Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das war typisch! Nach der Pressevorführung (PV) befanden die anwesenden Männer: „Frauen können das nicht“, „Der Film ist nichts“, „Lächerlich“, die anwesenden Frauen dagegen: „Stark“, „Sauber, gradlinig, der Film macht nichts vor“. Das ‚anwesend‘ schreiben wir, weil in dieser PV auch weitere Kollegen und Kolleginnen saßen, die aber in diesem Moment der Reflexion über den Film nicht anwesend waren.
Im Ernst, ich habe mich amüsiert und ich fand es spannend. Voraussetzung ist, daß man Spionagefilme mag. Daß man James Bond mag, den Ian Fleming erfand, auch wenn die Filme zunehmend einen anderen Bond zeigen, der einem sogar besser als der alte gefällt, daß man auch Jason Bourne auf seiner Flucht durch die Welt gerne auf der Leinwand verfolgt, den Robert Ludlum in seinen Romanen erschuf. Zu diesen einsamen Helden gesellen sich nun fünf Frauen, die – und das ist eben auch neu! - als Team arbeiten. Zwangsläufig, weil Frauen der Vernunft sehr zugänglich sind. Und Sie werden gegenüber üblichen Spionagefilmen noch etwas Besonderes erleben. Es geht auf einmal um Kinder. Es geht um Familie. Es geht um die Folgen von Verrat – nicht zwischen Männern, das gibt es oft – sondern von einem Spionage-Liebespaar, wo - ganz anders als in dem Film von Mrs. und Mr. Smith, wo das gegenseitige Umbringen-Sollen den Film trägt und die Gefühle später kommen - die Partnerschaft zweier CIA-Agenten zum eigentlichen Kampfzentrum wird.
Der CIA kommt ins Spiel, weil er von einem Angehörigen des kolumbianischen Geheimdienstes Luis (ÉDGAR RAMIREZ) das Angebot erhalten hatte, für drei Millionen Dollar eine Geheimwaffe zu kaufen, die Welt zerstören kann. Hintergrund - und so beginnt der Film – ist ein aus dem Rahmen fallender Austausch im Imperium des Drogenbaron Santiago im kolumbianischen Dschungel, südlich von Bogota. Dessen Angestellter (ich dachte, der Sohn) hat unter dem Motto: „Technologie ist die neue Droge“ in der Form eines Handys einen Schlüssel für das Knacken jeglicher Computersysteme entwickelt, das ein Brite namens Elijah Clarke (JASON FLEMYNG) kaufen will. Um ihm den Kauf schmackhaft zu machen, holen sie mal gerade ein Flugzeug vom Himmel, das gerade über ihnen fliegt. Doch der Brite reagiert anders. Er erschießt den Macher und seinen Herrn.
Was niemand, nur der Zuschauer weiß, das gesamte „Kundengespräch“ wurde vom kolumbianischen Geheimdiensts mitgehört, die mit Spitzenleute das Anwesen umstellt haben, zwar erst verunsichert sind, weil es sich nicht um normale Drogen handelt, bei den Schüssen aber handeln und eingreifen. Im Tumult gelingt es einem der kolumbianischen Agenten, Luis (ÉDGAR RAMIREZ), das Ding zu schnappen, mit ihm abzuhauen und dem wichtigsten Geheimdienst der Welt, der CIA zum Kauf anzubieten. Übergabe soll in Paris sein.
Dorthin wird von Langley aus vom Vorgesetzten Larry Marks (JOHN DOUGLAS THOMPSON) die knallharte Mason „Mace“ Browne (JESSICA CHASTAIN) zusammen mit ihrem Partner Nick Fowler (SEBASTIAN STAN) geschickt. Daß sie sich als junges Ehepaar auf der Hochzeitsreise ausgeben sollen, um möglichst harmlos zu wirken, kommt Nick gerade recht, der die steile Mace seit jeher anbetet und ihr einen Ring ansteckt. Und zur Überraschung aller geht sie auf seine Avancen ein. Und jetzt geht der Thriller richtig los!
Übergabe der kleinen Festplatte soll in einem Café stattfinden, wo der Kolumbianer und Nick mit je gleichen Rucksäcken sich nebeneinander setzen – und denkt die Zuschauerin, gleich die Rucksäcke austauschen. Doch da ist die Bedienung vor, die ihr Tablett mit allen Getränken effektvoll fallen läßt und sich im Tohuwabohu den Rucksack schnappt und abhaut. Das ist Marie Schmidt (DIANE KRUGER), die im Dienste des BND handelt. Und jetzt kommt eine Verfolgungsjagd, in der Mace Marie verfolgt, zu Fuß, auf dem Motorrad und schließlich mit der Metro, was im Tunnel seinen Höhepunkt findet. Unglaublich, was die beiden an Akrobatin dabei bieten. Marie kommt einem noch stahlharter vor als Mace und durch eine Rückblende, die ihren Vater als Doppelagenten zeigt und die Vorbehalte ihres BND-Chefs Jonas Müller (SEBASTIAN GROTH) gegen sie, bekommt Marie eine besondere Aura.
