marković      Andjelka Prpić
Rajko                          Dejan Aćimović

Stab
Regie.             Srdjan Dragojević
Drehbuch       Srdjan Dragojević
Kamera.          Dušan Joksimović