qou vadis aidaRegisseurin Jamila Žbanic widmet in einer Videobotschaft ihren Film den Frauen von Srebrenica

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Es gibt wenig Orte, deren Erwähnung sofort ein Grauen und die Erinnerung an ganz bestimmte Greueltaten, ja Massaker hervorrufen. Für die jüngere Vergangenheit ist das insbesondere der in Polen liegende Ort Auschwitz, was auf ewig mit dem durch die Deutschen organisierten industriellen Massenmord, der Vergasung tausender Menschen verbunden ist. Für die jüngste Vergangenheit ist es Srebrenica, wo vom 11. bis zum 19. Juli 1995 im Umfeld der Stadt mehr als 8 000 Menschen ermordet wurden, hauptsächlich Männer und Jungen. Verantwortlich war Ratko Mladić von der Armee der Republika Srpska, Polizeikräfte und serbische Paramilitärs. Die Täter versuchten ihre Tat durch das Vergraben der Tausende von Leichen in Massengräbern zu verschleiern, was UN-Soldaten zuließen.

Ein solches Verbrechen in einem Film darzustellen, scheint sowieso unmöglich. Regisseurin Jamila Žbanic, 1974 in Sarajevo geboren, hatte dies schon mehrmals vermocht. Eigentlich handeln alle ihre Filme davon: in ESMAS GEHEIMNIS-GRAVICA ging es um die Nachwirkungen des Massakers, die sich in Traumata der Bevölkerung niederschlagen. Der Film, der viele Preise gewann, errang den Goldenen Bären auf der BERLINALE 2006.

Nun nach 25 Jahren folgt mit QUO VADIS, AIDA? ein Film, der unmittelbar in den Tagen vor dem 11. Juli spielt, wo Aida (Jasna Ðuriči), eine Englischlehrerin, als Übersetzerin für die in Potocari stationierten UN-Truppen fungiert und etwa 20 000 Menschen hier hilfesuchend zusammengeströmt waren. Die Geschichte ist schnell erzählt: die Übersetzerin, die das Ausmaß der Gefahren und die lasche Haltung, ja Untertänigkeit gegenüber serbischem Militär durch die UN-Oberen erkennt, erhält die Möglichkeit der Ausreise, will aber ihren Ehemann und die zwei Söhne mitnehmen, der Ehemann wird genehmigt, die Söhne nicht, woraufhin der Vater mit den Söhnen zurückbleibt und die zurückgekehrte Aida viele Jahre später in den Massengräbern ihren Mann und ihre Söhne identifiziert), aber der Film transportiert darüberhinaus eben auch die wankelmütige, für die Bevölkerung undurchsichtige Politik der UN-Soldaten, die vor allem aus niederländischen Blauhelmen besteht. Das ist bis heute ein nicht geklärter politisch-geschichtlicher Vorgang.

Daß dieser Film in diesem Jahr den Europäischen Filmpreis erhielt, ist eine Aussage über die filmische Qualität, die dennoch nicht vom politischen Inhalt abgetrennt erscheint. Den Europäischen Filmpreis gibt es schon seit 1988, seit er von der Europäischen Filmakademie (EFA) ausgelobt wird. Erster Präsident war der schwedische Regisseur Ingmar Bergman, der 1996 vom deutschen Regisseur Wim Wenders abgelöst wurde, der bis 2020 präsidierte, jetzt ist der britische  Produzent Nik Powell neuer Vorsitzender.

In Filmkreisen gilt der EFA-Preis als der europäische Oscar., wobei meiner Meinung nach zu viel aus Hollywood übernommen wird, was die Zunahme der Preise weiter unten zeigt. Jedes zweite (ungerade) Jahr wird er in Berlin verliehen, wo auch die Europäische Filmakademie sitzt, dazwischen in anderen europäischen Hauptstädten. Doch für dieses Jahr galten wie im letzten die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie, so daß in Berlin am 11. Dezember die Verleihung für QUO VADIS, AIDA? ohne Publikum nur als Fernsehaufzeichnung gezeigt wurde.

