annetteSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. Dezember 2021, Teil 9

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schwierig, schwierig, wenn der Film ein Musical sein soll, aber alles tut, um das zu verhindern. Mit Absicht. Sollen uns die eingängigen Melodien WE LOVE EACH OTHER SO MUCH erst einmal in Trance versetzen, so daß die Wirklichkeit, die auf der Leinwand, sich uns wie ein Alp auf die Brust setzt. Geschickt eingefädelt, wenn Regisseur Leos Carax (Die Liebenden von Pont Neuf, Holy motors) im Aufnahmestudio mit den Machern der Band Sparks: Russel und Ron Mael seinen Leuten, darunter seine Tochter zuruft: „So may we start?!, woraus sofort ein Song entsteht und nun unter dessen Absingen alle im Studio dieses verlassen, singend auf die Straße schwingen, wo sich ihnen immer mehr ihnen ebenfalls singend zugesellen, darunter auch zwei, die die Hauptfiguren des eigentlichen Films sind, der nun beginnt.

Im Nachhinein weiß man, daß der Beginn schon das Ende ist, denn das mitsingende Paar ist einmal Adam Driver, der zu Henry McHenry wird, der sein Motorrad, eine mächtige Triumph besteigt, dann Marion Cotillard, die die Sängerin Ann Desfranoux ist und im Fond eines Wagens Platz nimmt. Beide Fahrzeuge fahren in Los Angeles in entgegengesetzte Richtungen, was die Kamera sehr lange verfolgt. Das soll Romantik sein? Ja, die Geschichte behauptet es und sie singen den Ohrwurm von der gegenseitigen Liebe ja auch unentwegt, erst recht, wenn Henry, der auf der Bühne ein seltsam düsterer Comedian ist in seiner Ein-Mann-Schau, während Ann als Opernsängerin zwar dauernd sterben muß, aber immer von schöner Musik und trauernden Menschen umgeben.

Es gibt im ganzen Film überhaupt keinen Moment, der eindeutig ist, das Zerrissene, das Schicksal, das Böse, das zerstörerische Männliche überlagert und unterfüttert alles. So spielt Adam Driver die ganze Zeit mit düsterer Miene, die man ihm nicht verdenken kann, denn sein privates Glück - doch, doch, er behauptet dies und singt ja auch immer von der hinreißenden Liebe – steht im Widerspruch zu seinem sinkenden Stern als Comedian.Er ist im Niedergang, während seine strahlende Frau in immer höhere Sphären der Oper gelangt.

Annette 1Was macht man in dieser Situation, um ein Gleichgewicht herzustellen. Man, das heißt Ann bekommt ein Kind von Henry, das die Ehe kitten soll. Was wir hier so normal erzählen, ist die Handlung, die allerdings die Flut von Bildern nicht wiedergeben kann, wie auch nicht die Musik und die Songs, die das alles begleiten. Da ist schon ein großes Stück schwarzer Romantik am Werk, vor allem, wenn bei der Geburt eine Puppe herauskommt, eine Holzpuppe (rechts), die allerdings wohl nur wir sehen, denn für die Eltern ist sie lebendiges Fleisch. Ihres nämlich. Seltsam, daß bei den Interviews, die mit dem Regisseur intensiv geführt wurden, keiner auf die Olympia aus Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach zu sprechen kam, auch kaum auf Pinocchio, das aber sind alles Vorformen dieses Baby Annette – der Song verfolgt einen - , das zum Kleinkind Annette, zum Kind, zur Jugendlichen wird.

Doch, da ist die Mutter schon lange tot und der Vater ist davon gekommen, der die arme Ann vom Boot fegte, als er mit ihr und Annette auf dem Wasser war, was für einen Unfall gehalten wurde. Klar, daß man den einen Teil der großen Liebenden nicht für den Tod des anderen verantwortlich machte und doch wieder nicht, denn längst wußte die Welt, daß Henry von ihrem Ruhm mitlebte, weil ihn auf der Bühne niemand mehr sehen wollte.

Man sollte noch hinzufügen, daß die Rache zwar dauert, dann aber gewaltig kommt. Der schlaue Vater, nun Alleinerziehend hatte mitbekommen, daß seine Tochter traumhaft schön singen kann. Was liegt näher, aus ihr eine singende Puppe zu machen, ein Mädchen, das im Schöngesang die Leute zu Tränen rührt – und dem Vater ein dickes Portemonnaie beschert, denn sie tritt auf allen großen Bühnen der Welt auf. Und dann ist Schluß. Als er sich zum Aufhören entschlossen hat, singt Annette einfach weiter und singt die Wahrheit: daß ihr Vater ihre Mutter ermordet hat.

Mit seinem Herkommen aus der schwarzen Romantik – wie betonen es noch mal – paßt auch gut, daß der Film, wie er am Anfang in die Handlung überleitet, sich diese Freiheit auch nimmt, wenn Ann direkt von der Bühne in den erholsamen Wald spaziert. Denn das Bühnenbild, das nur Bäume zeigte, wird bei ihrem Betreten zum echten Wald. Magie. Aber dann zeigt der Film auch nackte Realität – und das im Traum. Da träumt der eigentlich insgesamt doch blaß gezeichneten Ann, daß ihr Mann von sechs Frauen bezichtigt wird, ihnen sexueller Gewalt angetan zu haben, was übrigens im Skandalblatt Show Bizz News schon öfter Thema war. Es geht Wirklichkeit in Phantasie über, Realität in Traum, Freiheit in Zwang. Das ist alles sehr künstlich, gewollt künstlich und hinterläßt den Eindruck von Kunst, aber auch die Frage, was das Ganze, dieser Aufwand eigentlich soll.

Foto:
©Verleih

Info:
Besetzung & Stab
Henry McHenry.     Adam Driver
Ann Desfranoux.    Marion Cotillard
The Conductor.      Simon Helberg
Annette                  Devyn McDowell
Sparks.                  Russell Mael
Sparks                   Ron Mael

Regie                     Leos Carax
Drehbuch               Ron Mael, Russell Mael, Leos Carax
Originalidee, Musik & Lyrics      Ron Mael, Russell Mael