Bildschirmfoto 2022 01 07 um 00.46.08Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. Januar 2022, Teil 11

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenn Sie die Landschaftsbilder aus dem Norden von Island sehen, die Weite, die Düsternis, die Einsamkeit, die sanften Hügel, die mangelnde Vegetation im Winter, Eis und Schnee, dann das Grün im Sommer, dann denken Sie, Sie sind am Ende der Welt, auch am Ende der Zeit, weil alles zeitlos scheint, am Ende der Geschichte.

Dabei nimmt die hier gerade ihren Anfang. Wir sehen eine nicht ganz junge Frau, Maria (Noomi Rapace) also eine in den besten Jahren, die, für alles zuständig, viel Arbeit hat. Da ist nicht nur das abgelegene Haus, wo sie kocht und gerade die Wäsche auf die Leine hängt, da ist die Vieh- und Landwirtschaft, wobei sich das Vieh auf Schafe, eine sehr umfangreiche Schafzucht beschränkt. Wir lernen auch ihren Mann kennen, Ingvar (Hilmir Snær Guðnason). Ein netter Kerl, aber recht stumm. Sie eigentlich auch. Beide reden nur das Nötigste miteinander, in einer Sprache der Verständigung, die also überhaupt nicht abweisend ist. Eher so, als ob sowieso schon alles klar wäre und Worte nicht weiter nötig. Längst ist einem ein wenig bang, gerade, weil alles so normal scheint. Über allem schwebt etwas Unheimliches, das man aber nicht benennen kann.

Man erlebt die Geburt der Lämmer, was aufwendig ist, mit der Markierung, die sie eingestanzt bekommen und jämmerlich blöken. Sofort tuen sie mir zumindest leid. Und dann kommt es zu einer neuen Geburt durch ein Mutterschaf, aber irgendetwas stimmt nicht. Während ich noch eine Totgeburt befürchte, gibt mir ein schneller Blickwechsel zwischen Maria und Ingvar, so etwas wie ein Einverständnis, zu denken und auch, daß Maria das sehr längliche neugeborene Lämmlein in ein Tuch hüllt und an ihre Brust hält.

Schnell erschließt sich, woher diese latente Traurigkeit, die über allem und allen schwebt, kommt. Das Ehepaar hat ein Kind verloren und sehen im kleinen Lämmlein ein neues Kind. Gottseidank geht Regisseur hier nicht ins Detail. Man sieht nur die Kleidungsstücke, die das Kleine angezogen bekommt und die Funktion, die das Wesen für das Ehepaar einnimmt. Weil man sich als Zuschauerin immer einen Reim machen will, dachte ich an eine anatomische Fehlbildung des Lämmleins und machte mir auch beim Zuschauen Gedanken, warum denn Lämmer? Das Schaf gilt als besonders dumm, wie unsere Injurie: „Dummes Schaf“ zeigt, aber das Lamm Gottes ist ja nicht nur eine Metapher, sondern zeigt in den frühesten Bildnissen einen Christus mit dem Lamm um die Schultern, was dazu führt, daß das Lamm stellvertretend für Jesus Christus steht. Agnus Dei heißt ja nichts anderes und in der katholischen Messe heißt es: „Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt, erbarme dich unser“ - und nun heißt die Frau in Mutterfunktion im Film nun auch noch ausgerechnet Maria.

Aber das sind unsere Gedanken beim Zuschauen, die sich durch nichts weiter belegen lassen. Eher kommt einem dann das ganze Ambiente archaisch vor, nordisch-düster, ein Mittelding zwischen Horror und Fantasy, denn jetzt kommt die Geschichte in Fahrt. Das Muttertier sucht sein Lämmlein und blökt und blökt. Das Mähen geht Maria zunehmend auf die Nerven, oder besser: vielleicht macht es ihr ein schlechtes Gewissen, wozu ja aller Grund besteht. Auf jeden Fall bringt sie das Tier um. Nein, sie tötet es nicht, sie ermordet es und war in diesem Moment für mich erledigt. Gleichzeitig zeigt diese Handlung das Ausmaß ihrer Verzweiflung und eines Irreseins in einer anderen inneren Welt.

Hinzu kommt der Besuch des Bruders von Ingvar, der leichtfertige und leichte  Pétur (Björn Hlynur Haraldsson), den beide mit Mißtrauen betrachten, weil klar ist, daß er die Stadt wegen Problemen verlassen mußte, also nicht aus Zuneigung kam, der aber gleichzeitig der Düsternis auf der Schaffarm eine andere Farbe gibt, herumalbert und genau der Luftikus ist, der die Schwere, die über dem Ehepaar lastet, überdeutlich zeigt. Er beobachtet das Geschehen, das Ada genannte Wesen , das wir – wie gesagt – nie deutlich sehen, und zeigt seine Abscheu deutlich. Aber auch hier bleibt ein Rest, wie alles, was man glaubte, sich auflöst und immer stärker surreal abgleitet. Obwohl von Anfang an die Atmosphäre einem irreal vorkam, verschärft sich die Situation und immer stärker kommt einem die Bezeichnung Horror in den Sinn.

Ein verstörender Film, wo man die Hauptdarstellerin noch einmal ganz neu kennen und schätzen lernt und ihre unaufdringliche, aber dringliche Art, wie ihre Maria zwischen Wahn und Wunsch changiert.

Foto:
©Verleih

Info:
STAB
Regie Valdimar Jóhannsson
Drehbuch Sjón, Valdimar Jóhannsson

DARSTELLER
Maria       Noomi Rapace
Ingvar      Hilmir Snær Guðnason
Pétur       Björn Hlynur Haraldsson