Das Verfahren

Das Nominierungsverfahren für die einzelnen Kategorien ist sehr kompliziert, was man sich bei so vielen Ländern und so vielen Filmen gut vorstellen kann. Bleiben wir bei der Kategorie Spielfilm. Da präsentiert die EFA zusammen mit der EFA-Productions GmbH eine Liste mit etwa 40 Spielfilmen, die als Auswahlliste fungiert, also Nominierungsliste genannt werden könnte. Vorgegeben ist außer „Spielfilm“ nur der Zeitpunkt der erstmaligen Vorführung, sei es bei Filmfestivals oder durch Anlaufen in Kinos: zwischen Juli des vorhergehenden Jahres und dem Juni der Nominierung. Das Zustandekommen dieser Nominierungsliste ist gedoppelt. 20 von ihnen werden durch internationale und nationale Experten gekürt, die anderen 20 werden durch die EFA-Mitglieder in den jeweiligen Länden ausgewählt.


Die Nominierung der 40 Spielfilme ist Anfang November abgeschlossen, wo sie auf dem Europäischen Filmfestival von Sevilla bekanntgegeben werden. Der entscheidende Schritt ist dann, wenn die rund 2500 Mitglieder der Europäischen Filmakademie per Briefwahl abstimmen. Um das zu können, werden ihnen Kopien der Filme an die Hand gegeben. Das dürfen aber auch die Produzenten von den Filmen tun, die nicht auf die Liste gelangten. Die können als DVDs auf eigene Kosten den EFA-Mitgliedern zugeschickt werden.

Außer dem Besten Film, der von Beginn an (1988) verliehen wurde, haben sich die Kategorien auf eine recht hohe Zahl aufgeschaukelt. Inzwischen gibt es auch die Beste Komödie (seit 2013), Bester Nachwuchsfilm(1988), Bester Dokumentarfilm (1989), Bester Animationsfilm (2009), Bester Kurzfilm (1998).

Die Einzelpreise gelten der Besten Regie (1988), Beste Darstellerin (1988), Bester Darsteller (1988), Bestes Drehbuch (1988), Beste Kamera (1988), Bester Schnitt (1991), Bestes Szenenbild (1988), Bestes Kostümbild (2013), Beste Maske (2016), Beste Filmmusik (1989), Bester Ton (2013), Beste visuelle Effekte (2018).

Darüber hinaus gibt es weitere Preise. Von Anfang an, also 1988, gibt es den Europäischen Filmpreis für ein Lebenswerk, der in diesem Jahr an Márta Mészáros, ungarische Regisseurin und Drehbuchautorin ging. Ein weiterer persönlicher Lebenspreis ist die Beste europäische Leistung im Weltkino (1997), den die dänische Regisseurin und Drehbuchautorin Susanne Bier erhielt. Seit 2007 gibt es den Koproduzentenpreis, der dieses Jahr Maria Ekerhovd zugesprochen wurde. Innovatives Storytelling ist seit 2020 ein eigener Preis, den für 2021 Steve McQueen für Small Axel erhielt.

Ebenfalls seit Neuerem dabei sind der Publikumspreis für den Beste Film (2006), Bester Kinderfilm (2012), The Crossing – Regie: Johanne Helgeland (Norwegen) und der European University Film Award (2016), der an Flee – Regie: Jonas Poher Rasmussen ging.

Foto:
Plakat mit Hauptdarstellerin Jasna Jjurici), die für die Darstellung den EFA-Preis als Beste Schauspielerin bekam
©Verleih

Info:
Weltexpresso hatte zum Anlaufen des Films am 5. August schon folgende Rezension veröffentlicht
https://weltexpresso.de/index.php/kino/22911-quo-vadis-aida_544