Doch die siegreiche Marie findet im Rucksack die drei Millionen Dollar, die Platte befindet sich weiterhin bei Luis, den Nick verfolgt, erst den Rucksack sichert, dann aber erschossen wird. Doch im Rucksack ist nur Papier drinnen, den Datenschlüssel hat weiterhin Luis, der ein sein Hotel zurückkehrt und, als er Besuch erhält, natürlich an die Verfolger denkt. Doch es ist Graciela Rivera, Gracie genannt (PENÉLOPE CRUZ), die als Psychologin für die Nationale Direktion für Nachrichtendienste in Kolumbien arbeitet. Sie ist Spezialagentin für‘s Umdrehen, also zum einen traumatisierte Agenten behandelt, aber auch Verräter umzudrehen kann, so daß sie nach Kolumbien zurückkehren.
Marie, zurück beim BND, hört nun, daß ihre Verfolgerin in Paris CIA-Agentin war und daß sie mit ihr hätte kooperieren müssen, statt sich gegenseitig zu bekämpfen und den eigentlichen Feind entkommen zu lassen. Ihr Problem sei der fehlende Teamgeist, sagt Jonas Müller, was an der familiären Vergangenheit läge und als er sehr viel später im Film erschossen wird, büßt er in unseren Augen für die Fehleinschätzung und Abwertung von Marie. Wie gut sie ist, weiß er ja trotzdem und schickt sie wieder los, die Festplatte zu sichern. Ähnliches hört Mace von ihrem Chef Marks, der sie zudem beauftragt, undercover der Platte nachzuspüren und den Tod ihres Partners zu rächen.
Nächste Station für Mace ist London, wo sie die ehemalige Agentin des MI6 Khadijah Adiyeme (LUPITA NYONG’O) aufsucht, die eine Spezialistin für Cyberkriminalität ist, nicht mitmachen will, ohne die, aber im Nachhinein, das Unterfangen, die Platte zu erlangen, hinfällig gewesen wäre. Sie ist nämlich die absolute Beherrscherin der digitalen Welten, kann in alle System eindringen und wird ein virtuelles Kommunikationsnetzwerk für die Frauen aufbauen, die sich nun nach und nach nach neuen Toten zusammentun. Das ist auch bitter nötig, denn erneut hat ein Kolumbianer sich als Verräter entlarvt und haut mit der Platte ab. Gracie will nun eigentlich nach Hause zum Ehemann und den Kindern, doch der sterbende Luis hatte sein Handy, das den Weg der Festplatte verfolgt, auf ihren Finger eingestellt. Sie muß also mit -oder ihren Finger abschneiden, wie knallhart die anderen Frauen sagen! Jetzt kommt es zur echten Gemeinschaft der Vier, die nach Marokko müssen, wohin – das sagt das Handy – der Kolumbianer geflohen ist.
Und was jetzt abgeht, ist im Agentenmilieu absolut neu. Die vier Frauen arbeiten, wenn nicht mit Vertrauen, so doch ohne Vorbehalte miteinander und es geht die Post ab, weil jede etwas Besonderes einbringt. Die coolste bleibt Marie, die intuitiv mit Mace die Nummern abzieht, die wiederum noch ihrem Nick nachtrauert, aber in Khadijah eine Vertraute hat. Jede ist ein Unikat und Gracie darf ihre besondere Rolle als diejenige spielen, die immer nach Hause zu Mann und Kind will, aber trotzdem die Gefahren mit der hohlen Hand bewältigt und am Schluß sogar den entscheidenden Schuß abgibt. FRAUEN GEMEINSAM SIND STARK, ist nicht nur ein Spruch der zweiten Frauenbewegung, sondern könnte die Überschrift für diesen Film abgeben.
Es ist choreographisch schon die Verfolgung in Paris Spitze gewesen, aber was jetzt im Souk von Marrakesch abgeht, gehört zum Feinsten, weil es nicht die Waffen sind, mit denen geballert wird, sondern das Händespiel, das Khadijah, die alles überwachen kann, entschlüsselt: wo ohne Aufhebens mitten auf dem Markt das kleine Gerät übergeben wird und das weibliche Team jetzt nur noch den neuen Besitzer überlisten muß, was gelingt. Der CIA-Chef ist mit den Frauen hochzufrieden und trotz innerer Widerstände läßt Marie zu, daß der CIA die Festplatte erhält. Die vier feiern ihren Erfolg und wie es Frauen tun, reden sie auch über Privates und verstehen sich zum Abschied blendend.
Doch es gibt einen neuen Anfang. Denn der CIA-Chef wird von einer bisher unbekannten Chinesin Lin Mi Sheng (BINGBING FAN) erschossen, die mit dem Ding nach Schanghai entkommt, wo sie die Auktion leitet, auf der die Festplatte meistbietend versteigert werden soll. Doch es kommt alles ganz anders. Die größte Überraschung ist...
Nein, hier halten wir inne. Denn der Höhepunkt mit vielen Überraschungen kommt erst, der dann auch den Filmtitel der 355 erklärt. Das ist ein Zahlencode, der für unbekannte Agentinnen im amerikanischen Geheimdienst galt.
Das ist ein Spionagefilm!, bei dem nicht deutlich wird, woher die Ressourcen für die Flüge, die tolle Garderobe, das ganze Drumherum kommen. Von den drei Millionen, die doch Marie hatte? Das ist alles völlig egal, auch bei Bond oder Bourne interessiert nicht die realistische Grundlage und keiner fragt danach.
Dieser Film hat zwei Vorteile bei einem Nachteil, daß einfach zu viel geballert wird, zu viele Erschossene weiterleben etc. Aber die Kampfszenen sind perfekt und man übersteht sie nur deshalb, weil in Interviews z.B. Diane Kruger versichert, daß es ohne größere Blessuren abging. Aber auf der Leinwand ist alles ‚wie echt‘. Das Zusammenspiel der Frauen ist einfach toll, sowohl was den Kampf angeht, als auch das Zusammenwirken so unterschiedlicher Persönlichkeiten. Jede der Frauen ist völlig eigen, unterscheidet sich in allem von anderen, von der Lebensgeschichte, vom Aussehen, von der Kleidung, vom Verhalten. Eine absolute Vielfältigkeit von Frauen mit dem gemeinsamen Ziel, was sie auch erreichen, das darf man dann doch weitersagen.
Der andere Vorteil ist das ethische Hinterfragen von Handlungen. Daß Familien ins Kreuzfeuer von Agentendramen geraten, kennt man, aber daß ein NEIN angesichts der beabsichtigen Ermordung der Familie von Gracie ausgesprochen wird, auch wenn es erst einmal fatale Folgen der Auslieferung der Festplatte hat, ist in Agentenfilmen neu. Und wie die Liebesgeschichte zwischen Nick und Mace hier hinterfragt wird, auch. Hier machen Frauen als Geheimdienstagentinnen nicht dasselbe wie Männer, sondern sie machen ihre Arbeit völlig anderes, aber sehr sehr erfolgreich und in emotionaler Übereinstimmung aller. ABER, das Ganze hat auch ein Augenzwinkern. Es hat auch etwas davon, wir zeigen Euch jetzt mal, daß wir das zwar auch können, das Spionieren und die Welt Retten, aber eigentlich ist das doch etwas albern. Wahrscheinlich ist es dieser ironische Beiklang, warum mir diese körperlich perfekte Agentenjagd gefällt.
Wenn es gerecht zuginge, wäre die Fortsetzung schon geplant, wobei die Chinesin vielleicht die interessante Perspektive aufzeigt. Eine Chinesin nicht als die Böse auf der Welt, sondern als Feministin im Sinne des Guten, ist für einen Agentenfilm ebenfalls absolut neu! Also, ich fand diesen Film richtig gut. Aber ich mag sowieso Agentenfilme, zu denen nun Agentinnenfilmen besonderer Güte treten. Gut so.
Fotos:
©Verleih
Info:
STAB
Regie Simon Kinberg
Drehbuch Theresa Rebeck, Simon Kinberg
Nach einer Idee von Theresa Rebeck
BESETZUNG
Mace/Mason Browne Jessica Chastain
Graciela Rivera Penélope Cruz
Lin Mi Sheng. Bingbing Fan
Marie Schmidt Diane Kruger
Khadijah Adiyeme Lupita Nyong‘o
Luis Rojas Édgar Ramirez
Nick Fowler Sebastian Stan
Elijah Clarke Jason Flemyng
Jonas Müller Silvester Groth
Larry Marks John Douglas Thompson
Grady Leo Staar
©Verleih
Info:
STAB
Regie Simon Kinberg
Drehbuch Theresa Rebeck, Simon Kinberg
Nach einer Idee von Theresa Rebeck
BESETZUNG
Mace/Mason Browne Jessica Chastain
Graciela Rivera Penélope Cruz
Lin Mi Sheng. Bingbing Fan
Marie Schmidt Diane Kruger
Khadijah Adiyeme Lupita Nyong‘o
Luis Rojas Édgar Ramirez
Nick Fowler Sebastian Stan
Elijah Clarke Jason Flemyng
Jonas Müller Silvester Groth
Larry Marks John Douglas Thompson
Grady Leo Staar